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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Diese lebendige, organische Wiedergeburt der rei¬
nen alten Sprache, durch welche die fremden Schma¬
rozergewächse verdrängt werden, ist das schönste Zeug¬
niß von der angebornen Kraft unsrer Nationalität
im Gegensatz gegen die affectirte Kraft, womit wir
es den Fremden gleich zu thun gestrebt haben. Diese
organische Entwicklung der deutschen Ursprache stellt
zugleich die mechanischen Versuche der Puristen
gänzlich in den Schatten. Nichts ist kläglicher, als
jener Purismus eines Campe und Anderer, welche
die aus der Philosophie verschwundne Atomenlehre
noch einmal in der Grammatik aufzufrischen und die
atomistischen deutschen Sylben nach einer Cohärenz,
die nicht im Organismus deutscher Sprachbildung,
sondern nur in der Analogie des fremden Wortes
lag, zusammenzuschmieden versuchten, die uns Wörter
aus Sylben machten, wie Voß aus Wörtern eine
Sprache machte, die weder deutsch, noch griechisch
war, und die man erst wieder in's Griechische über¬
setzen mußte, um sie zu verstehen.

Der Purismus ist löblich, wenn er uns densel¬
ben Begriff, der ein fremdes Wort ausdrückt, eben
so umfassend und verständlich durch ein deutsches aus¬
drücken lehrt, jederzeit aber zu verwerfen, wenn das
fremde Wort umfassender oder verständlicher ist, oder
wenn es einen unsrer Sprache gänzlich fremden Be¬
griff bezeichnet; denn Mittheilung der Begriffe ist
der erste Zweck der Sprache, Deutlichkeit der Wör¬
ter das Mittel dazu. Wenn wir nur unsre Begriffe

Dieſe lebendige, organiſche Wiedergeburt der rei¬
nen alten Sprache, durch welche die fremden Schma¬
rozergewaͤchſe verdraͤngt werden, iſt das ſchoͤnſte Zeug¬
niß von der angebornen Kraft unſrer Nationalitaͤt
im Gegenſatz gegen die affectirte Kraft, womit wir
es den Fremden gleich zu thun geſtrebt haben. Dieſe
organiſche Entwicklung der deutſchen Urſprache ſtellt
zugleich die mechaniſchen Verſuche der Puriſten
gaͤnzlich in den Schatten. Nichts iſt klaͤglicher, als
jener Purismus eines Campe und Anderer, welche
die aus der Philoſophie verſchwundne Atomenlehre
noch einmal in der Grammatik aufzufriſchen und die
atomiſtiſchen deutſchen Sylben nach einer Cohaͤrenz,
die nicht im Organismus deutſcher Sprachbildung,
ſondern nur in der Analogie des fremden Wortes
lag, zuſammenzuſchmieden verſuchten, die uns Woͤrter
aus Sylben machten, wie Voß aus Woͤrtern eine
Sprache machte, die weder deutſch, noch griechiſch
war, und die man erſt wieder in's Griechiſche uͤber¬
ſetzen mußte, um ſie zu verſtehen.

Der Purismus iſt loͤblich, wenn er uns denſel¬
ben Begriff, der ein fremdes Wort ausdruͤckt, eben
ſo umfaſſend und verſtaͤndlich durch ein deutſches aus¬
druͤcken lehrt, jederzeit aber zu verwerfen, wenn das
fremde Wort umfaſſender oder verſtaͤndlicher iſt, oder
wenn es einen unſrer Sprache gaͤnzlich fremden Be¬
griff bezeichnet; denn Mittheilung der Begriffe iſt
der erſte Zweck der Sprache, Deutlichkeit der Woͤr¬
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[30/0040] Dieſe lebendige, organiſche Wiedergeburt der rei¬ nen alten Sprache, durch welche die fremden Schma¬ rozergewaͤchſe verdraͤngt werden, iſt das ſchoͤnſte Zeug¬ niß von der angebornen Kraft unſrer Nationalitaͤt im Gegenſatz gegen die affectirte Kraft, womit wir es den Fremden gleich zu thun geſtrebt haben. Dieſe organiſche Entwicklung der deutſchen Urſprache ſtellt zugleich die mechaniſchen Verſuche der Puriſten gaͤnzlich in den Schatten. Nichts iſt klaͤglicher, als jener Purismus eines Campe und Anderer, welche die aus der Philoſophie verſchwundne Atomenlehre noch einmal in der Grammatik aufzufriſchen und die atomiſtiſchen deutſchen Sylben nach einer Cohaͤrenz, die nicht im Organismus deutſcher Sprachbildung, ſondern nur in der Analogie des fremden Wortes lag, zuſammenzuſchmieden verſuchten, die uns Woͤrter aus Sylben machten, wie Voß aus Woͤrtern eine Sprache machte, die weder deutſch, noch griechiſch war, und die man erſt wieder in's Griechiſche uͤber¬ ſetzen mußte, um ſie zu verſtehen. Der Purismus iſt loͤblich, wenn er uns denſel¬ ben Begriff, der ein fremdes Wort ausdruͤckt, eben ſo umfaſſend und verſtaͤndlich durch ein deutſches aus¬ druͤcken lehrt, jederzeit aber zu verwerfen, wenn das fremde Wort umfaſſender oder verſtaͤndlicher iſt, oder wenn es einen unſrer Sprache gaͤnzlich fremden Be¬ griff bezeichnet; denn Mittheilung der Begriffe iſt der erſte Zweck der Sprache, Deutlichkeit der Woͤr¬ ter das Mittel dazu. Wenn wir nur unſre Begriffe

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/40>, abgerufen am 19.04.2024.