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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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braut der deutschen Literatur vorüberjagen sehn. Fried¬
rich der Große und Napoleon sind in ihrem Kreise
nicht minder zu Idealen verklärt worden, als Göthe
in dem seinigen.

Das Höchste, wozu es die Bewunderung mög¬
licherweise bringen kann, ist Göthe wirklich zu Theil
geworden. Man hat in ihm das Ideal eines Dich¬
ters zu erkennen geglaubt, und die Aufgabe, das
Problem seiner Erscheinung zu lösen, mit der, das
Problem aller Poesie zu lösen, ohne weitres identi¬
ficirt. Sie nennen ihn mit einer charakteristischen
Übereinstimmung den König der Dichter, um in ihm
das legitime Princip, die höchste aus sich selbst schö¬
pfende Autorität zu bezeichnen. Als eine vollkommene
Incarnation der Poesie ist er ihnen auch Gesetz, Kö¬
nig, Messias und Gott in allen poetischen Dingen.
Die Gläubigen wurden in ihrer Andacht nicht wenig
dadurch bestärkt, daß der Gefeierte selbst sie billigte,
sich dabei benahm, als müßt' es so seyn, und mit
Mienen der Huld und Gnade jedes Lob, das ihm
zufloß, bestätigte, die Lobenden wieder lobte, und die
ihm verliehene Königskrone nicht ohne Majestät und
imponirende Sicherheit auf dem Haupte trug. Göthe
ließ, wie der Homerische Gott den lieblichen Fettge¬
ruch von allen Altären behaglich sich gefallen, und
lächelte beständig, da man ihn beständig lobte. Nur
dann zog seine Stirne sich in böse Falten und eine
kleine Dosis Gift im Bonbon eines Bonmots, soge¬
nannte zahme Xenien wurden als lettres de cachet

braut der deutſchen Literatur voruͤberjagen ſehn. Fried¬
rich der Große und Napoleon ſind in ihrem Kreiſe
nicht minder zu Idealen verklaͤrt worden, als Goͤthe
in dem ſeinigen.

Das Hoͤchſte, wozu es die Bewunderung moͤg¬
licherweiſe bringen kann, iſt Goͤthe wirklich zu Theil
geworden. Man hat in ihm das Ideal eines Dich¬
ters zu erkennen geglaubt, und die Aufgabe, das
Problem ſeiner Erſcheinung zu loͤſen, mit der, das
Problem aller Poeſie zu loͤſen, ohne weitres identi¬
ficirt. Sie nennen ihn mit einer charakteriſtiſchen
Übereinſtimmung den Koͤnig der Dichter, um in ihm
das legitime Princip, die hoͤchſte aus ſich ſelbſt ſchoͤ¬
pfende Autoritaͤt zu bezeichnen. Als eine vollkommene
Incarnation der Poeſie iſt er ihnen auch Geſetz, Koͤ¬
nig, Meſſias und Gott in allen poetiſchen Dingen.
Die Glaͤubigen wurden in ihrer Andacht nicht wenig
dadurch beſtaͤrkt, daß der Gefeierte ſelbſt ſie billigte,
ſich dabei benahm, als muͤßt' es ſo ſeyn, und mit
Mienen der Huld und Gnade jedes Lob, das ihm
zufloß, beſtaͤtigte, die Lobenden wieder lobte, und die
ihm verliehene Koͤnigskrone nicht ohne Majeſtaͤt und
imponirende Sicherheit auf dem Haupte trug. Goͤthe
ließ, wie der Homeriſche Gott den lieblichen Fettge¬
ruch von allen Altaͤren behaglich ſich gefallen, und
laͤchelte beſtaͤndig, da man ihn beſtaͤndig lobte. Nur
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[206/0216] braut der deutſchen Literatur voruͤberjagen ſehn. Fried¬ rich der Große und Napoleon ſind in ihrem Kreiſe nicht minder zu Idealen verklaͤrt worden, als Goͤthe in dem ſeinigen. Das Hoͤchſte, wozu es die Bewunderung moͤg¬ licherweiſe bringen kann, iſt Goͤthe wirklich zu Theil geworden. Man hat in ihm das Ideal eines Dich¬ ters zu erkennen geglaubt, und die Aufgabe, das Problem ſeiner Erſcheinung zu loͤſen, mit der, das Problem aller Poeſie zu loͤſen, ohne weitres identi¬ ficirt. Sie nennen ihn mit einer charakteriſtiſchen Übereinſtimmung den Koͤnig der Dichter, um in ihm das legitime Princip, die hoͤchſte aus ſich ſelbſt ſchoͤ¬ pfende Autoritaͤt zu bezeichnen. Als eine vollkommene Incarnation der Poeſie iſt er ihnen auch Geſetz, Koͤ¬ nig, Meſſias und Gott in allen poetiſchen Dingen. Die Glaͤubigen wurden in ihrer Andacht nicht wenig dadurch beſtaͤrkt, daß der Gefeierte ſelbſt ſie billigte, ſich dabei benahm, als muͤßt' es ſo ſeyn, und mit Mienen der Huld und Gnade jedes Lob, das ihm zufloß, beſtaͤtigte, die Lobenden wieder lobte, und die ihm verliehene Koͤnigskrone nicht ohne Majeſtaͤt und imponirende Sicherheit auf dem Haupte trug. Goͤthe ließ, wie der Homeriſche Gott den lieblichen Fettge¬ ruch von allen Altaͤren behaglich ſich gefallen, und laͤchelte beſtaͤndig, da man ihn beſtaͤndig lobte. Nur dann zog ſeine Stirne ſich in boͤſe Falten und eine kleine Doſis Gift im Bonbon eines Bonmots, ſoge¬ nannte zahme Xenien wurden als lettres de cachet

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/216>, abgerufen am 29.03.2024.