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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Der Triumphbogen.
Ein leuchtend blauer Tag. Ein wogend Aehrenfeld,
Daraus ein wetterschwarzer Mauerbogen steigt.
In seinem kurzen Schatten schläft das Schnittervolk.
Allein emporgerichtet sitzt die schönste Maid,
Des Landes Kind, doch welchen Lands? Italiens!
Ein strenggeschnittnes, musenhaftes Angesicht,
Am halbzerstörten Sims des Bogens hangt der Blick,
Als müht' er zu enträthseln dort die Inschrift sich.
(Wenn nicht des Auges Dunkel von dem Liebsten träumt.)
Sie hebt die erste sich, erweckt die Schnitterschaar,
Ergreift die blanke Sichel, die im Schatten lag,
Und schreitet herrlich durch das golden wogende Korn,
Umblaut vom Himmel als ein göttliches Gebild.
S'ist Klio, die das Alterthum enträthselnde,
Vergilbten Pergaments und der Archive müd,
Gelockt vom Rauschen einer überreifen Saat,
Wird sie zur starken Schnitterin. Die Sichel klingt.

8*
Der Triumphbogen.
Ein leuchtend blauer Tag. Ein wogend Aehrenfeld,
Daraus ein wetterſchwarzer Mauerbogen ſteigt.
In ſeinem kurzen Schatten ſchläft das Schnittervolk.
Allein emporgerichtet ſitzt die ſchönſte Maid,
Des Landes Kind, doch welchen Lands? Italiens!
Ein ſtrenggeſchnittnes, muſenhaftes Angeſicht,
Am halbzerſtörten Sims des Bogens hangt der Blick,
Als müht' er zu enträthſeln dort die Inſchrift ſich.
(Wenn nicht des Auges Dunkel von dem Liebſten träumt.)
Sie hebt die erſte ſich, erweckt die Schnitterſchaar,
Ergreift die blanke Sichel, die im Schatten lag,
Und ſchreitet herrlich durch das golden wogende Korn,
Umblaut vom Himmel als ein göttliches Gebild.
S'iſt Klio, die das Alterthum enträthſelnde,
Vergilbten Pergaments und der Archive müd,
Gelockt vom Rauſchen einer überreifen Saat,
Wird ſie zur ſtarken Schnitterin. Die Sichel klingt.

8*
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[115/0129] Der Triumphbogen. Ein leuchtend blauer Tag. Ein wogend Aehrenfeld, Daraus ein wetterſchwarzer Mauerbogen ſteigt. In ſeinem kurzen Schatten ſchläft das Schnittervolk. Allein emporgerichtet ſitzt die ſchönſte Maid, Des Landes Kind, doch welchen Lands? Italiens! Ein ſtrenggeſchnittnes, muſenhaftes Angeſicht, Am halbzerſtörten Sims des Bogens hangt der Blick, Als müht' er zu enträthſeln dort die Inſchrift ſich. (Wenn nicht des Auges Dunkel von dem Liebſten träumt.) Sie hebt die erſte ſich, erweckt die Schnitterſchaar, Ergreift die blanke Sichel, die im Schatten lag, Und ſchreitet herrlich durch das golden wogende Korn, Umblaut vom Himmel als ein göttliches Gebild. S'iſt Klio, die das Alterthum enträthſelnde, Vergilbten Pergaments und der Archive müd, Gelockt vom Rauſchen einer überreifen Saat, Wird ſie zur ſtarken Schnitterin. Die Sichel klingt. 8*

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/129>, abgerufen am 28.03.2024.