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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Lieder-Seelen.
In der Nacht, die die Bäume mit Blüten deckt,
Ward ich von süßen Gespenstern erschreckt,
Ein Reigen schwang im Garten sich,
Den ich mit leisem Fuß beschlich;
Wie zarter Elfen Chor im Ring
Ein weißer, lebendiger Schimmer ging.
Die Schemen hab' ich keck befragt:
Wer seid ihr, luftige Wesen? Sagt!
"Ich bin ein Wölkchen, gespiegelt im See."
"Ich bin eine Reihe von Stapfen im Schnee."
"Ich bin ein Seufzer gen Himmel empor!"
"Ich bin ein Geheimnis, geflüstert ins Ohr."
"Ich bin ein frommes, gestorbenes Kind."
"Ich bin ein üppiges Blumengewind --"
"Und die du wählst, und der's beschied
Die Gunst der Stunde, die wird ein Lied."

Lieder-Seelen.
In der Nacht, die die Bäume mit Blüten deckt,
Ward ich von ſüßen Geſpenſtern erſchreckt,
Ein Reigen ſchwang im Garten ſich,
Den ich mit leiſem Fuß beſchlich;
Wie zarter Elfen Chor im Ring
Ein weißer, lebendiger Schimmer ging.
Die Schemen hab' ich keck befragt:
Wer ſeid ihr, luftige Weſen? Sagt!
„Ich bin ein Wölkchen, geſpiegelt im See.“
„Ich bin eine Reihe von Stapfen im Schnee.“
„Ich bin ein Seufzer gen Himmel empor!“
„Ich bin ein Geheimnis, geflüſtert ins Ohr.“
„Ich bin ein frommes, geſtorbenes Kind.“
„Ich bin ein üppiges Blumengewind —“
„Und die du wählſt, und der's beſchied
Die Gunſt der Stunde, die wird ein Lied.“

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[6/0020] Lieder-Seelen. In der Nacht, die die Bäume mit Blüten deckt, Ward ich von ſüßen Geſpenſtern erſchreckt, Ein Reigen ſchwang im Garten ſich, Den ich mit leiſem Fuß beſchlich; Wie zarter Elfen Chor im Ring Ein weißer, lebendiger Schimmer ging. Die Schemen hab' ich keck befragt: Wer ſeid ihr, luftige Weſen? Sagt! „Ich bin ein Wölkchen, geſpiegelt im See.“ „Ich bin eine Reihe von Stapfen im Schnee.“ „Ich bin ein Seufzer gen Himmel empor!“ „Ich bin ein Geheimnis, geflüſtert ins Ohr.“ „Ich bin ein frommes, geſtorbenes Kind.“ „Ich bin ein üppiges Blumengewind —“ „Und die du wählſt, und der's beſchied Die Gunſt der Stunde, die wird ein Lied.“

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/20>, abgerufen am 25.04.2024.