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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Drinnen drängen sie sich Sitz an Sitz,
Jede Stufe strotzt und wogt und schwillt.
Auf der Bühne züngeln hell und spitz
Kurze Schwerter. Schimmernd flirrt ein Blitz
Und ein erster Sprudel Blutes quillt.
Starren Blickes, blaß vor Leidenschaft,
Lauert vorgeneigt die Römerin
Auf die Sterbewunde -- Eine gafft
Lüstern. Eine sinnt dämonenhaft.
Eine lauscht mit hartem Mördersinn.
An der rasch gedrehten Klingen Spiel
Haften Seelen gierig, ohne Zahl --
Traf der Stoß? Er saß. Ein Fechter fiel,
Wälzt sich um im Sand und ist am Ziel
Nach der kurz empfundnen Sterbequal.
Mark und Herz erschütternd gellt ein Schrei!
Dort auf dem Balkon ein Weib im Traum!
Um die Schultern wehn die Haare frei
Und als ob sie die Sibylle sei,
Ruft sie ehern durch den vollen Raum:
"Wehe morgen! Fechter, du bist todt!
Gute Fahrt! Dir thun sie nichts zu leid!
Morgen wehe! Horch! Die Tuba droht!
Eine weite Flamme weht und loht!
Wehe! Sie zerreißen mir das Kleid!"
Drinnen drängen ſie ſich Sitz an Sitz,
Jede Stufe ſtrotzt und wogt und ſchwillt.
Auf der Bühne züngeln hell und ſpitz
Kurze Schwerter. Schimmernd flirrt ein Blitz
Und ein erſter Sprudel Blutes quillt.
Starren Blickes, blaß vor Leidenſchaft,
Lauert vorgeneigt die Römerin
Auf die Sterbewunde — Eine gafft
Lüſtern. Eine ſinnt dämonenhaft.
Eine lauſcht mit hartem Mörderſinn.
An der raſch gedrehten Klingen Spiel
Haften Seelen gierig, ohne Zahl —
Traf der Stoß? Er ſaß. Ein Fechter fiel,
Wälzt ſich um im Sand und iſt am Ziel
Nach der kurz empfundnen Sterbequal.
Mark und Herz erſchütternd gellt ein Schrei!
Dort auf dem Balkon ein Weib im Traum!
Um die Schultern wehn die Haare frei
Und als ob ſie die Sibylle ſei,
Ruft ſie ehern durch den vollen Raum:
„Wehe morgen! Fechter, du biſt todt!
Gute Fahrt! Dir thun ſie nichts zu leid!
Morgen wehe! Horch! Die Tuba droht!
Eine weite Flamme weht und loht!
Wehe! Sie zerreißen mir das Kleid!“
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[214/0228] Drinnen drängen ſie ſich Sitz an Sitz, Jede Stufe ſtrotzt und wogt und ſchwillt. Auf der Bühne züngeln hell und ſpitz Kurze Schwerter. Schimmernd flirrt ein Blitz Und ein erſter Sprudel Blutes quillt. Starren Blickes, blaß vor Leidenſchaft, Lauert vorgeneigt die Römerin Auf die Sterbewunde — Eine gafft Lüſtern. Eine ſinnt dämonenhaft. Eine lauſcht mit hartem Mörderſinn. An der raſch gedrehten Klingen Spiel Haften Seelen gierig, ohne Zahl — Traf der Stoß? Er ſaß. Ein Fechter fiel, Wälzt ſich um im Sand und iſt am Ziel Nach der kurz empfundnen Sterbequal. Mark und Herz erſchütternd gellt ein Schrei! Dort auf dem Balkon ein Weib im Traum! Um die Schultern wehn die Haare frei Und als ob ſie die Sibylle ſei, Ruft ſie ehern durch den vollen Raum: „Wehe morgen! Fechter, du biſt todt! Gute Fahrt! Dir thun ſie nichts zu leid! Morgen wehe! Horch! Die Tuba droht! Eine weite Flamme weht und loht! Wehe! Sie zerreißen mir das Kleid!“

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/228>, abgerufen am 19.04.2024.