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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Er träumt. "Gesteh!" Sie schweigt. "Gieb ihn heraus!" Sie
schweigt.

Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut.
Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt ...
-- "Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!"
Durch die Tapetenthür in das Gemach gelangt,
Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr -- ergraut,
Dem gestern braun sich noch gekraust das Haar.
Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut.
Zersplittert liegen Aestetrümmer quer im Pfad.
Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch.
Friedsel'ge Wolken schwimmen durch die klare Luft,
Als kehrten Engel heim von einer nächt'gen Wacht.
Die dunkeln Schollen athmen kräft'gen Erdgeruch.
Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug.
Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: "Herr,
Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit
Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin.
Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn!" Der Andre spricht:
"Du sagst's! Dem größten König eigen! Heute ward
Sein Dienst mir schwer ... Gemordet hast du teuflisch mir
Mein Weib! Und lebst! ... Mein ist die Rache, redet Gott."

Er träumt. „Geſteh!“ Sie ſchweigt. „Gieb ihn heraus!“ Sie
ſchweigt.

Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut.
Aufſprüht und ziſcht ein Feuermeer, das ihn verſchlingt ...
— „Erwach! Du ſollteſt längſt von hinnen ſein! Es tagt!“
Durch die Tapetenthür in das Gemach gelangt,
Vor ſeinem Lager ſteht des Schloſſes Herr — ergraut,
Dem geſtern braun ſich noch gekrauſt das Haar.
Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt ſich heut.
Zerſplittert liegen Aeſtetrümmer quer im Pfad.
Die frühſten Vöglein zwitſchern, halb im Traume noch.
Friedſel'ge Wolken ſchwimmen durch die klare Luft,
Als kehrten Engel heim von einer nächt'gen Wacht.
Die dunkeln Schollen athmen kräft'gen Erdgeruch.
Die Ebne öffnet ſich. Im Felde geht ein Pflug.
Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr,
Ihr ſeid ein kluger Mann und voll Beſonnenheit
Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin.
Lebt wohl. Auf Nimmerwiederſehn!“ Der Andre ſpricht:
„Du ſagſt's! Dem größten König eigen! Heute ward
Sein Dienſt mir ſchwer ... Gemordet haſt du teufliſch mir
Mein Weib! Und lebſt! ... Mein iſt die Rache, redet Gott.“

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[328/0342] Er träumt. „Geſteh!“ Sie ſchweigt. „Gieb ihn heraus!“ Sie ſchweigt. Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut. Aufſprüht und ziſcht ein Feuermeer, das ihn verſchlingt ... — „Erwach! Du ſollteſt längſt von hinnen ſein! Es tagt!“ Durch die Tapetenthür in das Gemach gelangt, Vor ſeinem Lager ſteht des Schloſſes Herr — ergraut, Dem geſtern braun ſich noch gekrauſt das Haar. Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt ſich heut. Zerſplittert liegen Aeſtetrümmer quer im Pfad. Die frühſten Vöglein zwitſchern, halb im Traume noch. Friedſel'ge Wolken ſchwimmen durch die klare Luft, Als kehrten Engel heim von einer nächt'gen Wacht. Die dunkeln Schollen athmen kräft'gen Erdgeruch. Die Ebne öffnet ſich. Im Felde geht ein Pflug. Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr, Ihr ſeid ein kluger Mann und voll Beſonnenheit Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin. Lebt wohl. Auf Nimmerwiederſehn!“ Der Andre ſpricht: „Du ſagſt's! Dem größten König eigen! Heute ward Sein Dienſt mir ſchwer ... Gemordet haſt du teufliſch mir Mein Weib! Und lebſt! ... Mein iſt die Rache, redet Gott.“

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/342>, abgerufen am 19.03.2024.