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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Drittes Kapitel.

Waser drückte seinen Filz tiefer in die Stirn,
schnallte sein Ränzchen fester, und sprang, am jetzt steil
werdenden Abhange die weiten Windungen des Saum¬
pfades kürzend, eilig abwärts. Erst überschritt er die
Wurzeln blitzgeschwärzter, seltsam verdrehter Arvbäume
und die harten Rinnen ausgetrockneter Wildbäche, dann
trat er weichen Rasen und plötzlich lag das sammet¬
grüne Engadin geöffnet ihm zu Füßen mit seinen am
blitzenden Inn wie ein Geschmeide aufgereihten Berg¬
seen. Aber es war ein letzter Sonnenstrahl zwischen
Wolken, der es erhellte und thalabwärts in lichter Ferne
über dem See und den Weiden von St. Moritz regen¬
bogenfarbig spielte.

Dem Niedersteigenden gegenüber ragte eine kahle
dunkle Pyramide empor und daneben thalaufwärts ein
eben so hoher mit grünschimmernden Gletschern be¬

Drittes Kapitel.

Waſer drückte ſeinen Filz tiefer in die Stirn,
ſchnallte ſein Ränzchen feſter, und ſprang, am jetzt ſteil
werdenden Abhange die weiten Windungen des Saum¬
pfades kürzend, eilig abwärts. Erſt überſchritt er die
Wurzeln blitzgeſchwärzter, ſeltſam verdrehter Arvbäume
und die harten Rinnen ausgetrockneter Wildbäche, dann
trat er weichen Raſen und plötzlich lag das ſammet¬
grüne Engadin geöffnet ihm zu Füßen mit ſeinen am
blitzenden Inn wie ein Geſchmeide aufgereihten Berg¬
ſeen. Aber es war ein letzter Sonnenſtrahl zwiſchen
Wolken, der es erhellte und thalabwärts in lichter Ferne
über dem See und den Weiden von St. Moritz regen¬
bogenfarbig ſpielte.

Dem Niederſteigenden gegenüber ragte eine kahle
dunkle Pyramide empor und daneben thalaufwärts ein
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[0038] Drittes Kapitel. Waſer drückte ſeinen Filz tiefer in die Stirn, ſchnallte ſein Ränzchen feſter, und ſprang, am jetzt ſteil werdenden Abhange die weiten Windungen des Saum¬ pfades kürzend, eilig abwärts. Erſt überſchritt er die Wurzeln blitzgeſchwärzter, ſeltſam verdrehter Arvbäume und die harten Rinnen ausgetrockneter Wildbäche, dann trat er weichen Raſen und plötzlich lag das ſammet¬ grüne Engadin geöffnet ihm zu Füßen mit ſeinen am blitzenden Inn wie ein Geſchmeide aufgereihten Berg¬ ſeen. Aber es war ein letzter Sonnenſtrahl zwiſchen Wolken, der es erhellte und thalabwärts in lichter Ferne über dem See und den Weiden von St. Moritz regen¬ bogenfarbig ſpielte. Dem Niederſteigenden gegenüber ragte eine kahle dunkle Pyramide empor und daneben thalaufwärts ein eben ſo hoher mit grünſchimmernden Gletſchern be¬

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/38>, abgerufen am 24.04.2024.