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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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luken hinauf waren mit neugierigen Köpfen gefüllt.
Alles Volk wollte den guten Herzog noch einmal sehen
und begleitete ihn mit Wünschen und aufrichtigen
Thränen.

Als er an der Spitze seines stolzen Zuges lang¬
sam dem Thore sich näherte, fand er einen löblichen
Rath und die Geistlichkeit der Stadt zu seiner Rechten
aufgestellt. Die Herren hatten sich in vollem Ornat
jeder nach seinem Rang auf den Stufen einer breiten
Freitreppe vertheilt, die zu der Pforte eines patrizischen
Hauses führte. Beide Thürflügel standen weit offen
und im Flur wurden in schwarze Seide gekleidete
Frauengestalten sichtbar, die Gattinnen und Töchter der
Würdenträger, welchen ihre Stellung erlaubte, über die
Häupter der Stadt hinweg dem Herzog, den sie mit
Schmerzen scheiden sahen, einen letzten Gruß zuzuwinken.
Ihr Zartgefühl hatte ihnen verboten, sich wie bei einem
lustvollen Schauspiele auf dem Balkon und in den Fen¬
stern zu zeigen.

In der Mitte der Rathsherren fiel der Amts¬
bürgermeister Meyer als wahrhaft imposante Erschei¬
nung ins Auge. Nie hatte eine bürgermeisterliche Kette
mit ihrer großen runden Schaumünze bequemer gelegen
und selbstzufriedener geleuchtet, als die auf seiner brei¬
ten Brust ruhende; nie hatten ein seidener Strumpf

luken hinauf waren mit neugierigen Köpfen gefüllt.
Alles Volk wollte den guten Herzog noch einmal ſehen
und begleitete ihn mit Wünſchen und aufrichtigen
Thränen.

Als er an der Spitze ſeines ſtolzen Zuges lang¬
ſam dem Thore ſich näherte, fand er einen löblichen
Rath und die Geiſtlichkeit der Stadt zu ſeiner Rechten
aufgeſtellt. Die Herren hatten ſich in vollem Ornat
jeder nach ſeinem Rang auf den Stufen einer breiten
Freitreppe vertheilt, die zu der Pforte eines patriziſchen
Hauſes führte. Beide Thürflügel ſtanden weit offen
und im Flur wurden in ſchwarze Seide gekleidete
Frauengeſtalten ſichtbar, die Gattinnen und Töchter der
Würdenträger, welchen ihre Stellung erlaubte, über die
Häupter der Stadt hinweg dem Herzog, den ſie mit
Schmerzen ſcheiden ſahen, einen letzten Gruß zuzuwinken.
Ihr Zartgefühl hatte ihnen verboten, ſich wie bei einem
luſtvollen Schauſpiele auf dem Balkon und in den Fen¬
ſtern zu zeigen.

In der Mitte der Rathsherren fiel der Amts¬
bürgermeiſter Meyer als wahrhaft impoſante Erſchei¬
nung ins Auge. Nie hatte eine bürgermeiſterliche Kette
mit ihrer großen runden Schaumünze bequemer gelegen
und ſelbſtzufriedener geleuchtet, als die auf ſeiner brei¬
ten Bruſt ruhende; nie hatten ein ſeidener Strumpf

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[343/0353] luken hinauf waren mit neugierigen Köpfen gefüllt. Alles Volk wollte den guten Herzog noch einmal ſehen und begleitete ihn mit Wünſchen und aufrichtigen Thränen. Als er an der Spitze ſeines ſtolzen Zuges lang¬ ſam dem Thore ſich näherte, fand er einen löblichen Rath und die Geiſtlichkeit der Stadt zu ſeiner Rechten aufgeſtellt. Die Herren hatten ſich in vollem Ornat jeder nach ſeinem Rang auf den Stufen einer breiten Freitreppe vertheilt, die zu der Pforte eines patriziſchen Hauſes führte. Beide Thürflügel ſtanden weit offen und im Flur wurden in ſchwarze Seide gekleidete Frauengeſtalten ſichtbar, die Gattinnen und Töchter der Würdenträger, welchen ihre Stellung erlaubte, über die Häupter der Stadt hinweg dem Herzog, den ſie mit Schmerzen ſcheiden ſahen, einen letzten Gruß zuzuwinken. Ihr Zartgefühl hatte ihnen verboten, ſich wie bei einem luſtvollen Schauſpiele auf dem Balkon und in den Fen¬ ſtern zu zeigen. In der Mitte der Rathsherren fiel der Amts¬ bürgermeiſter Meyer als wahrhaft impoſante Erſchei¬ nung ins Auge. Nie hatte eine bürgermeiſterliche Kette mit ihrer großen runden Schaumünze bequemer gelegen und ſelbſtzufriedener geleuchtet, als die auf ſeiner brei¬ ten Bruſt ruhende; nie hatten ein ſeidener Strumpf

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/353>, abgerufen am 16.04.2024.