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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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ster haben uns wieder in den Strudel der Umwälzungen, dem
wir entgangen zu sein schienen, zurückgeschleudert. Der Einberu-
fungs-Erlaß für die beiden gesetzgebenden Kammern hofft, daß
die Herrschaft des Gesetzes in Berlin unterdessen wieder hergestellt
sein werde. Wir wünschen es sehnlichst. Bevor dies geschehen,
können wir uns eines Gefühls der Demüthigung, -- ja der
Schaam nicht erwehren, in dem Lande des großen Königs, der
nicht um einer Mühle willen das Recht verletzt wissen wollte,
jetzt die heiligsten, wohlerworbenen Rechte des Volks verletzt zu
sehen. Preußen muß diese Schmach auswetzen, um von dem
schwindelnden Abgrund der Ungesetzlichkeit wieder auf die sicheren
Ebenen des Gesetzes zu gelangen. Wir haben gewählt, ob-
gleich wir wußten, daß das Gesetz, was uns dazu einlud,
des Rechts entbehrt. Hätten wir nicht gewählt, so lie-
ferten wir uns gebunden in die Hände einer Partei. Da-
mit sie unsere Wahl nicht als eine Anerkennung der Gesetz-
lichkeit der Verfassung auslegen könne, haben wir, volksthüm-
liche Urwähler und Wahlmänner, auf eine ungesetzliche Grund-
lage uns stellend, gegen die Ungesetzlichkeit derselben uns ver-
wahrt. Nicht wir sind in den fehlerhaften Kreis verfallen, sondern
sind in denselben hineingeschleudert worden; und die gewählten
Vertreter des Volks haben nun die Wahl, entweder Ernst mit
der Verantwortlichkeit der Minister zu machen und Rechenschaft
von ihnen zu fordern, oder durch die nachträgliche Anerkennung
aller ihrer Staatsstreiche deren Formfehler zu decken.

Die Zurückführung in den früheren Stand der März-
errungenschaften ist aber die Aufgabe der neuen Kammern, da
ohne diese Zurückführung stets der Rechtszustand würde an-
gefochten werden können. Will ja schon das Glaubensbekennt-
niß des Wahlausschusses der Centren die Revision als Ver-
einbarung gefaßt wissen, freilich unter viel ungünstigeren Bedin-
gungen, als wir sie anzunehmen gesetzlich verpflichtet sind. So
mußte ohne langen Streit über grundsätzliche Fragen, durch eine
Verwahrung, -- wie sie schon der Vereinigte Landtag bei einer
ganz ähnlichen Nichtübereinstimmung der älteren Gesetzgebung
(vom 22. Mai 1815) mit der neueren (vom 3. Februar 1847),
einlegte, -- und durch die Forderung der oben angegebenen Aen-

ſter haben uns wieder in den Strudel der Umwälzungen, dem
wir entgangen zu ſein ſchienen, zurückgeſchleudert. Der Einberu-
fungs-Erlaß für die beiden geſetzgebenden Kammern hofft, daß
die Herrſchaft des Geſetzes in Berlin unterdeſſen wieder hergeſtellt
ſein werde. Wir wünſchen es ſehnlichſt. Bevor dies geſchehen,
können wir uns eines Gefühls der Demüthigung, — ja der
Schaam nicht erwehren, in dem Lande des großen Königs, der
nicht um einer Mühle willen das Recht verletzt wiſſen wollte,
jetzt die heiligſten, wohlerworbenen Rechte des Volks verletzt zu
ſehen. Preußen muß dieſe Schmach auswetzen, um von dem
ſchwindelnden Abgrund der Ungeſetzlichkeit wieder auf die ſicheren
Ebenen des Geſetzes zu gelangen. Wir haben gewählt, ob-
gleich wir wußten, daß das Geſetz, was uns dazu einlud,
des Rechts entbehrt. Hätten wir nicht gewählt, ſo lie-
ferten wir uns gebunden in die Hände einer Partei. Da-
mit ſie unſere Wahl nicht als eine Anerkennung der Geſetz-
lichkeit der Verfaſſung auslegen könne, haben wir, volksthüm-
liche Urwähler und Wahlmänner, auf eine ungeſetzliche Grund-
lage uns ſtellend, gegen die Ungeſetzlichkeit derſelben uns ver-
wahrt. Nicht wir ſind in den fehlerhaften Kreis verfallen, ſondern
ſind in denſelben hineingeſchleudert worden; und die gewählten
Vertreter des Volks haben nun die Wahl, entweder Ernſt mit
der Verantwortlichkeit der Miniſter zu machen und Rechenſchaft
von ihnen zu fordern, oder durch die nachträgliche Anerkennung
aller ihrer Staatsſtreiche deren Formfehler zu decken.

Die Zurückführung in den früheren Stand der März-
errungenſchaften iſt aber die Aufgabe der neuen Kammern, da
ohne dieſe Zurückführung ſtets der Rechtszuſtand würde an-
gefochten werden können. Will ja ſchon das Glaubensbekennt-
niß des Wahlausſchuſſes der Centren die Reviſion als Ver-
einbarung gefaßt wiſſen, freilich unter viel ungünſtigeren Bedin-
gungen, als wir ſie anzunehmen geſetzlich verpflichtet ſind. So
mußte ohne langen Streit über grundſätzliche Fragen, durch eine
Verwahrung, — wie ſie ſchon der Vereinigte Landtag bei einer
ganz ähnlichen Nichtübereinſtimmung der älteren Geſetzgebung
(vom 22. Mai 1815) mit der neueren (vom 3. Februar 1847),
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[31/0041] ſter haben uns wieder in den Strudel der Umwälzungen, dem wir entgangen zu ſein ſchienen, zurückgeſchleudert. Der Einberu- fungs-Erlaß für die beiden geſetzgebenden Kammern hofft, daß die Herrſchaft des Geſetzes in Berlin unterdeſſen wieder hergeſtellt ſein werde. Wir wünſchen es ſehnlichſt. Bevor dies geſchehen, können wir uns eines Gefühls der Demüthigung, — ja der Schaam nicht erwehren, in dem Lande des großen Königs, der nicht um einer Mühle willen das Recht verletzt wiſſen wollte, jetzt die heiligſten, wohlerworbenen Rechte des Volks verletzt zu ſehen. Preußen muß dieſe Schmach auswetzen, um von dem ſchwindelnden Abgrund der Ungeſetzlichkeit wieder auf die ſicheren Ebenen des Geſetzes zu gelangen. Wir haben gewählt, ob- gleich wir wußten, daß das Geſetz, was uns dazu einlud, des Rechts entbehrt. Hätten wir nicht gewählt, ſo lie- ferten wir uns gebunden in die Hände einer Partei. Da- mit ſie unſere Wahl nicht als eine Anerkennung der Geſetz- lichkeit der Verfaſſung auslegen könne, haben wir, volksthüm- liche Urwähler und Wahlmänner, auf eine ungeſetzliche Grund- lage uns ſtellend, gegen die Ungeſetzlichkeit derſelben uns ver- wahrt. Nicht wir ſind in den fehlerhaften Kreis verfallen, ſondern ſind in denſelben hineingeſchleudert worden; und die gewählten Vertreter des Volks haben nun die Wahl, entweder Ernſt mit der Verantwortlichkeit der Miniſter zu machen und Rechenſchaft von ihnen zu fordern, oder durch die nachträgliche Anerkennung aller ihrer Staatsſtreiche deren Formfehler zu decken. Die Zurückführung in den früheren Stand der März- errungenſchaften iſt aber die Aufgabe der neuen Kammern, da ohne dieſe Zurückführung ſtets der Rechtszuſtand würde an- gefochten werden können. Will ja ſchon das Glaubensbekennt- niß des Wahlausſchuſſes der Centren die Reviſion als Ver- einbarung gefaßt wiſſen, freilich unter viel ungünſtigeren Bedin- gungen, als wir ſie anzunehmen geſetzlich verpflichtet ſind. So mußte ohne langen Streit über grundſätzliche Fragen, durch eine Verwahrung, — wie ſie ſchon der Vereinigte Landtag bei einer ganz ähnlichen Nichtübereinſtimmung der älteren Geſetzgebung (vom 22. Mai 1815) mit der neueren (vom 3. Februar 1847), einlegte, — und durch die Forderung der oben angegebenen Aen-

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/41>, abgerufen am 28.03.2024.