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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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Oberhaupt zu Gebote stehen würde. Seitdem der König von Preußen
aber erklärt hat, sein Heer und seine Gesandten nicht in Deutsch-
land aufgehen lassen zu wollen, ist die wählbare Spitze unmög-
lich, wenn Deutschland nicht wieder zu einem Staatenbunde her-
abfallen soll. Oesterreichs Kaiserkrone und Eintrit in den Bundes-
staat ist unmöglich, nachdem es zu einem überwiegend slavischen
Kaiserreiche geworden ist, und Robert Blum auf der Brigittenau
mit Pulver und Blei ermordet hat. Der Vorschlag Oesterreichs,
mit einem bloßen Staatenhause in den Bundesstaat einzutreten,
ist unannehmbar, käme er auch nicht zu spät. Es bleibt also
jetzt nur die erbliche Kaiserwürde im Hause Hohenzollern übrig,
weil so allein Deutschland auf bleibende Weise ein einiger Bun-
desstaat werden kann, möge man es auch Kleindeutschland nennen.
Der Staat, welcher den Zollverein gründete, wird zur gesellschaft-
lichen Vereinigung auch die staatliche hinzuzufügen wissen: aber
freilich nur unter der Bedingung, daß er die volksthümliche Frei-
heit ganz bei sich zum Durchbruch bringt. Nichts beweist mehr
die Schwäche der Deutschen Volksvertretung, als daß sie sich vor
einer Verwaltung beugt, welche diese Freiheit in ihrem eigenen
Lande so mit Füßen tritt. Wir begrüßen das Wahlgesetz als
die erste Ermannung der Versammlung; und wir wollen anneh-
men, daß sie den Fürsten von seinen Rathgebern unterschieden
wissen wollte. Wenn zuerst das Erbkaiserthum nicht durchgegan-
gen war, so schien doch Alles darauf hinzudrängen, und der Aus-
fall der ersten Lesung mehr einer Schonung gewisser Erinnerungen
und Empfindlichkeiten, sicherlich auch äußerem Einfluß, so wie endlich
der Hartnäckigkeit der rechten Seite gegen die gerechten Forderungen der
linken zugeschrieben werden zu müssen. Die zweite Lesung der Reichsver-
fassung hat, wie wir hofften, ein anderes Ergebniß geliefert. Nur so
wird das Preußische Ministerium und das Reichsministerium, die
gesetzgebende Gewalt Preußens und Deutschlands zusammenfallen,
die acht Preußischen Provinzen aber in demselben Verhältniß zur
Bundesgewalt stehen, als die übrigen Staaten Deutschlands.
Eine jede würde sich ihre landständische Verfassung geben, und
einen, sei es vom Kaiser, sei es von der Gesetzgebung und dem
Provinzial-Rathe gewählten Statthalter an der Spitze ihrer aus-
übenden Gewalt erhalten. Diese Lösung der Deutschen Frage

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Oberhaupt zu Gebote ſtehen würde. Seitdem der König von Preußen
aber erklärt hat, ſein Heer und ſeine Geſandten nicht in Deutſch-
land aufgehen laſſen zu wollen, iſt die wählbare Spitze unmög-
lich, wenn Deutſchland nicht wieder zu einem Staatenbunde her-
abfallen ſoll. Oeſterreichs Kaiſerkrone und Eintrit in den Bundes-
ſtaat iſt unmöglich, nachdem es zu einem überwiegend ſlaviſchen
Kaiſerreiche geworden iſt, und Robert Blum auf der Brigittenau
mit Pulver und Blei ermordet hat. Der Vorſchlag Oeſterreichs,
mit einem bloßen Staatenhauſe in den Bundesſtaat einzutreten,
iſt unannehmbar, käme er auch nicht zu ſpät. Es bleibt alſo
jetzt nur die erbliche Kaiſerwürde im Hauſe Hohenzollern übrig,
weil ſo allein Deutſchland auf bleibende Weiſe ein einiger Bun-
desſtaat werden kann, möge man es auch Kleindeutſchland nennen.
Der Staat, welcher den Zollverein gründete, wird zur geſellſchaft-
lichen Vereinigung auch die ſtaatliche hinzuzufügen wiſſen: aber
freilich nur unter der Bedingung, daß er die volksthümliche Frei-
heit ganz bei ſich zum Durchbruch bringt. Nichts beweiſt mehr
die Schwäche der Deutſchen Volksvertretung, als daß ſie ſich vor
einer Verwaltung beugt, welche dieſe Freiheit in ihrem eigenen
Lande ſo mit Füßen tritt. Wir begrüßen das Wahlgeſetz als
die erſte Ermannung der Verſammlung; und wir wollen anneh-
men, daß ſie den Fürſten von ſeinen Rathgebern unterſchieden
wiſſen wollte. Wenn zuerſt das Erbkaiſerthum nicht durchgegan-
gen war, ſo ſchien doch Alles darauf hinzudrängen, und der Aus-
fall der erſten Leſung mehr einer Schonung gewiſſer Erinnerungen
und Empfindlichkeiten, ſicherlich auch äußerem Einfluß, ſo wie endlich
der Hartnäckigkeit der rechten Seite gegen die gerechten Forderungen der
linken zugeſchrieben werden zu müſſen. Die zweite Leſung der Reichsver-
faſſung hat, wie wir hofften, ein anderes Ergebniß geliefert. Nur ſo
wird das Preußiſche Miniſterium und das Reichsminiſterium, die
geſetzgebende Gewalt Preußens und Deutſchlands zuſammenfallen,
die acht Preußiſchen Provinzen aber in demſelben Verhältniß zur
Bundesgewalt ſtehen, als die übrigen Staaten Deutſchlands.
Eine jede würde ſich ihre landſtändiſche Verfaſſung geben, und
einen, ſei es vom Kaiſer, ſei es von der Geſetzgebung und dem
Provinzial-Rathe gewählten Statthalter an der Spitze ihrer aus-
übenden Gewalt erhalten. Dieſe Löſung der Deutſchen Frage

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[33/0043] Oberhaupt zu Gebote ſtehen würde. Seitdem der König von Preußen aber erklärt hat, ſein Heer und ſeine Geſandten nicht in Deutſch- land aufgehen laſſen zu wollen, iſt die wählbare Spitze unmög- lich, wenn Deutſchland nicht wieder zu einem Staatenbunde her- abfallen ſoll. Oeſterreichs Kaiſerkrone und Eintrit in den Bundes- ſtaat iſt unmöglich, nachdem es zu einem überwiegend ſlaviſchen Kaiſerreiche geworden iſt, und Robert Blum auf der Brigittenau mit Pulver und Blei ermordet hat. Der Vorſchlag Oeſterreichs, mit einem bloßen Staatenhauſe in den Bundesſtaat einzutreten, iſt unannehmbar, käme er auch nicht zu ſpät. Es bleibt alſo jetzt nur die erbliche Kaiſerwürde im Hauſe Hohenzollern übrig, weil ſo allein Deutſchland auf bleibende Weiſe ein einiger Bun- desſtaat werden kann, möge man es auch Kleindeutſchland nennen. Der Staat, welcher den Zollverein gründete, wird zur geſellſchaft- lichen Vereinigung auch die ſtaatliche hinzuzufügen wiſſen: aber freilich nur unter der Bedingung, daß er die volksthümliche Frei- heit ganz bei ſich zum Durchbruch bringt. Nichts beweiſt mehr die Schwäche der Deutſchen Volksvertretung, als daß ſie ſich vor einer Verwaltung beugt, welche dieſe Freiheit in ihrem eigenen Lande ſo mit Füßen tritt. Wir begrüßen das Wahlgeſetz als die erſte Ermannung der Verſammlung; und wir wollen anneh- men, daß ſie den Fürſten von ſeinen Rathgebern unterſchieden wiſſen wollte. Wenn zuerſt das Erbkaiſerthum nicht durchgegan- gen war, ſo ſchien doch Alles darauf hinzudrängen, und der Aus- fall der erſten Leſung mehr einer Schonung gewiſſer Erinnerungen und Empfindlichkeiten, ſicherlich auch äußerem Einfluß, ſo wie endlich der Hartnäckigkeit der rechten Seite gegen die gerechten Forderungen der linken zugeſchrieben werden zu müſſen. Die zweite Leſung der Reichsver- faſſung hat, wie wir hofften, ein anderes Ergebniß geliefert. Nur ſo wird das Preußiſche Miniſterium und das Reichsminiſterium, die geſetzgebende Gewalt Preußens und Deutſchlands zuſammenfallen, die acht Preußiſchen Provinzen aber in demſelben Verhältniß zur Bundesgewalt ſtehen, als die übrigen Staaten Deutſchlands. Eine jede würde ſich ihre landſtändiſche Verfaſſung geben, und einen, ſei es vom Kaiſer, ſei es von der Geſetzgebung und dem Provinzial-Rathe gewählten Statthalter an der Spitze ihrer aus- übenden Gewalt erhalten. Dieſe Löſung der Deutſchen Frage 3

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/43>, abgerufen am 28.03.2024.