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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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V. Ohrenschinder.
Plätze und Promenaden für ihre Knallübungen aus, und kein
Arm der Behörde stört sie. Nächst diesen erbarmungslosesten
aller Ohrenschinder gibt es aber noch eine Legion bös-
artiger anderer. Man braucht in der That nicht Schopen-
hauer's
Weltansicht zu theilen, um ihm doch aufrichtig beizu-
stimmen in dem, was er über die "Verschwörung der Hand-
arbeit gegen die Kopfarbeit" sagt *).

Wo fange ich an und wo höre ich auf, um alle Arten
von Attentaten aufzuzählen, die empfindliche Ohren und
Nerven in Stadt und Land zu erdulden haben! Soll ich eine
Eintheilung versuchen in tägliche und nächtliche Ruhestörer,
in berufsmäßige, gedankenlose, muth- und böswillige? --
Manche Behörden widmen der Sache eine dankenswerthe
Fürsorge, so z. B. erinnere ich mich, daß in W. durch öffent-
lichen Aufruf die Dienstboten ermahnt wurden, sich alles
unnöthigen Lärmens zu enthalten und Abends nach neun
Uhr hübsch zu Hause zu bleiben. Ein Gegenstück dazu bildet
die Polizei in B., welche nicht Auge noch Ohr hat für
Straßenunfug von Bauerburschen, Kindern und Hunden, nur
streng darauf hält, daß jeder Droschkenkutscher beim Fahren
weiße Handschuhe angezogen hat, ihre ganze Thätigkeit scheint
sich darin zu erschöpfen.

Kleinere Curorte würden auch ihr eigenes Interesse för-

*) "Dieser plötzliche, scharfe, hirnzerschneidende und gedankenmörderische Knall
muß von Jedem, der nur irgend etwas einem Gedanken Aehnliches im Kopfe
herumträgt, schmerzlich empfunden werden .... Hiezu nun aber nehme man, daß
das vermaledeite Peitschenknallen nicht nur unnöthig, sondern sogar unnütz ist; die
beabsichtigte Wirkung auf die Pferde ist durch die Gewohnheit, welche der unablässige
Mißbrauch der Sache herbeigeführt hat, ganz abgestumpft und bleibt aus: sie be-
schleunigen ihren Schritt nicht danach, die leiseste Berührung mit der Peitsche wirkt
mehr ... Durch polizeiliche Verordnung eines Knotens am Ende jeder Schnur wäre
die Barbarei beseitigt ... Daß nun aber ein Kerl, der, mit ledigen Postpferden oder
auf einem Karrengaul die engen Straßen einer Stadt durchreitend, mit einer klafter-
langen Peitsche aus Leibeskräften unaufhörlich klatscht, nicht verdiene, sogleich
abzusitzen, um fünf aufrichtig gemeinte Stockprügel zu empfangen, das werden mir
alle Philanthropen der Welt nicht einreden."

V. Ohrenſchinder.
Plätze und Promenaden für ihre Knallübungen aus, und kein
Arm der Behörde ſtört ſie. Nächſt dieſen erbarmungsloſeſten
aller Ohrenſchinder gibt es aber noch eine Legion bös-
artiger anderer. Man braucht in der That nicht Schopen-
hauer’s
Weltanſicht zu theilen, um ihm doch aufrichtig beizu-
ſtimmen in dem, was er über die „Verſchwörung der Hand-
arbeit gegen die Kopfarbeit“ ſagt *).

Wo fange ich an und wo höre ich auf, um alle Arten
von Attentaten aufzuzählen, die empfindliche Ohren und
Nerven in Stadt und Land zu erdulden haben! Soll ich eine
Eintheilung verſuchen in tägliche und nächtliche Ruheſtörer,
in berufsmäßige, gedankenloſe, muth- und böswillige? —
Manche Behörden widmen der Sache eine dankenswerthe
Fürſorge, ſo z. B. erinnere ich mich, daß in W. durch öffent-
lichen Aufruf die Dienſtboten ermahnt wurden, ſich alles
unnöthigen Lärmens zu enthalten und Abends nach neun
Uhr hübſch zu Hauſe zu bleiben. Ein Gegenſtück dazu bildet
die Polizei in B., welche nicht Auge noch Ohr hat für
Straßenunfug von Bauerburſchen, Kindern und Hunden, nur
ſtreng darauf hält, daß jeder Droſchkenkutſcher beim Fahren
weiße Handſchuhe angezogen hat, ihre ganze Thätigkeit ſcheint
ſich darin zu erſchöpfen.

Kleinere Curorte würden auch ihr eigenes Intereſſe för-

*) „Dieſer plötzliche, ſcharfe, hirnzerſchneidende und gedankenmörderiſche Knall
muß von Jedem, der nur irgend etwas einem Gedanken Aehnliches im Kopfe
herumträgt, ſchmerzlich empfunden werden .... Hiezu nun aber nehme man, daß
das vermaledeite Peitſchenknallen nicht nur unnöthig, ſondern ſogar unnütz iſt; die
beabſichtigte Wirkung auf die Pferde iſt durch die Gewohnheit, welche der unabläſſige
Mißbrauch der Sache herbeigeführt hat, ganz abgeſtumpft und bleibt aus: ſie be-
ſchleunigen ihren Schritt nicht danach, die leiſeſte Berührung mit der Peitſche wirkt
mehr … Durch polizeiliche Verordnung eines Knotens am Ende jeder Schnur wäre
die Barbarei beſeitigt … Daß nun aber ein Kerl, der, mit ledigen Poſtpferden oder
auf einem Karrengaul die engen Straßen einer Stadt durchreitend, mit einer klafter-
langen Peitſche aus Leibeskräften unaufhörlich klatſcht, nicht verdiene, ſogleich
abzuſitzen, um fünf aufrichtig gemeinte Stockprügel zu empfangen, das werden mir
alle Philanthropen der Welt nicht einreden.“
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[112/0126] V. Ohrenſchinder. Plätze und Promenaden für ihre Knallübungen aus, und kein Arm der Behörde ſtört ſie. Nächſt dieſen erbarmungsloſeſten aller Ohrenſchinder gibt es aber noch eine Legion bös- artiger anderer. Man braucht in der That nicht Schopen- hauer’s Weltanſicht zu theilen, um ihm doch aufrichtig beizu- ſtimmen in dem, was er über die „Verſchwörung der Hand- arbeit gegen die Kopfarbeit“ ſagt *). Wo fange ich an und wo höre ich auf, um alle Arten von Attentaten aufzuzählen, die empfindliche Ohren und Nerven in Stadt und Land zu erdulden haben! Soll ich eine Eintheilung verſuchen in tägliche und nächtliche Ruheſtörer, in berufsmäßige, gedankenloſe, muth- und böswillige? — Manche Behörden widmen der Sache eine dankenswerthe Fürſorge, ſo z. B. erinnere ich mich, daß in W. durch öffent- lichen Aufruf die Dienſtboten ermahnt wurden, ſich alles unnöthigen Lärmens zu enthalten und Abends nach neun Uhr hübſch zu Hauſe zu bleiben. Ein Gegenſtück dazu bildet die Polizei in B., welche nicht Auge noch Ohr hat für Straßenunfug von Bauerburſchen, Kindern und Hunden, nur ſtreng darauf hält, daß jeder Droſchkenkutſcher beim Fahren weiße Handſchuhe angezogen hat, ihre ganze Thätigkeit ſcheint ſich darin zu erſchöpfen. Kleinere Curorte würden auch ihr eigenes Intereſſe för- *) „Dieſer plötzliche, ſcharfe, hirnzerſchneidende und gedankenmörderiſche Knall muß von Jedem, der nur irgend etwas einem Gedanken Aehnliches im Kopfe herumträgt, ſchmerzlich empfunden werden .... Hiezu nun aber nehme man, daß das vermaledeite Peitſchenknallen nicht nur unnöthig, ſondern ſogar unnütz iſt; die beabſichtigte Wirkung auf die Pferde iſt durch die Gewohnheit, welche der unabläſſige Mißbrauch der Sache herbeigeführt hat, ganz abgeſtumpft und bleibt aus: ſie be- ſchleunigen ihren Schritt nicht danach, die leiſeſte Berührung mit der Peitſche wirkt mehr … Durch polizeiliche Verordnung eines Knotens am Ende jeder Schnur wäre die Barbarei beſeitigt … Daß nun aber ein Kerl, der, mit ledigen Poſtpferden oder auf einem Karrengaul die engen Straßen einer Stadt durchreitend, mit einer klafter- langen Peitſche aus Leibeskräften unaufhörlich klatſcht, nicht verdiene, ſogleich abzuſitzen, um fünf aufrichtig gemeinte Stockprügel zu empfangen, das werden mir alle Philanthropen der Welt nicht einreden.“

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/126>, abgerufen am 24.04.2024.