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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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ausnehmende Art bewegt; ich gab immer auf dich
Achtung, aber ich wollte nichts davon sagen. Es
schienen mancherley sonderbare Veränderungen in
dir vorzugehen. Heute muß ich nun aufrichtig
mit dir reden. Der Pater Anton lag mir schon
lange an, daß ich dich ins Kloster thun sollte. Jch
hatte wenig Lust, weil ich deine Munterkeit kannte,
die sich nicht fürs Kloster schickt; und deswegen
hab ich dich auch nie mitnehmen wollen. Nun ists
einmal geschehen, weil du mir keine Ruhe liessest.
Du sagtest gestern dem Pater Anton, daß du Lust
zum Klosterleben hättest. Er fieng das auf, und
sagte es gleich vor den andern Mönchen. Diese
freuen sich nun immer, wenn sie neue Ankömm-
linge bekommen können. Sie werden heute gleich
wieder davon anfangen, und darum wollt ich erst
mit dir davon reden. Du sagst, es habe dir vom
Kloster geträumt; was war es denn?

Jch war in der Kirche, sagte Xaver, wo die
Kapuziner alle um mich herum stunden. Jch soll-
te zum Altar hin gehen; und da war mirs, als
ob Engel herabkämen, und als ob die selige Ma-
ma mit der Mutter Gottes käme, und mir wink-
te, daß ich hingehen sollte. Jch wachte dann wie-
der auf, und konnte nicht mehr einschlafen.



ausnehmende Art bewegt; ich gab immer auf dich
Achtung, aber ich wollte nichts davon ſagen. Es
ſchienen mancherley ſonderbare Veraͤnderungen in
dir vorzugehen. Heute muß ich nun aufrichtig
mit dir reden. Der Pater Anton lag mir ſchon
lange an, daß ich dich ins Kloſter thun ſollte. Jch
hatte wenig Luſt, weil ich deine Munterkeit kannte,
die ſich nicht fuͤrs Kloſter ſchickt; und deswegen
hab ich dich auch nie mitnehmen wollen. Nun iſts
einmal geſchehen, weil du mir keine Ruhe lieſſeſt.
Du ſagteſt geſtern dem Pater Anton, daß du Luſt
zum Kloſterleben haͤtteſt. Er fieng das auf, und
ſagte es gleich vor den andern Moͤnchen. Dieſe
freuen ſich nun immer, wenn ſie neue Ankoͤmm-
linge bekommen koͤnnen. Sie werden heute gleich
wieder davon anfangen, und darum wollt ich erſt
mit dir davon reden. Du ſagſt, es habe dir vom
Kloſter getraͤumt; was war es denn?

Jch war in der Kirche, ſagte Xaver, wo die
Kapuziner alle um mich herum ſtunden. Jch ſoll-
te zum Altar hin gehen; und da war mirs, als
ob Engel herabkaͤmen, und als ob die ſelige Ma-
ma mit der Mutter Gottes kaͤme, und mir wink-
te, daß ich hingehen ſollte. Jch wachte dann wie-
der auf, und konnte nicht mehr einſchlafen.

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[31/0035] ausnehmende Art bewegt; ich gab immer auf dich Achtung, aber ich wollte nichts davon ſagen. Es ſchienen mancherley ſonderbare Veraͤnderungen in dir vorzugehen. Heute muß ich nun aufrichtig mit dir reden. Der Pater Anton lag mir ſchon lange an, daß ich dich ins Kloſter thun ſollte. Jch hatte wenig Luſt, weil ich deine Munterkeit kannte, die ſich nicht fuͤrs Kloſter ſchickt; und deswegen hab ich dich auch nie mitnehmen wollen. Nun iſts einmal geſchehen, weil du mir keine Ruhe lieſſeſt. Du ſagteſt geſtern dem Pater Anton, daß du Luſt zum Kloſterleben haͤtteſt. Er fieng das auf, und ſagte es gleich vor den andern Moͤnchen. Dieſe freuen ſich nun immer, wenn ſie neue Ankoͤmm- linge bekommen koͤnnen. Sie werden heute gleich wieder davon anfangen, und darum wollt ich erſt mit dir davon reden. Du ſagſt, es habe dir vom Kloſter getraͤumt; was war es denn? Jch war in der Kirche, ſagte Xaver, wo die Kapuziner alle um mich herum ſtunden. Jch ſoll- te zum Altar hin gehen; und da war mirs, als ob Engel herabkaͤmen, und als ob die ſelige Ma- ma mit der Mutter Gottes kaͤme, und mir wink- te, daß ich hingehen ſollte. Jch wachte dann wie- der auf, und konnte nicht mehr einſchlafen.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/35>, abgerufen am 29.03.2024.