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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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mit dem Menschen umgeht, und so alles aus ei-
nem macht, was sie will! Da wollt ich dir den
Brief holen; es hieß, der Bothe hab keinen mit-
gebracht, und da wars, als ob ich auf Einmal
ein ganz andrer Mensch wurde. Jch raste, und
hätt einen umbringen können, der mir in Weg
gekommen wäre! Jch sah und hörte nichts; oder,
was ich sah, das war mir ärgerlich. Jch lief, wie
ein Unsinniger beym Thor hinaus; fluchte bey
mir selbst, und hätte darauf geschworen, deine
Schwester hab mich schon vergessen! -- Und nun
schreibt sie mir da einen so herrlichen und lieben
Brief. O ich möchte mich vor den Kopf schlagen,
daß ich so ein Tollkopf bin, und ihr so Unrecht
that! -- Da siehst du, sagte Siegwart, daß der
P. Philipp Recht hat: Man soll sich von der Lie-
be nicht so ganz beherrschen lassen! Du bist seit
der Zeit viel ungeduldiger und auffahrender. Alles
ärgert dich, wenns nicht immer gleich nach Wunsch
geht. -- Freylich; sagte Kronhelm; aber hab
nur Geduld mit mir, Bruder! Jch will mich war-
lich bessern! Deine Schwester ist so ein sanftes,
nachgiebiges Mädchen; sie weis sich in alles so
zu schicken; und ich bin so ein aufbrausender Kerl[,]
der gleich mit dem Kopf durch die Wand will. O



mit dem Menſchen umgeht, und ſo alles aus ei-
nem macht, was ſie will! Da wollt ich dir den
Brief holen; es hieß, der Bothe hab keinen mit-
gebracht, und da wars, als ob ich auf Einmal
ein ganz andrer Menſch wurde. Jch raſte, und
haͤtt einen umbringen koͤnnen, der mir in Weg
gekommen waͤre! Jch ſah und hoͤrte nichts; oder,
was ich ſah, das war mir aͤrgerlich. Jch lief, wie
ein Unſinniger beym Thor hinaus; fluchte bey
mir ſelbſt, und haͤtte darauf geſchworen, deine
Schweſter hab mich ſchon vergeſſen! — Und nun
ſchreibt ſie mir da einen ſo herrlichen und lieben
Brief. O ich moͤchte mich vor den Kopf ſchlagen,
daß ich ſo ein Tollkopf bin, und ihr ſo Unrecht
that! — Da ſiehſt du, ſagte Siegwart, daß der
P. Philipp Recht hat: Man ſoll ſich von der Lie-
be nicht ſo ganz beherrſchen laſſen! Du biſt ſeit
der Zeit viel ungeduldiger und auffahrender. Alles
aͤrgert dich, wenns nicht immer gleich nach Wunſch
geht. — Freylich; ſagte Kronhelm; aber hab
nur Geduld mit mir, Bruder! Jch will mich war-
lich beſſern! Deine Schweſter iſt ſo ein ſanftes,
nachgiebiges Maͤdchen; ſie weis ſich in alles ſo
zu ſchicken; und ich bin ſo ein aufbrauſender Kerl[,]
der gleich mit dem Kopf durch die Wand will. O

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[444/0024] mit dem Menſchen umgeht, und ſo alles aus ei- nem macht, was ſie will! Da wollt ich dir den Brief holen; es hieß, der Bothe hab keinen mit- gebracht, und da wars, als ob ich auf Einmal ein ganz andrer Menſch wurde. Jch raſte, und haͤtt einen umbringen koͤnnen, der mir in Weg gekommen waͤre! Jch ſah und hoͤrte nichts; oder, was ich ſah, das war mir aͤrgerlich. Jch lief, wie ein Unſinniger beym Thor hinaus; fluchte bey mir ſelbſt, und haͤtte darauf geſchworen, deine Schweſter hab mich ſchon vergeſſen! — Und nun ſchreibt ſie mir da einen ſo herrlichen und lieben Brief. O ich moͤchte mich vor den Kopf ſchlagen, daß ich ſo ein Tollkopf bin, und ihr ſo Unrecht that! — Da ſiehſt du, ſagte Siegwart, daß der P. Philipp Recht hat: Man ſoll ſich von der Lie- be nicht ſo ganz beherrſchen laſſen! Du biſt ſeit der Zeit viel ungeduldiger und auffahrender. Alles aͤrgert dich, wenns nicht immer gleich nach Wunſch geht. — Freylich; ſagte Kronhelm; aber hab nur Geduld mit mir, Bruder! Jch will mich war- lich beſſern! Deine Schweſter iſt ſo ein ſanftes, nachgiebiges Maͤdchen; ſie weis ſich in alles ſo zu ſchicken; und ich bin ſo ein aufbrauſender Kerl, der gleich mit dem Kopf durch die Wand will. O

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/24>, abgerufen am 28.03.2024.