Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

Bild:
<< vorherige Seite


Modestin. Jch gebe ihm gerne zu, daß je näher
der Begriff oder die Ideaen mit der Wahrheit derer
Sachen, (worauff sie sich gründen) übereinkommt,
je besser es sey. Jch bin aber auch gewiß 1) daß
je unpartheyischer einer ist, und besser sein Verstand
die Ideaen zu combiniren weiß; je geschickter ist er das
wahre vom falschen zu entscheiden. 2) Daß zu
regulirung eines Christlichen Wandels, und zur
Vereinigung mit GOtt, als dem höchsten Guth,
nicht viele Bilder; sondern Liebe erfodert werde.
Daß man auch die Sache meistens gantz verkehrt
anfange: indeme, daß da man die Liebe zum Grund
und Fundament setzen und GOtt um die Erleuch-
tung des Verstandes bitten sollte: man es gemeinig-
lich gantz umkehret und nur bemühet ist den Hirn-
Kasten mit mancherley Fragen, Bildern und von
vielen selbst geformten; ja gar auch mit falschen der
Wahrheit zuwiderlauffenden Articuln anzufüllen.
Und solches nennet man denn einen Echten ortho-
doxen
seligmachenden Glauben. Und mag das
Leben dem Willen GOttes so wenig gemäs und
gleichförmig seyn, als ein AEtiopischer Mohr einem
weissen Europäer: so preiset man einen solchen doch
gar selig; wenn er nur glaubet was die Kirch glau-
bet (wenn er auch gleich selbst den zehenden Theil
davon nicht weiß noch verstehet,) wenn man nur sei-
nen Catechismum gelernet, fleißig in die Kirche und
zum Sacrament kommt, und hält ihn vor einen
recht guten Christen, ob er gleich sonsten voller Eigen-
Liebe, Geitz, Hochmut, Wollust u. d. g. ist. Was das
nun vor eine seine Christliche Gemeinde seye, die mei-
sten-


Modeſtin. Jch gebe ihm gerne zu, daß je naͤher
der Begriff oder die Ideæn mit der Wahrheit derer
Sachen, (worauff ſie ſich gruͤnden) uͤbereinkommt,
je beſſer es ſey. Jch bin aber auch gewiß 1) daß
je unpartheyiſcher einer iſt, und beſſer ſein Verſtand
die Ideæn zu combiniren weiß; je geſchickter iſt er das
wahre vom falſchen zu entſcheiden. 2) Daß zu
regulirung eines Chriſtlichen Wandels, und zur
Vereinigung mit GOtt, als dem hoͤchſten Guth,
nicht viele Bilder; ſondern Liebe erfodert werde.
Daß man auch die Sache meiſtens gantz verkehrt
anfange: indeme, daß da man die Liebe zum Grund
und Fundament ſetzen und GOtt um die Erleuch-
tung des Verſtandes bitten ſollte: man es gemeinig-
lich gantz umkehret und nur bemuͤhet iſt den Hirn-
Kaſten mit mancherley Fragen, Bildern und von
vielen ſelbſt geformten; ja gar auch mit falſchen der
Wahrheit zuwiderlauffenden Articuln anzufuͤllen.
Und ſolches nennet man denn einen Echten ortho-
doxen
ſeligmachenden Glauben. Und mag das
Leben dem Willen GOttes ſo wenig gemaͤs und
gleichfoͤrmig ſeyn, als ein Ætiopiſcher Mohr einem
weiſſen Europaͤer: ſo preiſet man einen ſolchen doch
gar ſelig; wenn er nur glaubet was die Kirch glau-
bet (wenn er auch gleich ſelbſt den zehenden Theil
davon nicht weiß noch verſtehet,) wenn man nur ſei-
nen Catechiſmum gelernet, fleißig in die Kirche und
zum Sacrament kommt, und haͤlt ihn vor einen
recht guten Chriſten, ob er gleich ſonſten voller Eigen-
Liebe, Geitz, Hochmut, Wolluſt u. d. g. iſt. Was das
nun vor eine ſeine Chriſtliche Gemeinde ſeye, die mei-
ſten-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0038" n="32"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Mode&#x017F;tin.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Jch gebe ihm gerne zu, daß je na&#x0364;her<lb/>
der Begriff oder die <hi rendition="#aq">Ideæn</hi> mit der Wahrheit derer<lb/>
Sachen, (worauff &#x017F;ie &#x017F;ich gru&#x0364;nden) u&#x0364;bereinkommt,<lb/>
je be&#x017F;&#x017F;er es &#x017F;ey. Jch bin aber auch gewiß 1) daß<lb/>
je unpartheyi&#x017F;cher einer i&#x017F;t, und be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ein Ver&#x017F;tand<lb/>
die <hi rendition="#aq">Ideæn</hi> zu <hi rendition="#aq">combini</hi>ren weiß; je ge&#x017F;chickter i&#x017F;t er das<lb/>
wahre vom fal&#x017F;chen zu ent&#x017F;cheiden. 2) Daß zu<lb/><hi rendition="#aq">reguli</hi>rung eines Chri&#x017F;tlichen Wandels, und zur<lb/>
Vereinigung mit GOtt, als dem ho&#x0364;ch&#x017F;ten Guth,<lb/>
nicht viele Bilder; &#x017F;ondern <hi rendition="#fr">Liebe</hi> erfodert werde.<lb/>
Daß man auch die Sache mei&#x017F;tens gantz verkehrt<lb/>
anfange: indeme, daß da man die Liebe zum Grund<lb/>
und Fundament &#x017F;etzen und GOtt um die Erleuch-<lb/>
tung des Ver&#x017F;tandes bitten &#x017F;ollte: man es gemeinig-<lb/>
lich gantz umkehret und nur bemu&#x0364;het i&#x017F;t den Hirn-<lb/>
Ka&#x017F;ten mit mancherley Fragen, Bildern und von<lb/>
vielen &#x017F;elb&#x017F;t geformten; ja gar auch mit fal&#x017F;chen der<lb/>
Wahrheit zuwiderlauffenden Articuln anzufu&#x0364;llen.<lb/>
Und &#x017F;olches nennet man denn einen Echten <hi rendition="#aq">ortho-<lb/>
doxen</hi> &#x017F;eligmachenden Glauben. Und mag das<lb/>
Leben dem Willen GOttes &#x017F;o wenig gema&#x0364;s und<lb/>
gleichfo&#x0364;rmig &#x017F;eyn, als ein <hi rendition="#aq">Ætiopi</hi>&#x017F;cher Mohr einem<lb/>
wei&#x017F;&#x017F;en Europa&#x0364;er: &#x017F;o prei&#x017F;et man einen &#x017F;olchen doch<lb/>
gar &#x017F;elig; wenn er nur glaubet was die Kirch glau-<lb/>
bet (wenn er auch gleich &#x017F;elb&#x017F;t den zehenden Theil<lb/>
davon nicht weiß noch ver&#x017F;tehet,) wenn man nur &#x017F;ei-<lb/>
nen Catechi&#x017F;mum gelernet, fleißig in die Kirche und<lb/>
zum Sacrament kommt, und ha&#x0364;lt ihn vor einen<lb/>
recht guten Chri&#x017F;ten, ob er gleich &#x017F;on&#x017F;ten voller Eigen-<lb/>
Liebe, Geitz, Hochmut, Wollu&#x017F;t u. d. g. i&#x017F;t. Was das<lb/>
nun vor eine &#x017F;eine Chri&#x017F;tliche Gemeinde &#x017F;eye, die mei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ten-</fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0038] Modeſtin. Jch gebe ihm gerne zu, daß je naͤher der Begriff oder die Ideæn mit der Wahrheit derer Sachen, (worauff ſie ſich gruͤnden) uͤbereinkommt, je beſſer es ſey. Jch bin aber auch gewiß 1) daß je unpartheyiſcher einer iſt, und beſſer ſein Verſtand die Ideæn zu combiniren weiß; je geſchickter iſt er das wahre vom falſchen zu entſcheiden. 2) Daß zu regulirung eines Chriſtlichen Wandels, und zur Vereinigung mit GOtt, als dem hoͤchſten Guth, nicht viele Bilder; ſondern Liebe erfodert werde. Daß man auch die Sache meiſtens gantz verkehrt anfange: indeme, daß da man die Liebe zum Grund und Fundament ſetzen und GOtt um die Erleuch- tung des Verſtandes bitten ſollte: man es gemeinig- lich gantz umkehret und nur bemuͤhet iſt den Hirn- Kaſten mit mancherley Fragen, Bildern und von vielen ſelbſt geformten; ja gar auch mit falſchen der Wahrheit zuwiderlauffenden Articuln anzufuͤllen. Und ſolches nennet man denn einen Echten ortho- doxen ſeligmachenden Glauben. Und mag das Leben dem Willen GOttes ſo wenig gemaͤs und gleichfoͤrmig ſeyn, als ein Ætiopiſcher Mohr einem weiſſen Europaͤer: ſo preiſet man einen ſolchen doch gar ſelig; wenn er nur glaubet was die Kirch glau- bet (wenn er auch gleich ſelbſt den zehenden Theil davon nicht weiß noch verſtehet,) wenn man nur ſei- nen Catechiſmum gelernet, fleißig in die Kirche und zum Sacrament kommt, und haͤlt ihn vor einen recht guten Chriſten, ob er gleich ſonſten voller Eigen- Liebe, Geitz, Hochmut, Wolluſt u. d. g. iſt. Was das nun vor eine ſeine Chriſtliche Gemeinde ſeye, die mei- ſten-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/38
Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/38>, abgerufen am 18.04.2024.