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Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

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Charwoche.
O Woche, Zeugin heiliger Beschwerde!
Du stimmst so ernst zu dieser Frühlingswonne,
Du breitest im verjüngten Strahl der Sonne
Des Kreuzes Schatten auf die lichte Erde,
Und senkest schweigend deine Flöre nieder:
Der Frühling darf indessen immer keimen,
Das Veilchen duftet unter Blüthenbäumen
Und alle Vöglein singen Jubellieder.
O schweigt, ihr Vöglein auf den grünen Auen!
Es schallen rings die dumpfen Glockenklänge,
Die Engel singen leise Grabgesänge:
O still, ihr Vöglein hoch im Himmelblauen!
Ihr Veilchen, kränzt heut keine Lockenhaare!
Euch pflückt mein frommes Kind zum dunkeln Strauße,
Ihr wandert mit zum Muttergotteshause,
Da sollt ihr welken auf des Herrn Altare.
Ach dort, von Trauermelodieen trunken
Und süß betäubt von schweren Weihrauchdüften,
Sucht sie den Bräutigam in Todesgrüften:
Und Lieb' und Frühling, Alles ist versunken!
Charwoche.
O Woche, Zeugin heiliger Beſchwerde!
Du ſtimmſt ſo ernſt zu dieſer Fruͤhlingswonne,
Du breiteſt im verjuͤngten Strahl der Sonne
Des Kreuzes Schatten auf die lichte Erde,
Und ſenkeſt ſchweigend deine Floͤre nieder:
Der Fruͤhling darf indeſſen immer keimen,
Das Veilchen duftet unter Bluͤthenbaͤumen
Und alle Voͤglein ſingen Jubellieder.
O ſchweigt, ihr Voͤglein auf den gruͤnen Auen!
Es ſchallen rings die dumpfen Glockenklaͤnge,
Die Engel ſingen leiſe Grabgeſaͤnge:
O ſtill, ihr Voͤglein hoch im Himmelblauen!
Ihr Veilchen, kraͤnzt heut keine Lockenhaare!
Euch pfluͤckt mein frommes Kind zum dunkeln Strauße,
Ihr wandert mit zum Muttergotteshauſe,
Da ſollt ihr welken auf des Herrn Altare.
Ach dort, von Trauermelodieen trunken
Und ſuͤß betaͤubt von ſchweren Weihrauchduͤften,
Sucht ſie den Braͤutigam in Todesgruͤften:
Und Lieb' und Fruͤhling, Alles iſt verſunken!
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[155/0171] Charwoche. O Woche, Zeugin heiliger Beſchwerde! Du ſtimmſt ſo ernſt zu dieſer Fruͤhlingswonne, Du breiteſt im verjuͤngten Strahl der Sonne Des Kreuzes Schatten auf die lichte Erde, Und ſenkeſt ſchweigend deine Floͤre nieder: Der Fruͤhling darf indeſſen immer keimen, Das Veilchen duftet unter Bluͤthenbaͤumen Und alle Voͤglein ſingen Jubellieder. O ſchweigt, ihr Voͤglein auf den gruͤnen Auen! Es ſchallen rings die dumpfen Glockenklaͤnge, Die Engel ſingen leiſe Grabgeſaͤnge: O ſtill, ihr Voͤglein hoch im Himmelblauen! Ihr Veilchen, kraͤnzt heut keine Lockenhaare! Euch pfluͤckt mein frommes Kind zum dunkeln Strauße, Ihr wandert mit zum Muttergotteshauſe, Da ſollt ihr welken auf des Herrn Altare. Ach dort, von Trauermelodieen trunken Und ſuͤß betaͤubt von ſchweren Weihrauchduͤften, Sucht ſie den Braͤutigam in Todesgruͤften: Und Lieb' und Fruͤhling, Alles iſt verſunken!

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/171>, abgerufen am 28.03.2024.