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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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schaft betrifft, aber es enthält -- nein, es ist sogar
durchaus wieder etwas Anderes, als was Sie bisher
waren, und indem ich zugebe, daß die überraschende
Entdeckung gewisser Ihnen in minderem Grade eigenen
Vorzüge mich irre gemacht, so liegt hierin ein Vorwurf
gegen Ihre früheren Arbeiten, den Sie immer von mir
gehört haben, ohne darum zu zweifeln, daß ich Sie für
einen in seiner Art trefflichen Künstler halte. Ich fand
jetzt aber eine Keckheit und Größe der Komposition von
Figuren, eine Freiheit überall, wie Sie meines Wissens
der Welt niemals gezeigt hatten; und was mir schlech-
terdings als ein Räthsel erschien, ist die auffallende Ab-
weichung in der poetischen Denkungsart, in der Wahl
der Gegenstände. Dieß gilt insbesondere von zwei
Skizzen, deren ich noch gar nicht erwähnte und die Sie
dem Grafen in Oel auszuführen versprochen haben."

"Hier ist eine durchaus seltene Richtung der Phan-
tasie; wunderbar, phantastisch, zum Theil verwegen
und in einem angenehmen Sinne bizarr. Ich denke
dabei an die Gespenstermusik im Walde und Mond-
schein, an den Traum des verliebten Riesen. Tillsen!
um Gottes willen, sagen Sie, wann ist diese ungeheure
Veränderung vorgegangen? wie erklären Sie mir sie?
Man weiß und hat es bedauert, daß Tillsen in an-
derthalb Jahren keine Farbe angerührt; warum sagten
Sie mir während der lezten zwei Monate nicht eine
Sylbe vom Wiederanfange Ihrer Arbeiten? Sie haben
heimlich gemalt, Sie wollten uns überraschen, und

ſchaft betrifft, aber es enthält — nein, es iſt ſogar
durchaus wieder etwas Anderes, als was Sie bisher
waren, und indem ich zugebe, daß die überraſchende
Entdeckung gewiſſer Ihnen in minderem Grade eigenen
Vorzüge mich irre gemacht, ſo liegt hierin ein Vorwurf
gegen Ihre früheren Arbeiten, den Sie immer von mir
gehört haben, ohne darum zu zweifeln, daß ich Sie für
einen in ſeiner Art trefflichen Künſtler halte. Ich fand
jetzt aber eine Keckheit und Größe der Kompoſition von
Figuren, eine Freiheit überall, wie Sie meines Wiſſens
der Welt niemals gezeigt hatten; und was mir ſchlech-
terdings als ein Räthſel erſchien, iſt die auffallende Ab-
weichung in der poetiſchen Denkungsart, in der Wahl
der Gegenſtände. Dieß gilt insbeſondere von zwei
Skizzen, deren ich noch gar nicht erwähnte und die Sie
dem Grafen in Oel auszuführen verſprochen haben.“

„Hier iſt eine durchaus ſeltene Richtung der Phan-
taſie; wunderbar, phantaſtiſch, zum Theil verwegen
und in einem angenehmen Sinne bizarr. Ich denke
dabei an die Geſpenſtermuſik im Walde und Mond-
ſchein, an den Traum des verliebten Rieſen. Tillſen!
um Gottes willen, ſagen Sie, wann iſt dieſe ungeheure
Veränderung vorgegangen? wie erklären Sie mir ſie?
Man weiß und hat es bedauert, daß Tillſen in an-
derthalb Jahren keine Farbe angerührt; warum ſagten
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[5/0013] ſchaft betrifft, aber es enthält — nein, es iſt ſogar durchaus wieder etwas Anderes, als was Sie bisher waren, und indem ich zugebe, daß die überraſchende Entdeckung gewiſſer Ihnen in minderem Grade eigenen Vorzüge mich irre gemacht, ſo liegt hierin ein Vorwurf gegen Ihre früheren Arbeiten, den Sie immer von mir gehört haben, ohne darum zu zweifeln, daß ich Sie für einen in ſeiner Art trefflichen Künſtler halte. Ich fand jetzt aber eine Keckheit und Größe der Kompoſition von Figuren, eine Freiheit überall, wie Sie meines Wiſſens der Welt niemals gezeigt hatten; und was mir ſchlech- terdings als ein Räthſel erſchien, iſt die auffallende Ab- weichung in der poetiſchen Denkungsart, in der Wahl der Gegenſtände. Dieß gilt insbeſondere von zwei Skizzen, deren ich noch gar nicht erwähnte und die Sie dem Grafen in Oel auszuführen verſprochen haben.“ „Hier iſt eine durchaus ſeltene Richtung der Phan- taſie; wunderbar, phantaſtiſch, zum Theil verwegen und in einem angenehmen Sinne bizarr. Ich denke dabei an die Geſpenſtermuſik im Walde und Mond- ſchein, an den Traum des verliebten Rieſen. Tillſen! um Gottes willen, ſagen Sie, wann iſt dieſe ungeheure Veränderung vorgegangen? wie erklären Sie mir ſie? Man weiß und hat es bedauert, daß Tillſen in an- derthalb Jahren keine Farbe angerührt; warum ſagten Sie mir während der lezten zwei Monate nicht eine Sylbe vom Wiederanfange Ihrer Arbeiten? Sie haben heimlich gemalt, Sie wollten uns überraſchen, und

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/13>, abgerufen am 28.03.2024.