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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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Es verstrichen mehrere Wochen, ohne daß unser
Maler gegen irgend Jemanden sich über den wahren
Zusammenhang der Sache erklärte, seinen Schwager,
den Major v. R., ausgenommen, dem er folgende
auffallende Eröffnung machte. "Es mag nun bald ein
Jahr seyn, als mich eines Abends ein verwahrlos'ter
Mensch von schwächlicher Gestalt und kränklichem
Aussehen, eine spindeldünne Schneiderfigur, in meiner
Werkstätte besuchte. Er gab sich für einen eifrigen
Dilettanten in der Malerei aus. Aber die windige
Art seines Benehmens, das Verworrene seines Ge-
sprächs über Kunstgegenstände war eben so verdächtig,
als mir überhaupt der ganze Besuch fatal und räth-
selhaft seyn mußte. Ich hielt ihn zum wenigsten für
einen aufdringlichen Schwätzer, wo nicht gar für einen
Schelmen, wie sie gewöhnlich in fremden Häusern um-
herschleichen, die Leute zu bestehlen und zu betrügen.
Hingegen wie groß war meine Verwunderung, als er
einige Blätter hervorzog, die er mit vieler Bescheiden-
heit für leichte Proben von seiner Hand ausgab. Es
waren reinliche Entwürfe mit Bleistift und Kreide
voll Geist und Leben, wenn auch manche Mängel an
der Zeichnung sogleich in's Auge fielen. Ich verbarg
meinen Beifall absichtlich, um meinen Mann erst aus-
zuforschen, mich zu überzeugen, ob das Alles nicht
etwa fremdes Gut wäre. Er schien mein Mißtrauen zu
bemerken und lächelte beleidigt, während er die Pa-
piere wieder zusammenrollte. Sein Blick fiel inzwi-

Es verſtrichen mehrere Wochen, ohne daß unſer
Maler gegen irgend Jemanden ſich über den wahren
Zuſammenhang der Sache erklärte, ſeinen Schwager,
den Major v. R., ausgenommen, dem er folgende
auffallende Eröffnung machte. „Es mag nun bald ein
Jahr ſeyn, als mich eines Abends ein verwahrloſ’ter
Menſch von ſchwächlicher Geſtalt und kränklichem
Ausſehen, eine ſpindeldünne Schneiderfigur, in meiner
Werkſtätte beſuchte. Er gab ſich für einen eifrigen
Dilettanten in der Malerei aus. Aber die windige
Art ſeines Benehmens, das Verworrene ſeines Ge-
ſprächs über Kunſtgegenſtände war eben ſo verdächtig,
als mir überhaupt der ganze Beſuch fatal und räth-
ſelhaft ſeyn mußte. Ich hielt ihn zum wenigſten für
einen aufdringlichen Schwätzer, wo nicht gar für einen
Schelmen, wie ſie gewöhnlich in fremden Häuſern um-
herſchleichen, die Leute zu beſtehlen und zu betrügen.
Hingegen wie groß war meine Verwunderung, als er
einige Blätter hervorzog, die er mit vieler Beſcheiden-
heit für leichte Proben von ſeiner Hand ausgab. Es
waren reinliche Entwürfe mit Bleiſtift und Kreide
voll Geiſt und Leben, wenn auch manche Mängel an
der Zeichnung ſogleich in’s Auge fielen. Ich verbarg
meinen Beifall abſichtlich, um meinen Mann erſt aus-
zuforſchen, mich zu überzeugen, ob das Alles nicht
etwa fremdes Gut wäre. Er ſchien mein Mißtrauen zu
bemerken und lächelte beleidigt, während er die Pa-
piere wieder zuſammenrollte. Sein Blick fiel inzwi-

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[15/0023] Es verſtrichen mehrere Wochen, ohne daß unſer Maler gegen irgend Jemanden ſich über den wahren Zuſammenhang der Sache erklärte, ſeinen Schwager, den Major v. R., ausgenommen, dem er folgende auffallende Eröffnung machte. „Es mag nun bald ein Jahr ſeyn, als mich eines Abends ein verwahrloſ’ter Menſch von ſchwächlicher Geſtalt und kränklichem Ausſehen, eine ſpindeldünne Schneiderfigur, in meiner Werkſtätte beſuchte. Er gab ſich für einen eifrigen Dilettanten in der Malerei aus. Aber die windige Art ſeines Benehmens, das Verworrene ſeines Ge- ſprächs über Kunſtgegenſtände war eben ſo verdächtig, als mir überhaupt der ganze Beſuch fatal und räth- ſelhaft ſeyn mußte. Ich hielt ihn zum wenigſten für einen aufdringlichen Schwätzer, wo nicht gar für einen Schelmen, wie ſie gewöhnlich in fremden Häuſern um- herſchleichen, die Leute zu beſtehlen und zu betrügen. Hingegen wie groß war meine Verwunderung, als er einige Blätter hervorzog, die er mit vieler Beſcheiden- heit für leichte Proben von ſeiner Hand ausgab. Es waren reinliche Entwürfe mit Bleiſtift und Kreide voll Geiſt und Leben, wenn auch manche Mängel an der Zeichnung ſogleich in’s Auge fielen. Ich verbarg meinen Beifall abſichtlich, um meinen Mann erſt aus- zuforſchen, mich zu überzeugen, ob das Alles nicht etwa fremdes Gut wäre. Er ſchien mein Mißtrauen zu bemerken und lächelte beleidigt, während er die Pa- piere wieder zuſammenrollte. Sein Blick fiel inzwi-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/23>, abgerufen am 28.03.2024.