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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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komischen, affreusen Kontrast. Bald zupfte er mit
zierlichem Finger an seinem ziemlich ungewaschenen
Hemdstrich, bald ließ er sein Bambusröhrchen auf dem
schmalen Rücken tänzeln, indem er zugleich bemüht
war, durch Einziehung der Arme mir die schmähliche
Kürze des grünen Fräckchens zu verbergen. Mit alle
diesem erregte er meine aufrichtige Theilnahme. Mußt'
ich mir nicht einen Menschen denken, der mit seinem
außerordentlichen Talente, vielleicht durch gekränkte
Eitelkeit, vielleicht durch Liederlichkeit, dergestalt in
Zerfall gerathen war, daß zulezt nur dieser jämmer-
liche Schatten übrig blieb? Auch waren jene Zeich-
nungen, wie er selbst bekannte, aus einer längst ver-
gangenen, bessern Zeit seines Lebens. Auf die Frage,
womit er sich denn gegenwärtig beschäftige, antwortete
er hastig und kurz: er privatisire; und als ich von
weitem die Absicht blicken ließ, jene Blätter von ihm
zu erstehen, schien er trotz eines pretiösen Lächelns
nicht wenig erleichtert und vergnügt. Ich bot ihm
drei Dukaten, die er mit dem Versprechen zu sich
steckte, mich bald wieder zu sehen. Nach vier Wochen
erschien er abermals und zwar schon in merklich bes-
serem Aufzuge. Er brachte mehrere Skizzen mit: sie
waren wo möglich noch interessanter, noch geistreicher.
Indessen hatt' ich beschlossen, ihm vor der Hand nichts
weiter abzunehmen, bis ich über die Rechtmäßigkeit
eines solchen Erwerbs völlig in's Reine gekommen wäre,
etwa dadurch, daß er veranlaßt würde, gleichsam unter

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komiſchen, affreuſen Kontraſt. Bald zupfte er mit
zierlichem Finger an ſeinem ziemlich ungewaſchenen
Hemdſtrich, bald ließ er ſein Bambusröhrchen auf dem
ſchmalen Rücken tänzeln, indem er zugleich bemüht
war, durch Einziehung der Arme mir die ſchmähliche
Kürze des grünen Fräckchens zu verbergen. Mit alle
dieſem erregte er meine aufrichtige Theilnahme. Mußt’
ich mir nicht einen Menſchen denken, der mit ſeinem
außerordentlichen Talente, vielleicht durch gekränkte
Eitelkeit, vielleicht durch Liederlichkeit, dergeſtalt in
Zerfall gerathen war, daß zulezt nur dieſer jämmer-
liche Schatten übrig blieb? Auch waren jene Zeich-
nungen, wie er ſelbſt bekannte, aus einer längſt ver-
gangenen, beſſern Zeit ſeines Lebens. Auf die Frage,
womit er ſich denn gegenwärtig beſchäftige, antwortete
er haſtig und kurz: er privatiſire; und als ich von
weitem die Abſicht blicken ließ, jene Blätter von ihm
zu erſtehen, ſchien er trotz eines pretiöſen Lächelns
nicht wenig erleichtert und vergnügt. Ich bot ihm
drei Dukaten, die er mit dem Verſprechen zu ſich
ſteckte, mich bald wieder zu ſehen. Nach vier Wochen
erſchien er abermals und zwar ſchon in merklich beſ-
ſerem Aufzuge. Er brachte mehrere Skizzen mit: ſie
waren wo möglich noch intereſſanter, noch geiſtreicher.
Indeſſen hatt’ ich beſchloſſen, ihm vor der Hand nichts
weiter abzunehmen, bis ich über die Rechtmäßigkeit
eines ſolchen Erwerbs völlig in’s Reine gekommen wäre,
etwa dadurch, daß er veranlaßt würde, gleichſam unter

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[17/0025] komiſchen, affreuſen Kontraſt. Bald zupfte er mit zierlichem Finger an ſeinem ziemlich ungewaſchenen Hemdſtrich, bald ließ er ſein Bambusröhrchen auf dem ſchmalen Rücken tänzeln, indem er zugleich bemüht war, durch Einziehung der Arme mir die ſchmähliche Kürze des grünen Fräckchens zu verbergen. Mit alle dieſem erregte er meine aufrichtige Theilnahme. Mußt’ ich mir nicht einen Menſchen denken, der mit ſeinem außerordentlichen Talente, vielleicht durch gekränkte Eitelkeit, vielleicht durch Liederlichkeit, dergeſtalt in Zerfall gerathen war, daß zulezt nur dieſer jämmer- liche Schatten übrig blieb? Auch waren jene Zeich- nungen, wie er ſelbſt bekannte, aus einer längſt ver- gangenen, beſſern Zeit ſeines Lebens. Auf die Frage, womit er ſich denn gegenwärtig beſchäftige, antwortete er haſtig und kurz: er privatiſire; und als ich von weitem die Abſicht blicken ließ, jene Blätter von ihm zu erſtehen, ſchien er trotz eines pretiöſen Lächelns nicht wenig erleichtert und vergnügt. Ich bot ihm drei Dukaten, die er mit dem Verſprechen zu ſich ſteckte, mich bald wieder zu ſehen. Nach vier Wochen erſchien er abermals und zwar ſchon in merklich beſ- ſerem Aufzuge. Er brachte mehrere Skizzen mit: ſie waren wo möglich noch intereſſanter, noch geiſtreicher. Indeſſen hatt’ ich beſchloſſen, ihm vor der Hand nichts weiter abzunehmen, bis ich über die Rechtmäßigkeit eines ſolchen Erwerbs völlig in’s Reine gekommen wäre, etwa dadurch, daß er veranlaßt würde, gleichſam unter 2

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/25>, abgerufen am 29.03.2024.