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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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wie etwa: vielleicht in der Mitte liegt das fürtreff-
liche Talent, das seine bestimmte Richtung erst sucht, --
oder: es ist das Größte von ihm zu hoffen, wie das
Schlimmste zu fürchten, -- und was dergleichen dün-
nen Windes mehr ist? Nein! ich sage Ihnen vielmehr
geradezu, dieser Nolten ist der verdorbenste und ge-
fährlichste Ketzer unter den Malern, einer von den
halsbrecherischen Seiltänzern, welche die Kunst auf
den Kopf stellen, weil das ordinäre Gehen auf zwei
Beinen anfängt langweilig zu werden; der widerwär-
tigste Phantasie-Renommiste! Was malt er denn?
eine trübe Welt voll Gespenstern, Zauberern, Elfen
und dergleichen Fratzen, das ist's, was er kultivirt!
Er ist recht verliebt in das Abgeschmackte, in Dinge,
bei denen keinem Menschen wohl wird. Die gesunde,
lautere Milch des Einfach-Schönen verschmäht er und
braut einen Schwindeltrank auf Kreuzwegen und un-
ter'm Galgen; a propos, mein Herr! (hier lächelte er
ganz geheimnißvoll) haben Sie schon Gelegenheit ge-
habt, eine der köstlichen Anstalten zu sehen, worein
man die armen Teufel logirt, die so, verstehn mich
schon, einen krummen Docht im Lichte brennen --
nun? Kam Ihnen da nicht auch schon der Gedanke,
wie es wäre, wenn sich etwa der Ideendunst, der von
diesen Köpfen aufsteigen muß, oben an der Decke an-
sezte, welche Figuren da in Fresko zum Vorschein
kommen müßten? Was sagen Sie? Nolten hat sie
alle kopirt, hä hä hä, hat sie sämmtlich kopirt!"

wie etwa: vielleicht in der Mitte liegt das fürtreff-
liche Talent, das ſeine beſtimmte Richtung erſt ſucht, —
oder: es iſt das Größte von ihm zu hoffen, wie das
Schlimmſte zu fürchten, — und was dergleichen dün-
nen Windes mehr iſt? Nein! ich ſage Ihnen vielmehr
geradezu, dieſer Nolten iſt der verdorbenſte und ge-
fährlichſte Ketzer unter den Malern, einer von den
halsbrecheriſchen Seiltänzern, welche die Kunſt auf
den Kopf ſtellen, weil das ordinäre Gehen auf zwei
Beinen anfängt langweilig zu werden; der widerwär-
tigſte Phantaſie-Renommiſte! Was malt er denn?
eine trübe Welt voll Geſpenſtern, Zauberern, Elfen
und dergleichen Fratzen, das iſt’s, was er kultivirt!
Er iſt recht verliebt in das Abgeſchmackte, in Dinge,
bei denen keinem Menſchen wohl wird. Die geſunde,
lautere Milch des Einfach-Schönen verſchmäht er und
braut einen Schwindeltrank auf Kreuzwegen und un-
ter’m Galgen; à propos, mein Herr! (hier lächelte er
ganz geheimnißvoll) haben Sie ſchon Gelegenheit ge-
habt, eine der köſtlichen Anſtalten zu ſehen, worein
man die armen Teufel logirt, die ſo, verſtehn mich
ſchon, einen krummen Docht im Lichte brennen —
nun? Kam Ihnen da nicht auch ſchon der Gedanke,
wie es wäre, wenn ſich etwa der Ideendunſt, der von
dieſen Köpfen aufſteigen muß, oben an der Decke an-
ſezte, welche Figuren da in Fresko zum Vorſchein
kommen müßten? Was ſagen Sie? Nolten hat ſie
alle kopirt, hä hä hä, hat ſie ſämmtlich kopirt!“

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[31/0039] wie etwa: vielleicht in der Mitte liegt das fürtreff- liche Talent, das ſeine beſtimmte Richtung erſt ſucht, — oder: es iſt das Größte von ihm zu hoffen, wie das Schlimmſte zu fürchten, — und was dergleichen dün- nen Windes mehr iſt? Nein! ich ſage Ihnen vielmehr geradezu, dieſer Nolten iſt der verdorbenſte und ge- fährlichſte Ketzer unter den Malern, einer von den halsbrecheriſchen Seiltänzern, welche die Kunſt auf den Kopf ſtellen, weil das ordinäre Gehen auf zwei Beinen anfängt langweilig zu werden; der widerwär- tigſte Phantaſie-Renommiſte! Was malt er denn? eine trübe Welt voll Geſpenſtern, Zauberern, Elfen und dergleichen Fratzen, das iſt’s, was er kultivirt! Er iſt recht verliebt in das Abgeſchmackte, in Dinge, bei denen keinem Menſchen wohl wird. Die geſunde, lautere Milch des Einfach-Schönen verſchmäht er und braut einen Schwindeltrank auf Kreuzwegen und un- ter’m Galgen; à propos, mein Herr! (hier lächelte er ganz geheimnißvoll) haben Sie ſchon Gelegenheit ge- habt, eine der köſtlichen Anſtalten zu ſehen, worein man die armen Teufel logirt, die ſo, verſtehn mich ſchon, einen krummen Docht im Lichte brennen — nun? Kam Ihnen da nicht auch ſchon der Gedanke, wie es wäre, wenn ſich etwa der Ideendunſt, der von dieſen Köpfen aufſteigen muß, oben an der Decke an- ſezte, welche Figuren da in Fresko zum Vorſchein kommen müßten? Was ſagen Sie? Nolten hat ſie alle kopirt, hä hä hä, hat ſie ſämmtlich kopirt!“

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/39>, abgerufen am 29.03.2024.