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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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wenig dienen. Das ist ein sehr kurioser Kauz, voll
griesgrämischer Eigenheiten, übrigens von viel Ver-
stand, und mir immer ein lieber Mann. Er besizt
gute Kenntnisse von Gemälden, ist aber auf diesen
Punkt von den einseitigsten Theorieen eingenommen.
Aus einigen meiner Stücke soll er eine eigene Vor-
liebe und zugleich den unverholensten Widerwillen ge-
gen mich gefaßt haben, den ich mir kaum zu enträth-
seln weiß. Denn daß ich es bloß als Künstler mit
ihm verdorben habe, ist nicht wohl möglich, wenig-
stens thäte er mir sehr Unrecht, indem der Vorwurf
des Phantastischen, den er mir zu machen scheint, nur
den kleinsten Theil meiner Erfindungen träfe, wenn
es je ein Vorwurf heißen soll. Die meisten meiner
Arbeiten bezeichnen in der That eine ganz andere
Gattung. Ich vermuthe, der Mann hat irgend ein
geheimes Aber an meiner Person entdeckt, und ich
muß ihn, ohne mir das Geringste bewußt zu seyn,
mit irgend Etwas beleidigt haben, das er mir nicht
vergessen kann, so gern er möchte, denn es ist auffal-
lend, so oft er mich ansieht, sträubt sich's auf seinem
Gesicht wie Sauer und Süß."

Auf diese Weise waren jene leidenschaftlichen
Aeußerungen einigermaßen erklärt, und es gab nun
Veranlassung genug, sich gegenseitig über Geschäfte,
Schicksale und mancherlei Erfahrungen auszutauschen.
Sie durchliefen die Vergangenheit, erinnerten sich des
Aufenthalts in Italien, wo sich vor drei Jahren ihre

wenig dienen. Das iſt ein ſehr kurioſer Kauz, voll
griesgrämiſcher Eigenheiten, übrigens von viel Ver-
ſtand, und mir immer ein lieber Mann. Er beſizt
gute Kenntniſſe von Gemälden, iſt aber auf dieſen
Punkt von den einſeitigſten Theorieen eingenommen.
Aus einigen meiner Stücke ſoll er eine eigene Vor-
liebe und zugleich den unverholenſten Widerwillen ge-
gen mich gefaßt haben, den ich mir kaum zu enträth-
ſeln weiß. Denn daß ich es bloß als Künſtler mit
ihm verdorben habe, iſt nicht wohl möglich, wenig-
ſtens thäte er mir ſehr Unrecht, indem der Vorwurf
des Phantaſtiſchen, den er mir zu machen ſcheint, nur
den kleinſten Theil meiner Erfindungen träfe, wenn
es je ein Vorwurf heißen ſoll. Die meiſten meiner
Arbeiten bezeichnen in der That eine ganz andere
Gattung. Ich vermuthe, der Mann hat irgend ein
geheimes Aber an meiner Perſon entdeckt, und ich
muß ihn, ohne mir das Geringſte bewußt zu ſeyn,
mit irgend Etwas beleidigt haben, das er mir nicht
vergeſſen kann, ſo gern er möchte, denn es iſt auffal-
lend, ſo oft er mich anſieht, ſträubt ſich’s auf ſeinem
Geſicht wie Sauer und Süß.“

Auf dieſe Weiſe waren jene leidenſchaftlichen
Aeußerungen einigermaßen erklärt, und es gab nun
Veranlaſſung genug, ſich gegenſeitig über Geſchäfte,
Schickſale und mancherlei Erfahrungen auszutauſchen.
Sie durchliefen die Vergangenheit, erinnerten ſich des
Aufenthalts in Italien, wo ſich vor drei Jahren ihre

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[34/0042] wenig dienen. Das iſt ein ſehr kurioſer Kauz, voll griesgrämiſcher Eigenheiten, übrigens von viel Ver- ſtand, und mir immer ein lieber Mann. Er beſizt gute Kenntniſſe von Gemälden, iſt aber auf dieſen Punkt von den einſeitigſten Theorieen eingenommen. Aus einigen meiner Stücke ſoll er eine eigene Vor- liebe und zugleich den unverholenſten Widerwillen ge- gen mich gefaßt haben, den ich mir kaum zu enträth- ſeln weiß. Denn daß ich es bloß als Künſtler mit ihm verdorben habe, iſt nicht wohl möglich, wenig- ſtens thäte er mir ſehr Unrecht, indem der Vorwurf des Phantaſtiſchen, den er mir zu machen ſcheint, nur den kleinſten Theil meiner Erfindungen träfe, wenn es je ein Vorwurf heißen ſoll. Die meiſten meiner Arbeiten bezeichnen in der That eine ganz andere Gattung. Ich vermuthe, der Mann hat irgend ein geheimes Aber an meiner Perſon entdeckt, und ich muß ihn, ohne mir das Geringſte bewußt zu ſeyn, mit irgend Etwas beleidigt haben, das er mir nicht vergeſſen kann, ſo gern er möchte, denn es iſt auffal- lend, ſo oft er mich anſieht, ſträubt ſich’s auf ſeinem Geſicht wie Sauer und Süß.“ Auf dieſe Weiſe waren jene leidenſchaftlichen Aeußerungen einigermaßen erklärt, und es gab nun Veranlaſſung genug, ſich gegenſeitig über Geſchäfte, Schickſale und mancherlei Erfahrungen auszutauſchen. Sie durchliefen die Vergangenheit, erinnerten ſich des Aufenthalts in Italien, wo ſich vor drei Jahren ihre

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/42>, abgerufen am 19.04.2024.