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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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Bekanntschaft entsponnen hatte. Endlich fing Ferdi-
nand
an: "Du erräthst wohl kaum, wo wir heute
vor sechs Tagen um diese Stunde zu Gaste gesessen
sind; in welchem Dörfchen, in welchem Stübchen und
wer uns bewirthete?" "Nein!" sagte Nolten; aber
ein aufmerksamer Beobachter würde in dieser klein-
lauten Verneinung ein sehr schnell errathendes Ja ge-
wittert haben. "Neuburg," flüsterte Leopold freu-
dig zuvorkommend und von der andern Seite flog der
Name "Agnes" über Ferdinands Mund. "Ich
dank' euch," sagte Nolten, wie abbrechend, und ver-
barg eine unangenehme Empfindung.

"Was danken? du hast ja den Gruß noch nicht
einmal in der Hand, den wir dir zu bringen haben!"
-- und hiemit sah er sich einen Brief entgegengehal-
ten, den er mit erzwungenem Wohlgefallen zu sich
steckte, indem er die Beiden durch einen Vorsicht ge-
bietenden Blick auf die Spieler für jezt zum Still-
schweigen zu vermögen suchte.

"So laß mich," fuhr Ferdinand fort, "wenig-
stens des anmuthigen Oertchens, laß mich des Förster-
hauses gedenken, wo du deine Knabenjahre bei einem
zweiten Vater verlebtest, bis der benachbarte Baron
auf dem Schlosse, der gute lebendige Mann, für die
Förderung deines Talents sorgte. Er lebt noch in
frischem Marke, der ehrliche Veteran, er und der from-
me Förster erinnerten sich mit Herzlichkeit jenes glück-
lichen Tages, da du mich, es sind nun drei Jahre her,

Bekanntſchaft entſponnen hatte. Endlich fing Ferdi-
nand
an: „Du erräthſt wohl kaum, wo wir heute
vor ſechs Tagen um dieſe Stunde zu Gaſte geſeſſen
ſind; in welchem Dörfchen, in welchem Stübchen und
wer uns bewirthete?“ „Nein!“ ſagte Nolten; aber
ein aufmerkſamer Beobachter würde in dieſer klein-
lauten Verneinung ein ſehr ſchnell errathendes Ja ge-
wittert haben. „Neuburg,“ flüſterte Leopold freu-
dig zuvorkommend und von der andern Seite flog der
Name „Agnes“ über Ferdinands Mund. „Ich
dank’ euch,“ ſagte Nolten, wie abbrechend, und ver-
barg eine unangenehme Empfindung.

„Was danken? du haſt ja den Gruß noch nicht
einmal in der Hand, den wir dir zu bringen haben!“
— und hiemit ſah er ſich einen Brief entgegengehal-
ten, den er mit erzwungenem Wohlgefallen zu ſich
ſteckte, indem er die Beiden durch einen Vorſicht ge-
bietenden Blick auf die Spieler für jezt zum Still-
ſchweigen zu vermögen ſuchte.

„So laß mich,“ fuhr Ferdinand fort, „wenig-
ſtens des anmuthigen Oertchens, laß mich des Förſter-
hauſes gedenken, wo du deine Knabenjahre bei einem
zweiten Vater verlebteſt, bis der benachbarte Baron
auf dem Schloſſe, der gute lebendige Mann, für die
Förderung deines Talents ſorgte. Er lebt noch in
friſchem Marke, der ehrliche Veteran, er und der from-
me Förſter erinnerten ſich mit Herzlichkeit jenes glück-
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[35/0043] Bekanntſchaft entſponnen hatte. Endlich fing Ferdi- nand an: „Du erräthſt wohl kaum, wo wir heute vor ſechs Tagen um dieſe Stunde zu Gaſte geſeſſen ſind; in welchem Dörfchen, in welchem Stübchen und wer uns bewirthete?“ „Nein!“ ſagte Nolten; aber ein aufmerkſamer Beobachter würde in dieſer klein- lauten Verneinung ein ſehr ſchnell errathendes Ja ge- wittert haben. „Neuburg,“ flüſterte Leopold freu- dig zuvorkommend und von der andern Seite flog der Name „Agnes“ über Ferdinands Mund. „Ich dank’ euch,“ ſagte Nolten, wie abbrechend, und ver- barg eine unangenehme Empfindung. „Was danken? du haſt ja den Gruß noch nicht einmal in der Hand, den wir dir zu bringen haben!“ — und hiemit ſah er ſich einen Brief entgegengehal- ten, den er mit erzwungenem Wohlgefallen zu ſich ſteckte, indem er die Beiden durch einen Vorſicht ge- bietenden Blick auf die Spieler für jezt zum Still- ſchweigen zu vermögen ſuchte. „So laß mich,“ fuhr Ferdinand fort, „wenig- ſtens des anmuthigen Oertchens, laß mich des Förſter- hauſes gedenken, wo du deine Knabenjahre bei einem zweiten Vater verlebteſt, bis der benachbarte Baron auf dem Schloſſe, der gute lebendige Mann, für die Förderung deines Talents ſorgte. Er lebt noch in friſchem Marke, der ehrliche Veteran, er und der from- me Förſter erinnerten ſich mit Herzlichkeit jenes glück- lichen Tages, da du mich, es ſind nun drei Jahre her,

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/43>, abgerufen am 29.03.2024.