Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

nach unserer Rückkunft von der italienischen Reise, bei
ihnen einführtest. Wahrlich, es hätte wenig gefehlt,
so hätten die Alten geweint wie die Kinder bei deinem
Namen, ein paar anderer Augen nicht zu gedenken,
die auch dabei standen, und von denen es schien, als
wollten sie sich im Voraus recht satt sehen an mir und
meinem Gefährten, an unsern Kleidern und Bündeln,
weil das Alles in fünf Tagen mit dem Geliebten in
Berührung kommen sollte. Du pflegtest das Mädchen
sonst immer dein blondes Reh zu nennen; wie treffend
fand ich diesen Ausdruck wieder! ja, und das ist sie
noch im lieblichsten rührendsten Sinne des Worts. Wie
hätt' ich gewünscht, den Umriß ihrer niedlichen Figur
mit dem Bleistift in mein Portefeuille für dich wegzu-
stehlen, wie ich sie so durch die halboffene Thür des
Nebenzimmers am Tischchen sitzen und den Brief schrei-
ben sah, den Rücken gegen uns gewendet, von der
Seite kaum ein wenig sichtbar, allein der Baron war
allzu gesprächig."

"Du bist es auch," erwiderte Nolten freundlich-
böse, indem er aufstand und sich gegen den so eben her-
beitretenden Larkens wandte. Dieser sagte: "Nun,
wirst du die Herren nicht bewegen, sich diesen Abend
in Domino's zu stecken und ein paar Stunden mit
närrischen Leuten närrisch zu seyn? oder machen wir's
wie dort der Herr Hofrath, der an solchen Abenden hier
im Gasthofe zu Nacht speist, und sich dann ein Zim-
mer vom Kellner anweisen läßt, um füuf Straßen weit

nach unſerer Rückkunft von der italieniſchen Reiſe, bei
ihnen einführteſt. Wahrlich, es hätte wenig gefehlt,
ſo hätten die Alten geweint wie die Kinder bei deinem
Namen, ein paar anderer Augen nicht zu gedenken,
die auch dabei ſtanden, und von denen es ſchien, als
wollten ſie ſich im Voraus recht ſatt ſehen an mir und
meinem Gefährten, an unſern Kleidern und Bündeln,
weil das Alles in fünf Tagen mit dem Geliebten in
Berührung kommen ſollte. Du pflegteſt das Mädchen
ſonſt immer dein blondes Reh zu nennen; wie treffend
fand ich dieſen Ausdruck wieder! ja, und das iſt ſie
noch im lieblichſten rührendſten Sinne des Worts. Wie
hätt’ ich gewünſcht, den Umriß ihrer niedlichen Figur
mit dem Bleiſtift in mein Portefeuille für dich wegzu-
ſtehlen, wie ich ſie ſo durch die halboffene Thür des
Nebenzimmers am Tiſchchen ſitzen und den Brief ſchrei-
ben ſah, den Rücken gegen uns gewendet, von der
Seite kaum ein wenig ſichtbar, allein der Baron war
allzu geſprächig.“

„Du biſt es auch,“ erwiderte Nolten freundlich-
böſe, indem er aufſtand und ſich gegen den ſo eben her-
beitretenden Larkens wandte. Dieſer ſagte: „Nun,
wirſt du die Herren nicht bewegen, ſich dieſen Abend
in Domino’s zu ſtecken und ein paar Stunden mit
närriſchen Leuten närriſch zu ſeyn? oder machen wir’s
wie dort der Herr Hofrath, der an ſolchen Abenden hier
im Gaſthofe zu Nacht ſpeist, und ſich dann ein Zim-
mer vom Kellner anweiſen läßt, um füuf Straßen weit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0044" n="36"/>
nach un&#x017F;erer Rückkunft von der italieni&#x017F;chen Rei&#x017F;e, bei<lb/>
ihnen einführte&#x017F;t. Wahrlich, es hätte wenig gefehlt,<lb/>
&#x017F;o hätten die Alten geweint wie die Kinder bei deinem<lb/>
Namen, ein paar anderer Augen nicht zu gedenken,<lb/>
die auch dabei &#x017F;tanden, und von denen es &#x017F;chien, als<lb/>
wollten &#x017F;ie &#x017F;ich im Voraus recht &#x017F;att &#x017F;ehen an mir und<lb/>
meinem Gefährten, an un&#x017F;ern Kleidern und Bündeln,<lb/>
weil das Alles in fünf Tagen mit dem Geliebten in<lb/>
Berührung kommen &#x017F;ollte. Du pflegte&#x017F;t das Mädchen<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t immer dein blondes Reh zu nennen; wie treffend<lb/>
fand ich die&#x017F;en Ausdruck wieder! ja, und das i&#x017F;t &#x017F;ie<lb/>
noch im lieblich&#x017F;ten rührend&#x017F;ten Sinne des Worts. Wie<lb/>
hätt&#x2019; ich gewün&#x017F;cht, den Umriß ihrer niedlichen Figur<lb/>
mit dem Blei&#x017F;tift in mein Portefeuille für dich wegzu-<lb/>
&#x017F;tehlen, wie ich &#x017F;ie &#x017F;o durch die halboffene Thür des<lb/>
Nebenzimmers am Ti&#x017F;chchen &#x017F;itzen und den Brief &#x017F;chrei-<lb/>
ben &#x017F;ah, den Rücken gegen uns gewendet, von der<lb/>
Seite kaum ein wenig &#x017F;ichtbar, allein der Baron war<lb/>
allzu ge&#x017F;prächig.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Du bi&#x017F;t es auch,&#x201C; erwiderte <hi rendition="#g">Nolten</hi> freundlich-<lb/>&#x017F;e, indem er auf&#x017F;tand und &#x017F;ich gegen den &#x017F;o eben her-<lb/>
beitretenden <hi rendition="#g">Larkens</hi> wandte. Die&#x017F;er &#x017F;agte: &#x201E;Nun,<lb/>
wir&#x017F;t du die Herren nicht bewegen, &#x017F;ich die&#x017F;en Abend<lb/>
in Domino&#x2019;s zu &#x017F;tecken und ein paar Stunden mit<lb/>
närri&#x017F;chen Leuten närri&#x017F;ch zu &#x017F;eyn? oder machen wir&#x2019;s<lb/>
wie dort der Herr Hofrath, der an &#x017F;olchen Abenden hier<lb/>
im Ga&#x017F;thofe zu Nacht &#x017F;peist, und &#x017F;ich dann ein Zim-<lb/>
mer vom Kellner anwei&#x017F;en läßt, um füuf Straßen weit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0044] nach unſerer Rückkunft von der italieniſchen Reiſe, bei ihnen einführteſt. Wahrlich, es hätte wenig gefehlt, ſo hätten die Alten geweint wie die Kinder bei deinem Namen, ein paar anderer Augen nicht zu gedenken, die auch dabei ſtanden, und von denen es ſchien, als wollten ſie ſich im Voraus recht ſatt ſehen an mir und meinem Gefährten, an unſern Kleidern und Bündeln, weil das Alles in fünf Tagen mit dem Geliebten in Berührung kommen ſollte. Du pflegteſt das Mädchen ſonſt immer dein blondes Reh zu nennen; wie treffend fand ich dieſen Ausdruck wieder! ja, und das iſt ſie noch im lieblichſten rührendſten Sinne des Worts. Wie hätt’ ich gewünſcht, den Umriß ihrer niedlichen Figur mit dem Bleiſtift in mein Portefeuille für dich wegzu- ſtehlen, wie ich ſie ſo durch die halboffene Thür des Nebenzimmers am Tiſchchen ſitzen und den Brief ſchrei- ben ſah, den Rücken gegen uns gewendet, von der Seite kaum ein wenig ſichtbar, allein der Baron war allzu geſprächig.“ „Du biſt es auch,“ erwiderte Nolten freundlich- böſe, indem er aufſtand und ſich gegen den ſo eben her- beitretenden Larkens wandte. Dieſer ſagte: „Nun, wirſt du die Herren nicht bewegen, ſich dieſen Abend in Domino’s zu ſtecken und ein paar Stunden mit närriſchen Leuten närriſch zu ſeyn? oder machen wir’s wie dort der Herr Hofrath, der an ſolchen Abenden hier im Gaſthofe zu Nacht ſpeist, und ſich dann ein Zim- mer vom Kellner anweiſen läßt, um füuf Straßen weit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/44
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/44>, abgerufen am 25.04.2024.