Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

vom Lärm des Redoutenhauses zu schlafen, das zum
Unglücke seiner Wohnung gegenüber liegt? Ich dächte,
ihr Herren, bevor Sie in den nächsten Tagen mit den
hübschen Realitäten unserer Stadt Bekanntschaft machen,
müßte es unterhaltend für Sie seyn, heute im Masken-
saale, so zu sagen, die Fata morgana der hiesigen
Menschheit zu sehen. -- Verzeihen Sie mein hinkendes
Gleichniß und folgen Sie meinem Vorschlage." Es
kostete Ueberredung, aber man entschloß sich und
wünschte dem seltsamen Hofrathe gute Nacht.


Nachdenklich, unbehaglich, ja traurig war Nolten
mit den Andern vor den Thüren des großen heller-
leuchteten Gebäudes angekommen, worin schon das
mannigfaltigste Leben wogte und wühlte. Alle mög-
lichen Gestalten, zum Theil in auffallendem Kontraste,
drehten sich stumm, feierlich, fremde oder leise summend,
kopfnickend und tanzend durcheinander. Unser trübe
gestimmter Freund, schneller als er vermuthete, von sei-
nen Begleitern verloren, fühlte nach und nach in seiner
Vermummung eine Art von dumpfem Troste, und wie
mit seiner Umgebung, so spielte er gewissermaßen mit
dem eigenen Herzen Versteckens, wobei er sich kaum
bekannte, welche besondere Hoffnung ihn zwang, die
Reihen der weiblichen Masken sorgfältiger zu mustern,
als er sonst wohl gethan haben würde. Das beschei-
dene Bild Agnesens, das ihn aus weiter Ferne sehn-

vom Lärm des Redoutenhauſes zu ſchlafen, das zum
Unglücke ſeiner Wohnung gegenüber liegt? Ich dächte,
ihr Herren, bevor Sie in den nächſten Tagen mit den
hübſchen Realitäten unſerer Stadt Bekanntſchaft machen,
müßte es unterhaltend für Sie ſeyn, heute im Masken-
ſaale, ſo zu ſagen, die Fata morgana der hieſigen
Menſchheit zu ſehen. — Verzeihen Sie mein hinkendes
Gleichniß und folgen Sie meinem Vorſchlage.“ Es
koſtete Ueberredung, aber man entſchloß ſich und
wünſchte dem ſeltſamen Hofrathe gute Nacht.


Nachdenklich, unbehaglich, ja traurig war Nolten
mit den Andern vor den Thüren des großen heller-
leuchteten Gebäudes angekommen, worin ſchon das
mannigfaltigſte Leben wogte und wühlte. Alle mög-
lichen Geſtalten, zum Theil in auffallendem Kontraſte,
drehten ſich ſtumm, feierlich, fremde oder leiſe ſummend,
kopfnickend und tanzend durcheinander. Unſer trübe
geſtimmter Freund, ſchneller als er vermuthete, von ſei-
nen Begleitern verloren, fühlte nach und nach in ſeiner
Vermummung eine Art von dumpfem Troſte, und wie
mit ſeiner Umgebung, ſo ſpielte er gewiſſermaßen mit
dem eigenen Herzen Verſteckens, wobei er ſich kaum
bekannte, welche beſondere Hoffnung ihn zwang, die
Reihen der weiblichen Masken ſorgfältiger zu muſtern,
als er ſonſt wohl gethan haben würde. Das beſchei-
dene Bild Agneſens, das ihn aus weiter Ferne ſehn-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0045" n="37"/>
vom Lärm des Redoutenhau&#x017F;es zu &#x017F;chlafen, das zum<lb/>
Unglücke &#x017F;einer Wohnung gegenüber liegt? Ich dächte,<lb/>
ihr Herren, bevor Sie in den näch&#x017F;ten Tagen mit den<lb/>
hüb&#x017F;chen Realitäten un&#x017F;erer Stadt Bekannt&#x017F;chaft machen,<lb/>
müßte es unterhaltend für Sie &#x017F;eyn, heute im Masken-<lb/>
&#x017F;aale, &#x017F;o zu &#x017F;agen, die Fata morgana der hie&#x017F;igen<lb/>
Men&#x017F;chheit zu &#x017F;ehen. &#x2014; Verzeihen Sie mein hinkendes<lb/>
Gleichniß und folgen Sie meinem Vor&#x017F;chlage.&#x201C; Es<lb/>
ko&#x017F;tete Ueberredung, aber man ent&#x017F;chloß &#x017F;ich und<lb/>
wün&#x017F;chte dem &#x017F;elt&#x017F;amen Hofrathe gute Nacht.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Nachdenklich, unbehaglich, ja traurig war <hi rendition="#g">Nolten</hi><lb/>
mit den Andern vor den Thüren des großen heller-<lb/>
leuchteten Gebäudes angekommen, worin &#x017F;chon das<lb/>
mannigfaltig&#x017F;te Leben wogte und wühlte. Alle mög-<lb/>
lichen Ge&#x017F;talten, zum Theil in auffallendem Kontra&#x017F;te,<lb/>
drehten &#x017F;ich &#x017F;tumm, feierlich, fremde oder lei&#x017F;e &#x017F;ummend,<lb/>
kopfnickend und tanzend durcheinander. Un&#x017F;er trübe<lb/>
ge&#x017F;timmter Freund, &#x017F;chneller als er vermuthete, von &#x017F;ei-<lb/>
nen Begleitern verloren, fühlte nach und nach in &#x017F;einer<lb/>
Vermummung eine Art von dumpfem Tro&#x017F;te, und wie<lb/>
mit &#x017F;einer Umgebung, &#x017F;o &#x017F;pielte er gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen mit<lb/>
dem eigenen Herzen Ver&#x017F;teckens, wobei er &#x017F;ich kaum<lb/>
bekannte, welche be&#x017F;ondere Hoffnung ihn zwang, die<lb/>
Reihen der weiblichen Masken &#x017F;orgfältiger zu mu&#x017F;tern,<lb/>
als er &#x017F;on&#x017F;t wohl gethan haben würde. Das be&#x017F;chei-<lb/>
dene Bild <hi rendition="#g">Agne&#x017F;ens</hi>, das ihn aus weiter Ferne &#x017F;ehn-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0045] vom Lärm des Redoutenhauſes zu ſchlafen, das zum Unglücke ſeiner Wohnung gegenüber liegt? Ich dächte, ihr Herren, bevor Sie in den nächſten Tagen mit den hübſchen Realitäten unſerer Stadt Bekanntſchaft machen, müßte es unterhaltend für Sie ſeyn, heute im Masken- ſaale, ſo zu ſagen, die Fata morgana der hieſigen Menſchheit zu ſehen. — Verzeihen Sie mein hinkendes Gleichniß und folgen Sie meinem Vorſchlage.“ Es koſtete Ueberredung, aber man entſchloß ſich und wünſchte dem ſeltſamen Hofrathe gute Nacht. Nachdenklich, unbehaglich, ja traurig war Nolten mit den Andern vor den Thüren des großen heller- leuchteten Gebäudes angekommen, worin ſchon das mannigfaltigſte Leben wogte und wühlte. Alle mög- lichen Geſtalten, zum Theil in auffallendem Kontraſte, drehten ſich ſtumm, feierlich, fremde oder leiſe ſummend, kopfnickend und tanzend durcheinander. Unſer trübe geſtimmter Freund, ſchneller als er vermuthete, von ſei- nen Begleitern verloren, fühlte nach und nach in ſeiner Vermummung eine Art von dumpfem Troſte, und wie mit ſeiner Umgebung, ſo ſpielte er gewiſſermaßen mit dem eigenen Herzen Verſteckens, wobei er ſich kaum bekannte, welche beſondere Hoffnung ihn zwang, die Reihen der weiblichen Masken ſorgfältiger zu muſtern, als er ſonſt wohl gethan haben würde. Das beſchei- dene Bild Agneſens, das ihn aus weiter Ferne ſehn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/45
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/45>, abgerufen am 29.03.2024.