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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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sie so eine Zeitlang gestanden, ohne daß von beiden
Seiten ein Wort fiel, begann die Maske mit ange-
nehmer Stimme, worin man jedoch trotz einer gewis-
sen Dumpfheit gar bald das Frauenzimmer unter-
scheiden konnte, folgendermaßen:

"Ihr kennet mich nicht, meine Herren, aber Euer
Aussehen sagt mir, ich sey in keiner frivolen Gesell-
schaft. Schwerlich seyd Ihr gesonnen, diese ernste
Nacht, die Geburtsstunde eines neuen Jahres, in ge-
dankenlosem Rausche hinzubringen. Wollte es Euch
gefallen, ein Stündchen mit mir in frommer Unter-
haltung zusammen zu sitzen, so bezeichne ich Euch ei-
nen traulichen Ort. In meiner Kleidung erkennet Ihr
den Wächter der Nacht. Es stoße sich Niemand an
dem sonst verachteten Titel. Ich bin der Geist die-
ser Zunft, ich nenne mich den König der Wächter
dieses Landes. Mancher fromme Angehörige meines
nächtlichen Staats wird Euch von meinem Daseyn, meinem
Thun und Treiben erzählt haben. Heute mit dem zwölften
Glockenschlage wird es hundert Jahre, seit ich die
Dörfer und Städte des Reiches besuche, unter heite-
rem Sternenhimmel, wie im wilden Wintersturme.
Vor Mitternacht werd' ich im Wächterstübchen auf
dem Thurme der Albanikirche seyn."

Hiemit neigte er sich und ging mit kaum ver-
nehmlichem Tritte hinweg.

Einstimmig war man geneigt, der sonderbaren
Einladung zu folgen, was ihr auch immer zu Grunde

ſie ſo eine Zeitlang geſtanden, ohne daß von beiden
Seiten ein Wort fiel, begann die Maske mit ange-
nehmer Stimme, worin man jedoch trotz einer gewiſ-
ſen Dumpfheit gar bald das Frauenzimmer unter-
ſcheiden konnte, folgendermaßen:

„Ihr kennet mich nicht, meine Herren, aber Euer
Ausſehen ſagt mir, ich ſey in keiner frivolen Geſell-
ſchaft. Schwerlich ſeyd Ihr geſonnen, dieſe ernſte
Nacht, die Geburtsſtunde eines neuen Jahres, in ge-
dankenloſem Rauſche hinzubringen. Wollte es Euch
gefallen, ein Stündchen mit mir in frommer Unter-
haltung zuſammen zu ſitzen, ſo bezeichne ich Euch ei-
nen traulichen Ort. In meiner Kleidung erkennet Ihr
den Wächter der Nacht. Es ſtoße ſich Niemand an
dem ſonſt verachteten Titel. Ich bin der Geiſt die-
ſer Zunft, ich nenne mich den König der Wächter
dieſes Landes. Mancher fromme Angehörige meines
nächtlichen Staats wird Euch von meinem Daſeyn, meinem
Thun und Treiben erzählt haben. Heute mit dem zwölften
Glockenſchlage wird es hundert Jahre, ſeit ich die
Dörfer und Städte des Reiches beſuche, unter heite-
rem Sternenhimmel, wie im wilden Winterſturme.
Vor Mitternacht werd’ ich im Wächterſtübchen auf
dem Thurme der Albanikirche ſeyn.“

Hiemit neigte er ſich und ging mit kaum ver-
nehmlichem Tritte hinweg.

Einſtimmig war man geneigt, der ſonderbaren
Einladung zu folgen, was ihr auch immer zu Grunde

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[41/0049] ſie ſo eine Zeitlang geſtanden, ohne daß von beiden Seiten ein Wort fiel, begann die Maske mit ange- nehmer Stimme, worin man jedoch trotz einer gewiſ- ſen Dumpfheit gar bald das Frauenzimmer unter- ſcheiden konnte, folgendermaßen: „Ihr kennet mich nicht, meine Herren, aber Euer Ausſehen ſagt mir, ich ſey in keiner frivolen Geſell- ſchaft. Schwerlich ſeyd Ihr geſonnen, dieſe ernſte Nacht, die Geburtsſtunde eines neuen Jahres, in ge- dankenloſem Rauſche hinzubringen. Wollte es Euch gefallen, ein Stündchen mit mir in frommer Unter- haltung zuſammen zu ſitzen, ſo bezeichne ich Euch ei- nen traulichen Ort. In meiner Kleidung erkennet Ihr den Wächter der Nacht. Es ſtoße ſich Niemand an dem ſonſt verachteten Titel. Ich bin der Geiſt die- ſer Zunft, ich nenne mich den König der Wächter dieſes Landes. Mancher fromme Angehörige meines nächtlichen Staats wird Euch von meinem Daſeyn, meinem Thun und Treiben erzählt haben. Heute mit dem zwölften Glockenſchlage wird es hundert Jahre, ſeit ich die Dörfer und Städte des Reiches beſuche, unter heite- rem Sternenhimmel, wie im wilden Winterſturme. Vor Mitternacht werd’ ich im Wächterſtübchen auf dem Thurme der Albanikirche ſeyn.“ Hiemit neigte er ſich und ging mit kaum ver- nehmlichem Tritte hinweg. Einſtimmig war man geneigt, der ſonderbaren Einladung zu folgen, was ihr auch immer zu Grunde

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/49>, abgerufen am 25.04.2024.