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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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von mir gewichen; die dürre nackte Wahrheit blieb
mir allein, sie und -- die Reue. Vor dieser möcht'
ich Dich bewahren. Ich bin Dein guter Genius, und
indem ich von Dir scheide, sey Dir ein andrer, bes-
serer, empfohlen. Ich meine Agnesen. Setze das
Mädchen in seine alten Rechte wieder ein. Du fin-
dest auf der Welt nichts Himmlischers, als die Seele
dieses Kindes ist. Glaub' mir das, Nolten, so ge-
wiß, als schwür' ich's auf dem Todtenbette. -- Du
hast Dich in Deinem Argwohn garstig geirrt. Lies
diese Briefe, namentlich des Vaters, und es wird Dir
wie Schuppen von den Augen fallen. Dann aber
zaudre auch nicht länger; fasse Dich! Eile zu ihr,
tritt sorglos unter Ihre Augen, sie wird nichts frem-
des an Dir wittern, sie weiß nichts von einer Zeit,
da Theobald ihr minder angehört als sonst; das
Feld ist durchaus frei und rein zwischen euch.

Es steht bei Dir, ob der gute Tropf das Inter-
mezzo erfahren soll oder nicht; bevor ein paar Jahre
vorüber, würd' ich kaum dazu rathen. Dann aber
wird euch seyn, als hättet ihr einmal in einem Som-
mernachstraum
mitgespielt, und Puck, der täu-
schende Elfe, lacht noch in's Fäustchen über dem wohl-
gelungenen Zauberspaß. Dann gedenket auch meiner
mit Liebe, so wie man ruhig eines Abgeschiednen denkt,
nach welchem man sich wohl zuweilen sehnen mag,
doch dessen Schicksal wir nicht beklagen dürfen."


von mir gewichen; die dürre nackte Wahrheit blieb
mir allein, ſie und — die Reue. Vor dieſer möcht’
ich Dich bewahren. Ich bin Dein guter Genius, und
indem ich von Dir ſcheide, ſey Dir ein andrer, beſ-
ſerer, empfohlen. Ich meine Agneſen. Setze das
Mädchen in ſeine alten Rechte wieder ein. Du fin-
deſt auf der Welt nichts Himmliſchers, als die Seele
dieſes Kindes iſt. Glaub’ mir das, Nolten, ſo ge-
wiß, als ſchwür’ ich’s auf dem Todtenbette. — Du
haſt Dich in Deinem Argwohn garſtig geirrt. Lies
dieſe Briefe, namentlich des Vaters, und es wird Dir
wie Schuppen von den Augen fallen. Dann aber
zaudre auch nicht länger; faſſe Dich! Eile zu ihr,
tritt ſorglos unter Ihre Augen, ſie wird nichts frem-
des an Dir wittern, ſie weiß nichts von einer Zeit,
da Theobald ihr minder angehört als ſonſt; das
Feld iſt durchaus frei und rein zwiſchen euch.

Es ſteht bei Dir, ob der gute Tropf das Inter-
mezzo erfahren ſoll oder nicht; bevor ein paar Jahre
vorüber, würd’ ich kaum dazu rathen. Dann aber
wird euch ſeyn, als hättet ihr einmal in einem Som-
mernachstraum
mitgeſpielt, und Puck, der täu-
ſchende Elfe, lacht noch in’s Fäuſtchen über dem wohl-
gelungenen Zauberſpaß. Dann gedenket auch meiner
mit Liebe, ſo wie man ruhig eines Abgeſchiednen denkt,
nach welchem man ſich wohl zuweilen ſehnen mag,
doch deſſen Schickſal wir nicht beklagen dürfen.“


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[354/0040] von mir gewichen; die dürre nackte Wahrheit blieb mir allein, ſie und — die Reue. Vor dieſer möcht’ ich Dich bewahren. Ich bin Dein guter Genius, und indem ich von Dir ſcheide, ſey Dir ein andrer, beſ- ſerer, empfohlen. Ich meine Agneſen. Setze das Mädchen in ſeine alten Rechte wieder ein. Du fin- deſt auf der Welt nichts Himmliſchers, als die Seele dieſes Kindes iſt. Glaub’ mir das, Nolten, ſo ge- wiß, als ſchwür’ ich’s auf dem Todtenbette. — Du haſt Dich in Deinem Argwohn garſtig geirrt. Lies dieſe Briefe, namentlich des Vaters, und es wird Dir wie Schuppen von den Augen fallen. Dann aber zaudre auch nicht länger; faſſe Dich! Eile zu ihr, tritt ſorglos unter Ihre Augen, ſie wird nichts frem- des an Dir wittern, ſie weiß nichts von einer Zeit, da Theobald ihr minder angehört als ſonſt; das Feld iſt durchaus frei und rein zwiſchen euch. Es ſteht bei Dir, ob der gute Tropf das Inter- mezzo erfahren ſoll oder nicht; bevor ein paar Jahre vorüber, würd’ ich kaum dazu rathen. Dann aber wird euch ſeyn, als hättet ihr einmal in einem Som- mernachstraum mitgeſpielt, und Puck, der täu- ſchende Elfe, lacht noch in’s Fäuſtchen über dem wohl- gelungenen Zauberſpaß. Dann gedenket auch meiner mit Liebe, ſo wie man ruhig eines Abgeſchiednen denkt, nach welchem man ſich wohl zuweilen ſehnen mag, doch deſſen Schickſal wir nicht beklagen dürfen.“

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/40>, abgerufen am 28.03.2024.