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Möser, Justus: Osnabrückische Geschichte. Osnabrück, 1768.

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Osnabrücksche Geschichte
§. 107.
Solcher ist dem Christenthum nicht
günstig.

Diese ihre ganze Anlage und Einrichtung stund der
fränkischen Verfassung und der christlichen Religion,
welche beyde zugleich eingeführet werden sollten,
schnurgerade entgegen. Längst hatte sich letztere durch
die Länder ausgebreitet, worin die Wehren sich
mehr in Leute, (a) und Völker-rechte in Hof-rechte
verwandelt hatten. Sie war gerade der Linie (b) gefolgt, welche ehedem die Cherusker von den Chat-
ten, oder die Reichsgenossen, von den unbeschlossenen
Sassen geschieden hatte. Ganz Germanien war ge-
wonnen; die Niederländische Seeküste, so weit sie
beherrscht wurde, hatte sie mit Freuden aufgenom-
men. Allein den Sassen konnte (c) keine Religion
gefallen, nach welcher ein gesalbter König das Recht
über Leben und Tod, Gehorsam, Gedult und Zehn-
ten fordern konnte. Es kam ihnen unerträglich vor,
daß ein Mann einen Schimpf nicht selbst rächen, und
ein Held nicht seinen besondern Himmel haben sollte.
Sie musten erst durch die Macht der Waffen um
ihre politische Verfassung gebracht werden, ehe das
Christenthum auch nur einige Verhältnis zu ihrem
Staat gewinnen konnte. Dies war die Ursache
ihrer hartnäckigen Widersetzung, welche Carl der
Grosse ganzer drey und dreyßig Jahr mit unermüde-
tem Eyfer bekämpfte, oft unterdrückte aber nie er-
stickte. Jhr Aberglauben war der stärkste, (d) wel-
chen je ein Volk gehabt, und die politische Ver-

fassung
Oſnabruͤckſche Geſchichte
§. 107.
Solcher iſt dem Chriſtenthum nicht
guͤnſtig.

Dieſe ihre ganze Anlage und Einrichtung ſtund der
fraͤnkiſchen Verfaſſung und der chriſtlichen Religion,
welche beyde zugleich eingefuͤhret werden ſollten,
ſchnurgerade entgegen. Laͤngſt hatte ſich letztere durch
die Laͤnder ausgebreitet, worin die Wehren ſich
mehr in Leute, (a) und Voͤlker-rechte in Hof-rechte
verwandelt hatten. Sie war gerade der Linie (b) gefolgt, welche ehedem die Cherusker von den Chat-
ten, oder die Reichsgenoſſen, von den unbeſchloſſenen
Saſſen geſchieden hatte. Ganz Germanien war ge-
wonnen; die Niederlaͤndiſche Seekuͤſte, ſo weit ſie
beherrſcht wurde, hatte ſie mit Freuden aufgenom-
men. Allein den Saſſen konnte (c) keine Religion
gefallen, nach welcher ein geſalbter Koͤnig das Recht
uͤber Leben und Tod, Gehorſam, Gedult und Zehn-
ten fordern konnte. Es kam ihnen unertraͤglich vor,
daß ein Mann einen Schimpf nicht ſelbſt raͤchen, und
ein Held nicht ſeinen beſondern Himmel haben ſollte.
Sie muſten erſt durch die Macht der Waffen um
ihre politiſche Verfaſſung gebracht werden, ehe das
Chriſtenthum auch nur einige Verhaͤltnis zu ihrem
Staat gewinnen konnte. Dies war die Urſache
ihrer hartnaͤckigen Widerſetzung, welche Carl der
Groſſe ganzer drey und dreyßig Jahr mit unermuͤde-
tem Eyfer bekaͤmpfte, oft unterdruͤckte aber nie er-
ſtickte. Jhr Aberglauben war der ſtaͤrkſte, (d) wel-
chen je ein Volk gehabt, und die politiſche Ver-

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[222/0252] Oſnabruͤckſche Geſchichte §. 107. Solcher iſt dem Chriſtenthum nicht guͤnſtig. Dieſe ihre ganze Anlage und Einrichtung ſtund der fraͤnkiſchen Verfaſſung und der chriſtlichen Religion, welche beyde zugleich eingefuͤhret werden ſollten, ſchnurgerade entgegen. Laͤngſt hatte ſich letztere durch die Laͤnder ausgebreitet, worin die Wehren ſich mehr in Leute, ⁽a⁾ und Voͤlker-rechte in Hof-rechte verwandelt hatten. Sie war gerade der Linie ⁽b⁾ gefolgt, welche ehedem die Cherusker von den Chat- ten, oder die Reichsgenoſſen, von den unbeſchloſſenen Saſſen geſchieden hatte. Ganz Germanien war ge- wonnen; die Niederlaͤndiſche Seekuͤſte, ſo weit ſie beherrſcht wurde, hatte ſie mit Freuden aufgenom- men. Allein den Saſſen konnte ⁽c⁾ keine Religion gefallen, nach welcher ein geſalbter Koͤnig das Recht uͤber Leben und Tod, Gehorſam, Gedult und Zehn- ten fordern konnte. Es kam ihnen unertraͤglich vor, daß ein Mann einen Schimpf nicht ſelbſt raͤchen, und ein Held nicht ſeinen beſondern Himmel haben ſollte. Sie muſten erſt durch die Macht der Waffen um ihre politiſche Verfaſſung gebracht werden, ehe das Chriſtenthum auch nur einige Verhaͤltnis zu ihrem Staat gewinnen konnte. Dies war die Urſache ihrer hartnaͤckigen Widerſetzung, welche Carl der Groſſe ganzer drey und dreyßig Jahr mit unermuͤde- tem Eyfer bekaͤmpfte, oft unterdruͤckte aber nie er- ſtickte. Jhr Aberglauben war der ſtaͤrkſte, ⁽d⁾ wel- chen je ein Volk gehabt, und die politiſche Ver- faſſung

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Osnabrückische Geschichte. Osnabrück, 1768, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_osnabrueck_1768/252>, abgerufen am 25.04.2024.