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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Reicher Leute Kinder
in die junge Welt tausend kleine Zierrathen in so viel reizende
Neuigkeiten verwandeln, wenn solche nicht in ihren dummen
Jahren bey ihnen schon veraltet wären! Wir erschöpfen das
Vergnügen ihrer bessern Jahre durch unsre unüberlegte Ver-
schwendung. Eine Uhr war sonst für ein Mädgen so viel
als ein Mann. Jetzt giebt man sie ihnen fast in Flügel-
kleide.

Ein Englischer Lord schickt seinen Sohn bis ins zwan-
zigste Jahr ins Collegium, wo er mit abgeschnittenen Haaren
ungepudert und ungeschoren in einem schlechten Kleide bey
Hammelfleisch und Erdäpfeln groß gemacht wird. In Italien
läßt man die Töchter in der Kindheit einen Ordenshabit tra-
gen. Die Römer, wie mein Mann sagt, hatten aus einer
gleichen Klugheit eine besondere Kleidung für die Jugend;
und es war ein grosses Fest, wenn der Sohn zum erstenmal
ein Kleid mit Rabbatten anlegte. Könnten wir diesen großen
Exempeln nicht nachfolgen?

Ueberlegen Sie es doch einmal. Die Vereinigung des
Adels wegen der Trauer hat mich zu diesen Gedanken bewo-
gen. Ich bin etc.



IV.
Reicher Leute Kinder solten ein Handwerk
lernen.

Der Hauptfehler unsrer mehrsten deutschen Handwerker
ist der Mangel an Gelde. Das Söhngen einer be-
mittelten Mutter schämet sich die Hand an eine Zange oder
Feile zu legen. Ein Kaufmann muß er werden. Solte er

auch

Reicher Leute Kinder
in die junge Welt tauſend kleine Zierrathen in ſo viel reizende
Neuigkeiten verwandeln, wenn ſolche nicht in ihren dummen
Jahren bey ihnen ſchon veraltet waͤren! Wir erſchoͤpfen das
Vergnuͤgen ihrer beſſern Jahre durch unſre unuͤberlegte Ver-
ſchwendung. Eine Uhr war ſonſt fuͤr ein Maͤdgen ſo viel
als ein Mann. Jetzt giebt man ſie ihnen faſt in Fluͤgel-
kleide.

Ein Engliſcher Lord ſchickt ſeinen Sohn bis ins zwan-
zigſte Jahr ins Collegium, wo er mit abgeſchnittenen Haaren
ungepudert und ungeſchoren in einem ſchlechten Kleide bey
Hammelfleiſch und Erdaͤpfeln groß gemacht wird. In Italien
laͤßt man die Toͤchter in der Kindheit einen Ordenshabit tra-
gen. Die Roͤmer, wie mein Mann ſagt, hatten aus einer
gleichen Klugheit eine beſondere Kleidung fuͤr die Jugend;
und es war ein groſſes Feſt, wenn der Sohn zum erſtenmal
ein Kleid mit Rabbatten anlegte. Koͤnnten wir dieſen großen
Exempeln nicht nachfolgen?

Ueberlegen Sie es doch einmal. Die Vereinigung des
Adels wegen der Trauer hat mich zu dieſen Gedanken bewo-
gen. Ich bin ꝛc.



IV.
Reicher Leute Kinder ſolten ein Handwerk
lernen.

Der Hauptfehler unſrer mehrſten deutſchen Handwerker
iſt der Mangel an Gelde. Das Soͤhngen einer be-
mittelten Mutter ſchaͤmet ſich die Hand an eine Zange oder
Feile zu legen. Ein Kaufmann muß er werden. Solte er

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[26/0044] Reicher Leute Kinder in die junge Welt tauſend kleine Zierrathen in ſo viel reizende Neuigkeiten verwandeln, wenn ſolche nicht in ihren dummen Jahren bey ihnen ſchon veraltet waͤren! Wir erſchoͤpfen das Vergnuͤgen ihrer beſſern Jahre durch unſre unuͤberlegte Ver- ſchwendung. Eine Uhr war ſonſt fuͤr ein Maͤdgen ſo viel als ein Mann. Jetzt giebt man ſie ihnen faſt in Fluͤgel- kleide. Ein Engliſcher Lord ſchickt ſeinen Sohn bis ins zwan- zigſte Jahr ins Collegium, wo er mit abgeſchnittenen Haaren ungepudert und ungeſchoren in einem ſchlechten Kleide bey Hammelfleiſch und Erdaͤpfeln groß gemacht wird. In Italien laͤßt man die Toͤchter in der Kindheit einen Ordenshabit tra- gen. Die Roͤmer, wie mein Mann ſagt, hatten aus einer gleichen Klugheit eine beſondere Kleidung fuͤr die Jugend; und es war ein groſſes Feſt, wenn der Sohn zum erſtenmal ein Kleid mit Rabbatten anlegte. Koͤnnten wir dieſen großen Exempeln nicht nachfolgen? Ueberlegen Sie es doch einmal. Die Vereinigung des Adels wegen der Trauer hat mich zu dieſen Gedanken bewo- gen. Ich bin ꝛc. IV. Reicher Leute Kinder ſolten ein Handwerk lernen. Der Hauptfehler unſrer mehrſten deutſchen Handwerker iſt der Mangel an Gelde. Das Soͤhngen einer be- mittelten Mutter ſchaͤmet ſich die Hand an eine Zange oder Feile zu legen. Ein Kaufmann muß er werden. Solte er auch

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/44>, abgerufen am 28.03.2024.