Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite


LXVI.
Gedanken von dem Ursprunge und Nutzen
der sogenannten Hyen, Echten oder
Hoden.

Luft macht eigen, heißt es an manchen Orten Deutsch-
landes; und ich habe unsre Vorfahren oftmal in mei-
nen Gedanken einer Grausamkeit beschuldiget, daß sie die
Luft gleichsam vergiftet, und die Sclaverey auf einen in der
ganzen Welt freyen Odemzug gesetzet hätten. Oft dachte
ich aber auch: Wie ist es möglich, daß sie, die mit Heeren
von hunderttausenden zu Felde giengen, Gut und Blut für
die Freyheit aufopferten, und keinen leibeignen Knecht die
Waffen führen liessen, die Dienstbarkeit dergestalt begün-
stiget, und ganze Dörfer durch die Einführung derselben
von dem Heerzuge befreyet haben sollten? Voll Zweifels
über die Wahrheit und voll Unmuths über die Ungerechtig-
keit der Sache selbst, kam ich von ungefehr auf einen alten
Rechtshandel, woraus sich dieses Lufteigenthum auf einmal
als eine sanfte Freystädte zeigte: ich will ihn meinen Lesern
erzählen. Vielleicht nehmen sie auch an der Ehre unsrer
Vorfahren einen patriotischen Antheil, und lernen, wie ge-
fährlich es sey, aus veralteten Worten neue Schlüsse zu
ziehen.

Die Königin von Pohlen Richezza, eine gebohrne Pfalz-
gräfin beym Rhein, ließ sich in der Stadt Cölln nieder,
und weil sie nicht Lust hatte das Bürgerrecht zu nehmen,
begab sie sich in die Hode der heiligen Jungfrau, wor-
inn der Sterbfall mit dem besten Kleide gelöset werden

konn-


LXVI.
Gedanken von dem Urſprunge und Nutzen
der ſogenannten Hyen, Echten oder
Hoden.

Luft macht eigen, heißt es an manchen Orten Deutſch-
landes; und ich habe unſre Vorfahren oftmal in mei-
nen Gedanken einer Grauſamkeit beſchuldiget, daß ſie die
Luft gleichſam vergiftet, und die Sclaverey auf einen in der
ganzen Welt freyen Odemzug geſetzet haͤtten. Oft dachte
ich aber auch: Wie iſt es moͤglich, daß ſie, die mit Heeren
von hunderttauſenden zu Felde giengen, Gut und Blut fuͤr
die Freyheit aufopferten, und keinen leibeignen Knecht die
Waffen fuͤhren lieſſen, die Dienſtbarkeit dergeſtalt beguͤn-
ſtiget, und ganze Doͤrfer durch die Einfuͤhrung derſelben
von dem Heerzuge befreyet haben ſollten? Voll Zweifels
uͤber die Wahrheit und voll Unmuths uͤber die Ungerechtig-
keit der Sache ſelbſt, kam ich von ungefehr auf einen alten
Rechtshandel, woraus ſich dieſes Lufteigenthum auf einmal
als eine ſanfte Freyſtaͤdte zeigte: ich will ihn meinen Leſern
erzaͤhlen. Vielleicht nehmen ſie auch an der Ehre unſrer
Vorfahren einen patriotiſchen Antheil, und lernen, wie ge-
faͤhrlich es ſey, aus veralteten Worten neue Schluͤſſe zu
ziehen.

Die Koͤnigin von Pohlen Richezza, eine gebohrne Pfalz-
graͤfin beym Rhein, ließ ſich in der Stadt Coͤlln nieder,
und weil ſie nicht Luſt hatte das Buͤrgerrecht zu nehmen,
begab ſie ſich in die Hode der heiligen Jungfrau, wor-
inn der Sterbfall mit dem beſten Kleide geloͤſet werden

konn-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0361" n="347"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">LXVI.</hi><lb/>
Gedanken von dem Ur&#x017F;prunge und Nutzen<lb/>
der &#x017F;ogenannten Hyen, Echten oder<lb/>
Hoden.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Luft macht eigen</hi>, heißt es an manchen Orten Deut&#x017F;ch-<lb/>
landes; und ich habe un&#x017F;re Vorfahren oftmal in mei-<lb/>
nen Gedanken einer Grau&#x017F;amkeit be&#x017F;chuldiget, daß &#x017F;ie die<lb/>
Luft gleich&#x017F;am vergiftet, und die Sclaverey auf einen in der<lb/>
ganzen Welt freyen Odemzug ge&#x017F;etzet ha&#x0364;tten. Oft dachte<lb/>
ich aber auch: Wie i&#x017F;t es mo&#x0364;glich, daß &#x017F;ie, die mit Heeren<lb/>
von hunderttau&#x017F;enden zu Felde giengen, Gut und Blut fu&#x0364;r<lb/>
die Freyheit aufopferten, und keinen leibeignen Knecht die<lb/>
Waffen fu&#x0364;hren lie&#x017F;&#x017F;en, die Dien&#x017F;tbarkeit derge&#x017F;talt begu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;tiget, und ganze Do&#x0364;rfer durch die Einfu&#x0364;hrung der&#x017F;elben<lb/>
von dem Heerzuge befreyet haben &#x017F;ollten? Voll Zweifels<lb/>
u&#x0364;ber die Wahrheit und voll Unmuths u&#x0364;ber die Ungerechtig-<lb/>
keit der Sache &#x017F;elb&#x017F;t, kam ich von ungefehr auf einen alten<lb/>
Rechtshandel, woraus &#x017F;ich die&#x017F;es Lufteigenthum auf einmal<lb/>
als eine &#x017F;anfte Frey&#x017F;ta&#x0364;dte zeigte: ich will ihn meinen Le&#x017F;ern<lb/>
erza&#x0364;hlen. Vielleicht nehmen &#x017F;ie auch an der Ehre un&#x017F;rer<lb/>
Vorfahren einen patrioti&#x017F;chen Antheil, und lernen, wie ge-<lb/>
fa&#x0364;hrlich es &#x017F;ey, aus veralteten Worten neue Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zu<lb/>
ziehen.</p><lb/>
        <p>Die Ko&#x0364;nigin von Pohlen Richezza, eine gebohrne Pfalz-<lb/>
gra&#x0364;fin beym Rhein, ließ &#x017F;ich in der Stadt Co&#x0364;lln nieder,<lb/>
und weil &#x017F;ie nicht Lu&#x017F;t hatte das Bu&#x0364;rgerrecht zu nehmen,<lb/>
begab &#x017F;ie &#x017F;ich in die Hode der heiligen Jungfrau, wor-<lb/>
inn der Sterbfall mit dem be&#x017F;ten Kleide gelo&#x0364;&#x017F;et werden<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">konn-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0361] LXVI. Gedanken von dem Urſprunge und Nutzen der ſogenannten Hyen, Echten oder Hoden. Luft macht eigen, heißt es an manchen Orten Deutſch- landes; und ich habe unſre Vorfahren oftmal in mei- nen Gedanken einer Grauſamkeit beſchuldiget, daß ſie die Luft gleichſam vergiftet, und die Sclaverey auf einen in der ganzen Welt freyen Odemzug geſetzet haͤtten. Oft dachte ich aber auch: Wie iſt es moͤglich, daß ſie, die mit Heeren von hunderttauſenden zu Felde giengen, Gut und Blut fuͤr die Freyheit aufopferten, und keinen leibeignen Knecht die Waffen fuͤhren lieſſen, die Dienſtbarkeit dergeſtalt beguͤn- ſtiget, und ganze Doͤrfer durch die Einfuͤhrung derſelben von dem Heerzuge befreyet haben ſollten? Voll Zweifels uͤber die Wahrheit und voll Unmuths uͤber die Ungerechtig- keit der Sache ſelbſt, kam ich von ungefehr auf einen alten Rechtshandel, woraus ſich dieſes Lufteigenthum auf einmal als eine ſanfte Freyſtaͤdte zeigte: ich will ihn meinen Leſern erzaͤhlen. Vielleicht nehmen ſie auch an der Ehre unſrer Vorfahren einen patriotiſchen Antheil, und lernen, wie ge- faͤhrlich es ſey, aus veralteten Worten neue Schluͤſſe zu ziehen. Die Koͤnigin von Pohlen Richezza, eine gebohrne Pfalz- graͤfin beym Rhein, ließ ſich in der Stadt Coͤlln nieder, und weil ſie nicht Luſt hatte das Buͤrgerrecht zu nehmen, begab ſie ſich in die Hode der heiligen Jungfrau, wor- inn der Sterbfall mit dem beſten Kleide geloͤſet werden konn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/361
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/361>, abgerufen am 29.03.2024.