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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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So mag man noch im Alter lieben.
hören wollte. Das alles hat sich verlohren, und die Be-
gierde zu gefallen hat mich so aufmerksam gemacht, daß ich
fast alle Fehler des Alters vermeide. Selbst die Jugend,
welche doch sonst ein ausschließliches Recht auf alle Freuden
der Schöpfung behauptet, und den verliebten Alten so gern
das Grab zeiget, erhält nicht so viel Blösse von mir, daß
sie mich lächerlich machen könnte. Aber ich habe auch mei-
ner liebenswürdigen Freundin noch nie die Hand oder den
Mund geküßt, ich habe ihr noch nie etwas von meiner Liebe
gesagt, nie ihr solche mit einem Blicke zugenickt oder mich
auf andere Art gegen sie erklärt; ich denke sie auch nie zu
heyrathen, oder vom heyrathen abzuhalten; vielmehr bin
ich für sie auf eine recht anständige Parthie bedacht. Mei-
ne ganze Liebe geht nicht weiter, als sie vollkommen glück-
lich zu machen, und mein Herz an der Zufriedenheit zu wei-
den, die ich in dem ihrigen erschaffen will ... Doch die
Glocke schlägt fünf, dieses ist die Zeit ihres Besuchs; ich
werde sie bitten, diesen Brief zuzumachen, und wenn sie
unter der Versuchung erliegt, ihn zu lesen; so wird sie
mein ganzes Geheinmiß wissen ...



Von Ihr.

Das Wort Geheimniß könnte nur immer wegbleiben;
er liebt mich, und ich liebe ihn, dessen bin ich mich
völlig bewust. Nur schämt er sich, es mir zu gestehen.
Ich bin dagegen desto dreister, und habe ihm schon hundert
mal meine Hand angeboten, wenn sie ihn glücklich machen
könnte. Aber da spricht er, ich sey ein närrisches Mäd-
gen, und er liebe mich zu sehr, um mich zur Krücke zu
gebrauchen. Jetzt soll ich durchaus seines Brudern einzi-
gen Sohn heyrathen. Dann will er uns sein ganzes Ver-
mögen übertragen, und seine Tage bey uns zubringen. Da

freuet

So mag man noch im Alter lieben.
hoͤren wollte. Das alles hat ſich verlohren, und die Be-
gierde zu gefallen hat mich ſo aufmerkſam gemacht, daß ich
faſt alle Fehler des Alters vermeide. Selbſt die Jugend,
welche doch ſonſt ein ausſchließliches Recht auf alle Freuden
der Schoͤpfung behauptet, und den verliebten Alten ſo gern
das Grab zeiget, erhaͤlt nicht ſo viel Bloͤſſe von mir, daß
ſie mich laͤcherlich machen koͤnnte. Aber ich habe auch mei-
ner liebenswuͤrdigen Freundin noch nie die Hand oder den
Mund gekuͤßt, ich habe ihr noch nie etwas von meiner Liebe
geſagt, nie ihr ſolche mit einem Blicke zugenickt oder mich
auf andere Art gegen ſie erklaͤrt; ich denke ſie auch nie zu
heyrathen, oder vom heyrathen abzuhalten; vielmehr bin
ich fuͤr ſie auf eine recht anſtaͤndige Parthie bedacht. Mei-
ne ganze Liebe geht nicht weiter, als ſie vollkommen gluͤck-
lich zu machen, und mein Herz an der Zufriedenheit zu wei-
den, die ich in dem ihrigen erſchaffen will … Doch die
Glocke ſchlaͤgt fuͤnf, dieſes iſt die Zeit ihres Beſuchs; ich
werde ſie bitten, dieſen Brief zuzumachen, und wenn ſie
unter der Verſuchung erliegt, ihn zu leſen; ſo wird ſie
mein ganzes Geheinmiß wiſſen …



Von Ihr.

Das Wort Geheimniß koͤnnte nur immer wegbleiben;
er liebt mich, und ich liebe ihn, deſſen bin ich mich
voͤllig bewuſt. Nur ſchaͤmt er ſich, es mir zu geſtehen.
Ich bin dagegen deſto dreiſter, und habe ihm ſchon hundert
mal meine Hand angeboten, wenn ſie ihn gluͤcklich machen
koͤnnte. Aber da ſpricht er, ich ſey ein naͤrriſches Maͤd-
gen, und er liebe mich zu ſehr, um mich zur Kruͤcke zu
gebrauchen. Jetzt ſoll ich durchaus ſeines Brudern einzi-
gen Sohn heyrathen. Dann will er uns ſein ganzes Ver-
moͤgen uͤbertragen, und ſeine Tage bey uns zubringen. Da

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[56/0070] So mag man noch im Alter lieben. hoͤren wollte. Das alles hat ſich verlohren, und die Be- gierde zu gefallen hat mich ſo aufmerkſam gemacht, daß ich faſt alle Fehler des Alters vermeide. Selbſt die Jugend, welche doch ſonſt ein ausſchließliches Recht auf alle Freuden der Schoͤpfung behauptet, und den verliebten Alten ſo gern das Grab zeiget, erhaͤlt nicht ſo viel Bloͤſſe von mir, daß ſie mich laͤcherlich machen koͤnnte. Aber ich habe auch mei- ner liebenswuͤrdigen Freundin noch nie die Hand oder den Mund gekuͤßt, ich habe ihr noch nie etwas von meiner Liebe geſagt, nie ihr ſolche mit einem Blicke zugenickt oder mich auf andere Art gegen ſie erklaͤrt; ich denke ſie auch nie zu heyrathen, oder vom heyrathen abzuhalten; vielmehr bin ich fuͤr ſie auf eine recht anſtaͤndige Parthie bedacht. Mei- ne ganze Liebe geht nicht weiter, als ſie vollkommen gluͤck- lich zu machen, und mein Herz an der Zufriedenheit zu wei- den, die ich in dem ihrigen erſchaffen will … Doch die Glocke ſchlaͤgt fuͤnf, dieſes iſt die Zeit ihres Beſuchs; ich werde ſie bitten, dieſen Brief zuzumachen, und wenn ſie unter der Verſuchung erliegt, ihn zu leſen; ſo wird ſie mein ganzes Geheinmiß wiſſen … Von Ihr. Das Wort Geheimniß koͤnnte nur immer wegbleiben; er liebt mich, und ich liebe ihn, deſſen bin ich mich voͤllig bewuſt. Nur ſchaͤmt er ſich, es mir zu geſtehen. Ich bin dagegen deſto dreiſter, und habe ihm ſchon hundert mal meine Hand angeboten, wenn ſie ihn gluͤcklich machen koͤnnte. Aber da ſpricht er, ich ſey ein naͤrriſches Maͤd- gen, und er liebe mich zu ſehr, um mich zur Kruͤcke zu gebrauchen. Jetzt ſoll ich durchaus ſeines Brudern einzi- gen Sohn heyrathen. Dann will er uns ſein ganzes Ver- moͤgen uͤbertragen, und ſeine Tage bey uns zubringen. Da freuet

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/70>, abgerufen am 29.03.2024.