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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Die Artikel und die Punkte.
nen. Diese setzt voraus, daß eine Klage vorhanden sey,
worauf man sich einlassen solle. Es ist also offenbar,
daß derjenige der einen über Punkte frägt, ihn würklich
anklage.

Jst es aber nicht erstaunend viel gewagt, jemanden
wegen eines Verbrechens anzuklagen, ehe man von dem
Beweise desselben sicher ist? Beladet sich der Kläger nicht
mit der schwersten Genugthuung, wenn er solchergestalt
jemanden in offnem Gerichte verklagt und den Beweis
nicht führen kann? Oder hat ein Richter mehr Recht als
ein andrer einen ehrlichen Mann solchergestalt öffentlich
ungestraft zu verläumden?

Freylich kann der Unschuldige hernach immer noch in
diesem Falle auch von dem Richter Genugthuung for-
dern. Aber wie schwer wird ihm diese nicht fallen? wie
leicht wird sich der Richter entschuldigen? und ist es billig
auch nur den geringsten Menschen unter der Versicherung,
daß man ihn schadlos halten wolle, in Schaden zu stür-
zen? Kann der Schade an der Ehre, so leicht wie der
am Gute ersetzet werden? Jst Verdruß, Gram und Krän-
kung, wodurch einer um seine Ruhe, und Gesundheit
gebracht wird, würklich zu ersetzen? und ist es daher
nicht natürlich, in solchen wichtigen Fällen diejenige Vor-
sicht zu gebrauchen, welche der schlichte Menschenverstand
an Hand giebt?

Ausserdem kommen doch auch manchen Beklagten
leicht einige verzögerliche Einreden zu statten, warum er
auf die Klage zu antworten nicht nöthig hat. Warum
will man einem nun diese in der wichtigsten Begebenheit
abschneiden, worin ein ehrlicher Mann gelangen kann?
und das mit offenbarer Gewalt? -- Denn der Richter
wird sich leicht ermächtigen den Mann einzusperren, der
einmal erschienen ist, -- und sich zu antworten wegert --

Es
Mösers patr. Phantas. IV. Th. J

Die Artikel und die Punkte.
nen. Dieſe ſetzt voraus, daß eine Klage vorhanden ſey,
worauf man ſich einlaſſen ſolle. Es iſt alſo offenbar,
daß derjenige der einen uͤber Punkte fraͤgt, ihn wuͤrklich
anklage.

Jſt es aber nicht erſtaunend viel gewagt, jemanden
wegen eines Verbrechens anzuklagen, ehe man von dem
Beweiſe deſſelben ſicher iſt? Beladet ſich der Klaͤger nicht
mit der ſchwerſten Genugthuung, wenn er ſolchergeſtalt
jemanden in offnem Gerichte verklagt und den Beweis
nicht fuͤhren kann? Oder hat ein Richter mehr Recht als
ein andrer einen ehrlichen Mann ſolchergeſtalt oͤffentlich
ungeſtraft zu verlaͤumden?

Freylich kann der Unſchuldige hernach immer noch in
dieſem Falle auch von dem Richter Genugthuung for-
dern. Aber wie ſchwer wird ihm dieſe nicht fallen? wie
leicht wird ſich der Richter entſchuldigen? und iſt es billig
auch nur den geringſten Menſchen unter der Verſicherung,
daß man ihn ſchadlos halten wolle, in Schaden zu ſtuͤr-
zen? Kann der Schade an der Ehre, ſo leicht wie der
am Gute erſetzet werden? Jſt Verdruß, Gram und Kraͤn-
kung, wodurch einer um ſeine Ruhe, und Geſundheit
gebracht wird, wuͤrklich zu erſetzen? und iſt es daher
nicht natuͤrlich, in ſolchen wichtigen Faͤllen diejenige Vor-
ſicht zu gebrauchen, welche der ſchlichte Menſchenverſtand
an Hand giebt?

Auſſerdem kommen doch auch manchen Beklagten
leicht einige verzoͤgerliche Einreden zu ſtatten, warum er
auf die Klage zu antworten nicht noͤthig hat. Warum
will man einem nun dieſe in der wichtigſten Begebenheit
abſchneiden, worin ein ehrlicher Mann gelangen kann?
und das mit offenbarer Gewalt? — Denn der Richter
wird ſich leicht ermaͤchtigen den Mann einzuſperren, der
einmal erſchienen iſt, — und ſich zu antworten wegert —

Es
Moͤſers patr. Phantaſ. IV. Th. J
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[129/0141] Die Artikel und die Punkte. nen. Dieſe ſetzt voraus, daß eine Klage vorhanden ſey, worauf man ſich einlaſſen ſolle. Es iſt alſo offenbar, daß derjenige der einen uͤber Punkte fraͤgt, ihn wuͤrklich anklage. Jſt es aber nicht erſtaunend viel gewagt, jemanden wegen eines Verbrechens anzuklagen, ehe man von dem Beweiſe deſſelben ſicher iſt? Beladet ſich der Klaͤger nicht mit der ſchwerſten Genugthuung, wenn er ſolchergeſtalt jemanden in offnem Gerichte verklagt und den Beweis nicht fuͤhren kann? Oder hat ein Richter mehr Recht als ein andrer einen ehrlichen Mann ſolchergeſtalt oͤffentlich ungeſtraft zu verlaͤumden? Freylich kann der Unſchuldige hernach immer noch in dieſem Falle auch von dem Richter Genugthuung for- dern. Aber wie ſchwer wird ihm dieſe nicht fallen? wie leicht wird ſich der Richter entſchuldigen? und iſt es billig auch nur den geringſten Menſchen unter der Verſicherung, daß man ihn ſchadlos halten wolle, in Schaden zu ſtuͤr- zen? Kann der Schade an der Ehre, ſo leicht wie der am Gute erſetzet werden? Jſt Verdruß, Gram und Kraͤn- kung, wodurch einer um ſeine Ruhe, und Geſundheit gebracht wird, wuͤrklich zu erſetzen? und iſt es daher nicht natuͤrlich, in ſolchen wichtigen Faͤllen diejenige Vor- ſicht zu gebrauchen, welche der ſchlichte Menſchenverſtand an Hand giebt? Auſſerdem kommen doch auch manchen Beklagten leicht einige verzoͤgerliche Einreden zu ſtatten, warum er auf die Klage zu antworten nicht noͤthig hat. Warum will man einem nun dieſe in der wichtigſten Begebenheit abſchneiden, worin ein ehrlicher Mann gelangen kann? und das mit offenbarer Gewalt? — Denn der Richter wird ſich leicht ermaͤchtigen den Mann einzuſperren, der einmal erſchienen iſt, — und ſich zu antworten wegert — Es Moͤſers patr. Phantaſ. IV. Th. J

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/141>, abgerufen am 23.04.2024.