Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Toleranz und Jntoleranz.
dürften? die eine, welche das Wasser und Gras vor der
Thür hatte, beschwerte sich darüber, daß die Gänse der
andern immer zu ihr kämen, wogegen die ihrigen nie
wiederum zu der andern, welche auf ihrer Seite bare
Heide hätte, giengen; dieses sey unbillig, weil der Na-
turgang eine wechselseitige Nutzung zum Grunde hätte,
die hier ganz wegfiele. Allein der Richter bemerkete,
daß die Bienen der Bauerschaft, welche am Wasser lag,
fleißig auf die Heide flogen, und befahl beyden die ver-
schiedenen Vortheile der Natur mit Dank zu erkennen,
und da man so wenig die Bienen als die Gänse an der
Schnur halten könnte, sich einander das Leben nicht sauer
zu machen. Der Advocat des einen Theils war hiemit
nicht zufrieden, und führte die Unbilligkeit des Spruchs
in einer standhaften Behauptung etc. nach allen Künsten
aus. Aber der Richter ließ gleich ein Bauerrecht von
sechs benachbarten Männern halten, und wie diese mit
ihm einstimmeten, verstattete er keinen Proceß; und der
Oberrichter, wohin sich der vermeintlich beschwerte Theil
wandte, bestätigte sein Verfahren.


XLVIII.
Toleranz und Jntoleranz.

Ein Philosoph, als er unlängst die Ausschweifungen
des englischen Pöbels las, sagte er vor sich: der
Pöbel ist doch überall Ochs, er hat zwey Hörner, den
Aberglauben und die Jntoleranz. Nimmt man sie ihm:
so kann man ihn weder fassen noch anspannen; und läßt
man sie ihm: so richtet er oft Unglück an. Jndessen glaube

ich

Toleranz und Jntoleranz.
duͤrften? die eine, welche das Waſſer und Gras vor der
Thuͤr hatte, beſchwerte ſich daruͤber, daß die Gaͤnſe der
andern immer zu ihr kaͤmen, wogegen die ihrigen nie
wiederum zu der andern, welche auf ihrer Seite bare
Heide haͤtte, giengen; dieſes ſey unbillig, weil der Na-
turgang eine wechſelſeitige Nutzung zum Grunde haͤtte,
die hier ganz wegfiele. Allein der Richter bemerkete,
daß die Bienen der Bauerſchaft, welche am Waſſer lag,
fleißig auf die Heide flogen, und befahl beyden die ver-
ſchiedenen Vortheile der Natur mit Dank zu erkennen,
und da man ſo wenig die Bienen als die Gaͤnſe an der
Schnur halten koͤnnte, ſich einander das Leben nicht ſauer
zu machen. Der Advocat des einen Theils war hiemit
nicht zufrieden, und fuͤhrte die Unbilligkeit des Spruchs
in einer ſtandhaften Behauptung ꝛc. nach allen Kuͤnſten
aus. Aber der Richter ließ gleich ein Bauerrecht von
ſechs benachbarten Maͤnnern halten, und wie dieſe mit
ihm einſtimmeten, verſtattete er keinen Proceß; und der
Oberrichter, wohin ſich der vermeintlich beſchwerte Theil
wandte, beſtaͤtigte ſein Verfahren.


XLVIII.
Toleranz und Jntoleranz.

Ein Philoſoph, als er unlaͤngſt die Ausſchweifungen
des engliſchen Poͤbels las, ſagte er vor ſich: der
Poͤbel iſt doch uͤberall Ochs, er hat zwey Hoͤrner, den
Aberglauben und die Jntoleranz. Nimmt man ſie ihm:
ſo kann man ihn weder faſſen noch anſpannen; und laͤßt
man ſie ihm: ſo richtet er oft Ungluͤck an. Jndeſſen glaube

ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0199" n="187"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Toleranz und Jntoleranz.</hi></fw><lb/>
du&#x0364;rften? die eine, welche das Wa&#x017F;&#x017F;er und Gras vor der<lb/>
Thu&#x0364;r hatte, be&#x017F;chwerte &#x017F;ich daru&#x0364;ber, daß die Ga&#x0364;n&#x017F;e der<lb/>
andern immer zu ihr ka&#x0364;men, wogegen die ihrigen nie<lb/>
wiederum zu der andern, welche auf ihrer Seite bare<lb/>
Heide ha&#x0364;tte, giengen; die&#x017F;es &#x017F;ey unbillig, weil der Na-<lb/>
turgang eine wech&#x017F;el&#x017F;eitige Nutzung zum Grunde ha&#x0364;tte,<lb/>
die hier ganz wegfiele. Allein der Richter bemerkete,<lb/>
daß die Bienen der Bauer&#x017F;chaft, welche am Wa&#x017F;&#x017F;er lag,<lb/>
fleißig auf die Heide flogen, und befahl beyden die ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen Vortheile der Natur mit Dank zu erkennen,<lb/>
und da man &#x017F;o wenig die Bienen als die Ga&#x0364;n&#x017F;e an der<lb/>
Schnur halten ko&#x0364;nnte, &#x017F;ich einander das Leben nicht &#x017F;auer<lb/>
zu machen. Der Advocat des einen Theils war hiemit<lb/>
nicht zufrieden, und fu&#x0364;hrte die Unbilligkeit des Spruchs<lb/>
in einer <hi rendition="#fr">&#x017F;tandhaften Behauptung &#xA75B;c.</hi> nach allen Ku&#x0364;n&#x017F;ten<lb/>
aus. Aber der Richter ließ gleich ein Bauerrecht von<lb/>
&#x017F;echs benachbarten Ma&#x0364;nnern halten, und wie die&#x017F;e mit<lb/>
ihm ein&#x017F;timmeten, ver&#x017F;tattete er keinen Proceß; und der<lb/>
Oberrichter, wohin &#x017F;ich der vermeintlich be&#x017F;chwerte Theil<lb/>
wandte, be&#x017F;ta&#x0364;tigte &#x017F;ein Verfahren.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">XLVIII.</hi><lb/> <hi rendition="#b">Toleranz und Jntoleranz.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>in Philo&#x017F;oph, als er unla&#x0364;ng&#x017F;t die Aus&#x017F;chweifungen<lb/>
des engli&#x017F;chen Po&#x0364;bels las, &#x017F;agte er vor &#x017F;ich: der<lb/>
Po&#x0364;bel i&#x017F;t doch u&#x0364;berall Ochs, er hat zwey Ho&#x0364;rner, den<lb/>
Aberglauben und die Jntoleranz. Nimmt man &#x017F;ie ihm:<lb/>
&#x017F;o kann man ihn weder fa&#x017F;&#x017F;en noch an&#x017F;pannen; und la&#x0364;ßt<lb/>
man &#x017F;ie ihm: &#x017F;o richtet er oft Unglu&#x0364;ck an. Jnde&#x017F;&#x017F;en glaube<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0199] Toleranz und Jntoleranz. duͤrften? die eine, welche das Waſſer und Gras vor der Thuͤr hatte, beſchwerte ſich daruͤber, daß die Gaͤnſe der andern immer zu ihr kaͤmen, wogegen die ihrigen nie wiederum zu der andern, welche auf ihrer Seite bare Heide haͤtte, giengen; dieſes ſey unbillig, weil der Na- turgang eine wechſelſeitige Nutzung zum Grunde haͤtte, die hier ganz wegfiele. Allein der Richter bemerkete, daß die Bienen der Bauerſchaft, welche am Waſſer lag, fleißig auf die Heide flogen, und befahl beyden die ver- ſchiedenen Vortheile der Natur mit Dank zu erkennen, und da man ſo wenig die Bienen als die Gaͤnſe an der Schnur halten koͤnnte, ſich einander das Leben nicht ſauer zu machen. Der Advocat des einen Theils war hiemit nicht zufrieden, und fuͤhrte die Unbilligkeit des Spruchs in einer ſtandhaften Behauptung ꝛc. nach allen Kuͤnſten aus. Aber der Richter ließ gleich ein Bauerrecht von ſechs benachbarten Maͤnnern halten, und wie dieſe mit ihm einſtimmeten, verſtattete er keinen Proceß; und der Oberrichter, wohin ſich der vermeintlich beſchwerte Theil wandte, beſtaͤtigte ſein Verfahren. XLVIII. Toleranz und Jntoleranz. Ein Philoſoph, als er unlaͤngſt die Ausſchweifungen des engliſchen Poͤbels las, ſagte er vor ſich: der Poͤbel iſt doch uͤberall Ochs, er hat zwey Hoͤrner, den Aberglauben und die Jntoleranz. Nimmt man ſie ihm: ſo kann man ihn weder faſſen noch anſpannen; und laͤßt man ſie ihm: ſo richtet er oft Ungluͤck an. Jndeſſen glaube ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/199
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/199>, abgerufen am 29.03.2024.