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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Beherzigung des vorigen Vorschlags.
manne, oder einem jeden der mit dem Landmanne in
Verkehr stehet, gedruckte Citirzettel unter seiner eignen
Unterschrift zu gebrauchen, solche seinem Schuldner durch
den Pfarrer zustellen zu lassen, und nach Ablauf der dar-
inn zum ersten und andern Mal gesetzten Fristen, die Pfan-
dung von dem Vogte zu nehmen: so wird sich alles eben
so gut geben und schicken, als wenn der Citirzettel von
einem Gerichte ausgefertiget ist. Diesen natürlichen Weg
hatte der gesunde Menschenverstand den Gläubigern längst
gewiesen, als sie gerichtlich ausgefertigte Citirzettel in
blanco nahmen, und ihren Schuldnern damit so lange
zu Leibe giengen bis sie bezahlten. Jn der Stadt sieht
man ihn täglich, indem ein Gläubiger den Rathsdiener
bittet, seinem Schuldner zu sagen, daß er ihn binnen 14
Tagen bezahlen müsse; der Diener thut dieses hundert
Male ohne den Richter zu fragen und das mit Recht. Hier
ist eine mündliche Ladung in blanco.

Der Bauer ist ein wunderliches Geschöpf; er läßt
die Citirzettel so lange laufen, bis er gepfandet wird;
dann läuft er als wenn ihm der Kopf brennet, und sucht
Hülfe zu jedem Preise. Diese hätte er aber in jenem Falle
wohlfeiler; er brauchte denn keine contumaciam zu pur-
giren, keine vergeblich erkannte executoriales zu bezahlen,
und keinen Advocaten und Procurator anzunehmen, und
keine Reise in die Stadt zu thun. Er dürfte sich sodenn
nur an seinen Gläubiger und Vogt wenden; diese wüß-
ten wie er steht, und wie er sein Versprechen erfüllen
würde; es wären wenige oder gar keine Kosten aufge-
gangen; und die Sache schickte sich, ohne daß die ge-
ringsten falschen Unkosten aufgegangen wären.

Wozu bedarf es hier eines Gerichts oder eines ge-
richtlichen Erkenntnisses? Die Schuld leugnet der Mann

selten,
U 2

Beherzigung des vorigen Vorſchlags.
manne, oder einem jeden der mit dem Landmanne in
Verkehr ſtehet, gedruckte Citirzettel unter ſeiner eignen
Unterſchrift zu gebrauchen, ſolche ſeinem Schuldner durch
den Pfarrer zuſtellen zu laſſen, und nach Ablauf der dar-
inn zum erſten und andern Mal geſetzten Friſten, die Pfan-
dung von dem Vogte zu nehmen: ſo wird ſich alles eben
ſo gut geben und ſchicken, als wenn der Citirzettel von
einem Gerichte ausgefertiget iſt. Dieſen natuͤrlichen Weg
hatte der geſunde Menſchenverſtand den Glaͤubigern laͤngſt
gewieſen, als ſie gerichtlich ausgefertigte Citirzettel in
blanco nahmen, und ihren Schuldnern damit ſo lange
zu Leibe giengen bis ſie bezahlten. Jn der Stadt ſieht
man ihn taͤglich, indem ein Glaͤubiger den Rathsdiener
bittet, ſeinem Schuldner zu ſagen, daß er ihn binnen 14
Tagen bezahlen muͤſſe; der Diener thut dieſes hundert
Male ohne den Richter zu fragen und das mit Recht. Hier
iſt eine muͤndliche Ladung in blanco.

Der Bauer iſt ein wunderliches Geſchoͤpf; er laͤßt
die Citirzettel ſo lange laufen, bis er gepfandet wird;
dann laͤuft er als wenn ihm der Kopf brennet, und ſucht
Huͤlfe zu jedem Preiſe. Dieſe haͤtte er aber in jenem Falle
wohlfeiler; er brauchte denn keine contumaciam zu pur-
giren, keine vergeblich erkannte executoriales zu bezahlen,
und keinen Advocaten und Procurator anzunehmen, und
keine Reiſe in die Stadt zu thun. Er duͤrfte ſich ſodenn
nur an ſeinen Glaͤubiger und Vogt wenden; dieſe wuͤß-
ten wie er ſteht, und wie er ſein Verſprechen erfuͤllen
wuͤrde; es waͤren wenige oder gar keine Koſten aufge-
gangen; und die Sache ſchickte ſich, ohne daß die ge-
ringſten falſchen Unkoſten aufgegangen waͤren.

Wozu bedarf es hier eines Gerichts oder eines ge-
richtlichen Erkenntniſſes? Die Schuld leugnet der Mann

ſelten,
U 2
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[307/0319] Beherzigung des vorigen Vorſchlags. manne, oder einem jeden der mit dem Landmanne in Verkehr ſtehet, gedruckte Citirzettel unter ſeiner eignen Unterſchrift zu gebrauchen, ſolche ſeinem Schuldner durch den Pfarrer zuſtellen zu laſſen, und nach Ablauf der dar- inn zum erſten und andern Mal geſetzten Friſten, die Pfan- dung von dem Vogte zu nehmen: ſo wird ſich alles eben ſo gut geben und ſchicken, als wenn der Citirzettel von einem Gerichte ausgefertiget iſt. Dieſen natuͤrlichen Weg hatte der geſunde Menſchenverſtand den Glaͤubigern laͤngſt gewieſen, als ſie gerichtlich ausgefertigte Citirzettel in blanco nahmen, und ihren Schuldnern damit ſo lange zu Leibe giengen bis ſie bezahlten. Jn der Stadt ſieht man ihn taͤglich, indem ein Glaͤubiger den Rathsdiener bittet, ſeinem Schuldner zu ſagen, daß er ihn binnen 14 Tagen bezahlen muͤſſe; der Diener thut dieſes hundert Male ohne den Richter zu fragen und das mit Recht. Hier iſt eine muͤndliche Ladung in blanco. Der Bauer iſt ein wunderliches Geſchoͤpf; er laͤßt die Citirzettel ſo lange laufen, bis er gepfandet wird; dann laͤuft er als wenn ihm der Kopf brennet, und ſucht Huͤlfe zu jedem Preiſe. Dieſe haͤtte er aber in jenem Falle wohlfeiler; er brauchte denn keine contumaciam zu pur- giren, keine vergeblich erkannte executoriales zu bezahlen, und keinen Advocaten und Procurator anzunehmen, und keine Reiſe in die Stadt zu thun. Er duͤrfte ſich ſodenn nur an ſeinen Glaͤubiger und Vogt wenden; dieſe wuͤß- ten wie er ſteht, und wie er ſein Verſprechen erfuͤllen wuͤrde; es waͤren wenige oder gar keine Koſten aufge- gangen; und die Sache ſchickte ſich, ohne daß die ge- ringſten falſchen Unkoſten aufgegangen waͤren. Wozu bedarf es hier eines Gerichts oder eines ge- richtlichen Erkenntniſſes? Die Schuld leugnet der Mann ſelten, U 2

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/319>, abgerufen am 28.03.2024.