Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

an eine junge Empfindsame.
wohl, daß er wie vormals mit ihnen einsam auf der Ra-
senbank vor der Grotte sitzen, ihnen in das blaue Aeu-
gelgen sehen, und um einen Kuß auf ihre schöne Hand,
knien sollte? Sie wünschten noch wohl, daß er Jhnen
das Glück der Liebe, was der Geliebte so schlau und
zärtlich schildern kann, immer mit kräftigern Farben
mahlen, und Sie von einer Entzückung zur andern füh-
ren möchte? -- meine Wünsche giengen wenigstens in
dem ersten Jahre, da ich meinen Mann geheyrathet hat-
te, auf nichts weniger als dieses. Allein es geht nicht,
der beste Mann ist auch der thätigste Mann, und wo die
Liebe aufhört Arbeit und Mühe zu erfordern, wo jeder
Triumph nur eine Wiederholung des vorigen ist, wo der
Gewinnst sowohl an seinem Werthe als an seiner Neuheit
verloren hat; da verliert auch jener Trieb der Thätig-
keit seine gehörige Nahrung, und wendet sich von selbst
dahin, wo er diese besser findet. Der weiseste Mann
geht auf neue Entdeckungen aus, und sieht das entdeckte
nur mit Dankbarkeit an. Es gehört zum Wesen unsrer
Seele, daß sie immer beschäftiget seyn und immer weiter
will, und wenn unsre Männer von der Vernunft auf die-
sem Wege in den Geschäften ihres Berufs wohl geführet
werden: so dürfen wir nicht darüber schmollen, daß sie
sich nicht so oft als ehmals mit uns am Silberbache oder
unter Luisens Büche unterhalten. Anfangs kam es mir
auch hart vor, eine solche Veränderung zu ertragen.
Aber mein Mann erklärte sich darüber ganz aufrichtig
gegen mich. Die Freude womit du mich empfängst, sagte
er, verbirget deinen Gram nicht, und dein trübes Auge
zwingt sich vergeblich heiter zu seyn; ich sehe was du willst,
ich soll mit dir wie zuvor auf der Rasenbank sitzen, im-
mer. an deiner Seite hängen, und von deinem Othem
leben; aber dies ist mir unmöglich. Mit Lebensgefahr

wollte
D 2

an eine junge Empfindſame.
wohl, daß er wie vormals mit ihnen einſam auf der Ra-
ſenbank vor der Grotte ſitzen, ihnen in das blaue Aeu-
gelgen ſehen, und um einen Kuß auf ihre ſchoͤne Hand,
knien ſollte? Sie wuͤnſchten noch wohl, daß er Jhnen
das Gluͤck der Liebe, was der Geliebte ſo ſchlau und
zaͤrtlich ſchildern kann, immer mit kraͤftigern Farben
mahlen, und Sie von einer Entzuͤckung zur andern fuͤh-
ren moͤchte? — meine Wuͤnſche giengen wenigſtens in
dem erſten Jahre, da ich meinen Mann geheyrathet hat-
te, auf nichts weniger als dieſes. Allein es geht nicht,
der beſte Mann iſt auch der thaͤtigſte Mann, und wo die
Liebe aufhoͤrt Arbeit und Muͤhe zu erfordern, wo jeder
Triumph nur eine Wiederholung des vorigen iſt, wo der
Gewinnſt ſowohl an ſeinem Werthe als an ſeiner Neuheit
verloren hat; da verliert auch jener Trieb der Thaͤtig-
keit ſeine gehoͤrige Nahrung, und wendet ſich von ſelbſt
dahin, wo er dieſe beſſer findet. Der weiſeſte Mann
geht auf neue Entdeckungen aus, und ſieht das entdeckte
nur mit Dankbarkeit an. Es gehoͤrt zum Weſen unſrer
Seele, daß ſie immer beſchaͤftiget ſeyn und immer weiter
will, und wenn unſre Maͤnner von der Vernunft auf die-
ſem Wege in den Geſchaͤften ihres Berufs wohl gefuͤhret
werden: ſo duͤrfen wir nicht daruͤber ſchmollen, daß ſie
ſich nicht ſo oft als ehmals mit uns am Silberbache oder
unter Luiſens Buͤche unterhalten. Anfangs kam es mir
auch hart vor, eine ſolche Veraͤnderung zu ertragen.
Aber mein Mann erklaͤrte ſich daruͤber ganz aufrichtig
gegen mich. Die Freude womit du mich empfaͤngſt, ſagte
er, verbirget deinen Gram nicht, und dein truͤbes Auge
zwingt ſich vergeblich heiter zu ſeyn; ich ſehe was du willſt,
ich ſoll mit dir wie zuvor auf der Raſenbank ſitzen, im-
mer. an deiner Seite haͤngen, und von deinem Othem
leben; aber dies iſt mir unmoͤglich. Mit Lebensgefahr

wollte
D 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0063" n="51"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">an eine junge Empfind&#x017F;ame.</hi></fw><lb/>
wohl, daß er wie vormals mit ihnen ein&#x017F;am auf der Ra-<lb/>
&#x017F;enbank vor der Grotte &#x017F;itzen, ihnen in das blaue Aeu-<lb/>
gelgen &#x017F;ehen, und um einen Kuß auf ihre &#x017F;cho&#x0364;ne Hand,<lb/>
knien &#x017F;ollte? Sie wu&#x0364;n&#x017F;chten noch wohl, daß er Jhnen<lb/>
das Glu&#x0364;ck der Liebe, was der Geliebte &#x017F;o &#x017F;chlau und<lb/>
za&#x0364;rtlich &#x017F;childern kann, immer mit kra&#x0364;ftigern Farben<lb/>
mahlen, und Sie von einer Entzu&#x0364;ckung zur andern fu&#x0364;h-<lb/>
ren mo&#x0364;chte? &#x2014; meine Wu&#x0364;n&#x017F;che giengen wenig&#x017F;tens in<lb/>
dem er&#x017F;ten Jahre, da ich meinen Mann geheyrathet hat-<lb/>
te, auf nichts weniger als die&#x017F;es. Allein es geht nicht,<lb/>
der be&#x017F;te Mann i&#x017F;t auch der tha&#x0364;tig&#x017F;te Mann, und wo die<lb/>
Liebe aufho&#x0364;rt Arbeit und Mu&#x0364;he zu erfordern, wo jeder<lb/>
Triumph nur eine Wiederholung des vorigen i&#x017F;t, wo der<lb/>
Gewinn&#x017F;t &#x017F;owohl an &#x017F;einem Werthe als an &#x017F;einer Neuheit<lb/>
verloren hat; da verliert auch jener Trieb der Tha&#x0364;tig-<lb/>
keit &#x017F;eine geho&#x0364;rige Nahrung, und wendet &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
dahin, wo er die&#x017F;e be&#x017F;&#x017F;er findet. Der wei&#x017F;e&#x017F;te Mann<lb/>
geht auf neue Entdeckungen aus, und &#x017F;ieht das entdeckte<lb/>
nur mit Dankbarkeit an. Es geho&#x0364;rt zum We&#x017F;en un&#x017F;rer<lb/>
Seele, daß &#x017F;ie immer be&#x017F;cha&#x0364;ftiget &#x017F;eyn und immer weiter<lb/>
will, und wenn un&#x017F;re Ma&#x0364;nner von der Vernunft auf die-<lb/>
&#x017F;em Wege in den Ge&#x017F;cha&#x0364;ften ihres Berufs wohl gefu&#x0364;hret<lb/>
werden: &#x017F;o du&#x0364;rfen wir nicht daru&#x0364;ber &#x017F;chmollen, daß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich nicht &#x017F;o oft als ehmals mit uns am Silberbache oder<lb/>
unter Lui&#x017F;ens Bu&#x0364;che unterhalten. Anfangs kam es mir<lb/>
auch hart vor, eine &#x017F;olche Vera&#x0364;nderung zu ertragen.<lb/>
Aber mein Mann erkla&#x0364;rte &#x017F;ich daru&#x0364;ber ganz aufrichtig<lb/>
gegen mich. Die Freude womit du mich empfa&#x0364;ng&#x017F;t, &#x017F;agte<lb/>
er, verbirget deinen Gram nicht, und dein tru&#x0364;bes Auge<lb/>
zwingt &#x017F;ich vergeblich heiter zu &#x017F;eyn; ich &#x017F;ehe was du will&#x017F;t,<lb/>
ich &#x017F;oll mit dir wie zuvor auf der Ra&#x017F;enbank &#x017F;itzen, im-<lb/>
mer. an deiner Seite ha&#x0364;ngen, und von deinem Othem<lb/>
leben; aber dies i&#x017F;t mir unmo&#x0364;glich. Mit Lebensgefahr<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 2</fw><fw place="bottom" type="catch">wollte</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0063] an eine junge Empfindſame. wohl, daß er wie vormals mit ihnen einſam auf der Ra- ſenbank vor der Grotte ſitzen, ihnen in das blaue Aeu- gelgen ſehen, und um einen Kuß auf ihre ſchoͤne Hand, knien ſollte? Sie wuͤnſchten noch wohl, daß er Jhnen das Gluͤck der Liebe, was der Geliebte ſo ſchlau und zaͤrtlich ſchildern kann, immer mit kraͤftigern Farben mahlen, und Sie von einer Entzuͤckung zur andern fuͤh- ren moͤchte? — meine Wuͤnſche giengen wenigſtens in dem erſten Jahre, da ich meinen Mann geheyrathet hat- te, auf nichts weniger als dieſes. Allein es geht nicht, der beſte Mann iſt auch der thaͤtigſte Mann, und wo die Liebe aufhoͤrt Arbeit und Muͤhe zu erfordern, wo jeder Triumph nur eine Wiederholung des vorigen iſt, wo der Gewinnſt ſowohl an ſeinem Werthe als an ſeiner Neuheit verloren hat; da verliert auch jener Trieb der Thaͤtig- keit ſeine gehoͤrige Nahrung, und wendet ſich von ſelbſt dahin, wo er dieſe beſſer findet. Der weiſeſte Mann geht auf neue Entdeckungen aus, und ſieht das entdeckte nur mit Dankbarkeit an. Es gehoͤrt zum Weſen unſrer Seele, daß ſie immer beſchaͤftiget ſeyn und immer weiter will, und wenn unſre Maͤnner von der Vernunft auf die- ſem Wege in den Geſchaͤften ihres Berufs wohl gefuͤhret werden: ſo duͤrfen wir nicht daruͤber ſchmollen, daß ſie ſich nicht ſo oft als ehmals mit uns am Silberbache oder unter Luiſens Buͤche unterhalten. Anfangs kam es mir auch hart vor, eine ſolche Veraͤnderung zu ertragen. Aber mein Mann erklaͤrte ſich daruͤber ganz aufrichtig gegen mich. Die Freude womit du mich empfaͤngſt, ſagte er, verbirget deinen Gram nicht, und dein truͤbes Auge zwingt ſich vergeblich heiter zu ſeyn; ich ſehe was du willſt, ich ſoll mit dir wie zuvor auf der Raſenbank ſitzen, im- mer. an deiner Seite haͤngen, und von deinem Othem leben; aber dies iſt mir unmoͤglich. Mit Lebensgefahr wollte D 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/63
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/63>, abgerufen am 29.03.2024.