Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Werth der Complimente.
ich es mir versehen, Theil an unserer Unterredung genom-
men, und was nach meiner Absicht blos ein vertrauli-
ches Wort zur Aufmunterung eines Mannes von gewis-
sen Verdiensten seyn sollte, erhielt durch das Gepränge,
womit er solches aufhob, eine Art von Gewicht, was
mich ordentlich kränkte, und in Beziehung auf verschie-
dene andre von der Gesellschaft, in eine wahre Verle-
genheit setzte. Wie ist es aber möglich, daß ein Mensch
so wenig gesundes Gefühl haben, und jede sanfte Ma-
nier des Ausdrucks, wodurch man Gefälligkeit, Aufmerk-
samkeit und Empfindung in einer Gesellschaft von Freun-
den zu erwecken sucht, auf eine so rauhe Art behan-
deln könne?

Es ist, wie Sie wissen, meine Gewohnheit, daß
ich in Gesellschaften entweder den geringsten oder denje-
nigen, worauf die andern am wenigsten achten, gern zu
meiner Unterhaltung erwähle, und ihm oft zu seiner eig-
nen Verwunderung zum allerliebsten Manne mache. Dazu
gehört nun mancher Blick der feinsten Aufmerksamkeit,
manches verbindliche Wort, und auch wohl ein unfrey-
williger Druck der Hand, der so weggleitet, ohne daß
er förmlich erwiedert werden soll. Wenn man aber alles
dieses, was das feinere gesellschaftliche Leben erfordert,
in ein großes Licht setzen, mich wegen jeder Bewegung
gleichsam zur Rechenschaft fordern, und alle Schatti-
rungen zu besondern Farben heraus heben wollte, so
würde man ich weiß nicht was aus mir machen können.

Bey dem Herrn .. ist es jedoch nicht Mangel von
Gefühl sondern blos die Begierde in fertigen und witzi-
gen Antworten zu glänzen, die ihn zu einer solchen Un-
besonnenheit verführt. Er weiß wohl, daß ich eine ent-
schlossene Witwe bin, die keinen Menschen und am aller-
wenigsten ihn an sich zu ziehen gedenket; er war über-

zeugt,

Der Werth der Complimente.
ich es mir verſehen, Theil an unſerer Unterredung genom-
men, und was nach meiner Abſicht blos ein vertrauli-
ches Wort zur Aufmunterung eines Mannes von gewiſ-
ſen Verdienſten ſeyn ſollte, erhielt durch das Gepraͤnge,
womit er ſolches aufhob, eine Art von Gewicht, was
mich ordentlich kraͤnkte, und in Beziehung auf verſchie-
dene andre von der Geſellſchaft, in eine wahre Verle-
genheit ſetzte. Wie iſt es aber moͤglich, daß ein Menſch
ſo wenig geſundes Gefuͤhl haben, und jede ſanfte Ma-
nier des Ausdrucks, wodurch man Gefaͤlligkeit, Aufmerk-
ſamkeit und Empfindung in einer Geſellſchaft von Freun-
den zu erwecken ſucht, auf eine ſo rauhe Art behan-
deln koͤnne?

Es iſt, wie Sie wiſſen, meine Gewohnheit, daß
ich in Geſellſchaften entweder den geringſten oder denje-
nigen, worauf die andern am wenigſten achten, gern zu
meiner Unterhaltung erwaͤhle, und ihm oft zu ſeiner eig-
nen Verwunderung zum allerliebſten Manne mache. Dazu
gehoͤrt nun mancher Blick der feinſten Aufmerkſamkeit,
manches verbindliche Wort, und auch wohl ein unfrey-
williger Druck der Hand, der ſo weggleitet, ohne daß
er foͤrmlich erwiedert werden ſoll. Wenn man aber alles
dieſes, was das feinere geſellſchaftliche Leben erfordert,
in ein großes Licht ſetzen, mich wegen jeder Bewegung
gleichſam zur Rechenſchaft fordern, und alle Schatti-
rungen zu beſondern Farben heraus heben wollte, ſo
wuͤrde man ich weiß nicht was aus mir machen koͤnnen.

Bey dem Herrn .. iſt es jedoch nicht Mangel von
Gefuͤhl ſondern blos die Begierde in fertigen und witzi-
gen Antworten zu glaͤnzen, die ihn zu einer ſolchen Un-
beſonnenheit verfuͤhrt. Er weiß wohl, daß ich eine ent-
ſchloſſene Witwe bin, die keinen Menſchen und am aller-
wenigſten ihn an ſich zu ziehen gedenket; er war uͤber-

zeugt,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0086" n="74"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der Werth der Complimente.</hi></fw><lb/>
ich es mir ver&#x017F;ehen, Theil an un&#x017F;erer Unterredung genom-<lb/>
men, und was nach meiner Ab&#x017F;icht blos ein vertrauli-<lb/>
ches Wort zur Aufmunterung eines Mannes von gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Verdien&#x017F;ten &#x017F;eyn &#x017F;ollte, erhielt durch das Gepra&#x0364;nge,<lb/>
womit er &#x017F;olches aufhob, eine Art von Gewicht, was<lb/>
mich ordentlich kra&#x0364;nkte, und in Beziehung auf ver&#x017F;chie-<lb/>
dene andre von der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, in eine wahre Verle-<lb/>
genheit &#x017F;etzte. Wie i&#x017F;t es aber mo&#x0364;glich, daß ein Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;o wenig ge&#x017F;undes Gefu&#x0364;hl haben, und jede &#x017F;anfte Ma-<lb/>
nier des Ausdrucks, wodurch man Gefa&#x0364;lligkeit, Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit und Empfindung in einer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von Freun-<lb/>
den zu erwecken &#x017F;ucht, auf eine &#x017F;o rauhe Art behan-<lb/>
deln ko&#x0364;nne?</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t, wie Sie wi&#x017F;&#x017F;en, meine Gewohnheit, daß<lb/>
ich in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften entweder den gering&#x017F;ten oder denje-<lb/>
nigen, worauf die andern am wenig&#x017F;ten achten, gern zu<lb/>
meiner Unterhaltung erwa&#x0364;hle, und ihm oft zu &#x017F;einer eig-<lb/>
nen Verwunderung zum allerlieb&#x017F;ten Manne mache. Dazu<lb/>
geho&#x0364;rt nun mancher Blick der fein&#x017F;ten Aufmerk&#x017F;amkeit,<lb/>
manches verbindliche Wort, und auch wohl ein unfrey-<lb/>
williger Druck der Hand, der &#x017F;o weggleitet, ohne daß<lb/>
er fo&#x0364;rmlich erwiedert werden &#x017F;oll. Wenn man aber alles<lb/>
die&#x017F;es, was das feinere ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliche Leben erfordert,<lb/>
in ein großes Licht &#x017F;etzen, mich wegen jeder Bewegung<lb/>
gleich&#x017F;am zur Rechen&#x017F;chaft fordern, und alle Schatti-<lb/>
rungen zu be&#x017F;ondern Farben heraus heben wollte, &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rde man ich weiß nicht was aus mir machen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
            <p>Bey dem Herrn .. i&#x017F;t es jedoch nicht Mangel von<lb/>
Gefu&#x0364;hl &#x017F;ondern blos die Begierde in fertigen und witzi-<lb/>
gen Antworten zu gla&#x0364;nzen, die ihn zu einer &#x017F;olchen Un-<lb/>
be&#x017F;onnenheit verfu&#x0364;hrt. Er weiß wohl, daß ich eine ent-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Witwe bin, die keinen Men&#x017F;chen und am aller-<lb/>
wenig&#x017F;ten ihn an &#x017F;ich zu ziehen gedenket; er war u&#x0364;ber-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zeugt,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0086] Der Werth der Complimente. ich es mir verſehen, Theil an unſerer Unterredung genom- men, und was nach meiner Abſicht blos ein vertrauli- ches Wort zur Aufmunterung eines Mannes von gewiſ- ſen Verdienſten ſeyn ſollte, erhielt durch das Gepraͤnge, womit er ſolches aufhob, eine Art von Gewicht, was mich ordentlich kraͤnkte, und in Beziehung auf verſchie- dene andre von der Geſellſchaft, in eine wahre Verle- genheit ſetzte. Wie iſt es aber moͤglich, daß ein Menſch ſo wenig geſundes Gefuͤhl haben, und jede ſanfte Ma- nier des Ausdrucks, wodurch man Gefaͤlligkeit, Aufmerk- ſamkeit und Empfindung in einer Geſellſchaft von Freun- den zu erwecken ſucht, auf eine ſo rauhe Art behan- deln koͤnne? Es iſt, wie Sie wiſſen, meine Gewohnheit, daß ich in Geſellſchaften entweder den geringſten oder denje- nigen, worauf die andern am wenigſten achten, gern zu meiner Unterhaltung erwaͤhle, und ihm oft zu ſeiner eig- nen Verwunderung zum allerliebſten Manne mache. Dazu gehoͤrt nun mancher Blick der feinſten Aufmerkſamkeit, manches verbindliche Wort, und auch wohl ein unfrey- williger Druck der Hand, der ſo weggleitet, ohne daß er foͤrmlich erwiedert werden ſoll. Wenn man aber alles dieſes, was das feinere geſellſchaftliche Leben erfordert, in ein großes Licht ſetzen, mich wegen jeder Bewegung gleichſam zur Rechenſchaft fordern, und alle Schatti- rungen zu beſondern Farben heraus heben wollte, ſo wuͤrde man ich weiß nicht was aus mir machen koͤnnen. Bey dem Herrn .. iſt es jedoch nicht Mangel von Gefuͤhl ſondern blos die Begierde in fertigen und witzi- gen Antworten zu glaͤnzen, die ihn zu einer ſolchen Un- beſonnenheit verfuͤhrt. Er weiß wohl, daß ich eine ent- ſchloſſene Witwe bin, die keinen Menſchen und am aller- wenigſten ihn an ſich zu ziehen gedenket; er war uͤber- zeugt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/86
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/86>, abgerufen am 19.04.2024.