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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Verdienten sie die Krone oder nicht?
schwender, als ein zärtlicher und liebenswürdiger Freund,
und der dritte ein ehrsüchtiger Diener als ein großmü-
thiger und gnädiger Gönner gerühmt wurde; ohnerach-
tet sich jeder von ihnen in dem Wege seiner Leidenschaft
alles heimlich erlaubte, was sich der gottloseste Mann,
der nicht eben an den lichten Galgen rennen will, nur
immer erlauben konnte. Erbittert über die schielenden
Urtheile der Menschen, und über die große Falschheit,
ihrer Tugenden, begegnete ich einem Landmanne, und
fragte ihn nach einer kurzen Unterredung, welches so die
besten Leute in seinem Dorfe wären, und wodurch sie sich
so eigentlich auszeichneten. Seine Antworten sagten je-
doch nur so viel, der und der wäre ein guter Kerl, und
noch ein ander wäre ein verwegen tüchtiger Kerl, aber
immer folgte ein Aber hinten nach, und dieses Aber gieng
dahin, daß jeder ein Held in derjenigen Tugend wäre,
die seiner Neigung und Sinnesart am besten zu statten
käme, und sich um die übrigen zu wenig bekümmerte.
Endlich kam der Mann auf eine Geschichte, die sich vor
vielen Jahren in seinem Dorfe zugetragen hatte, und
glaubte mir damit einen Verweis zu geben, daß ich gar
zu viel von dem besten Menschen forderte. Denn ich
hatte ihn mehrmals gefragt, wie er diejenigen als gute
Leute preisen könnte, die doch seiner eignen Beschreibung
nach so große Fehler an sich hätten?

Jn unserm Dorfe, hob er an, ist die alte gute Ge-
wohnheit, daß jährlich am Neujahrstage die Gemeine
sich in der Kirche versammlet, und nach geendigtem Got-
tesdienst auf das Schloß begiebt, wo die Herrschaft ei-
nem Ehepaar, welches wenigstens fünf und zwanzig Jahr
friedlich mit einander gelebt haben muß, und nach dem
Urtheil aller Hausgesessenen Einwohner des Dorfs die
beste Wirthschaft geführet hat, einen Kranz von Eichen

Laube

Verdienten ſie die Krone oder nicht?
ſchwender, als ein zaͤrtlicher und liebenswuͤrdiger Freund,
und der dritte ein ehrſuͤchtiger Diener als ein großmuͤ-
thiger und gnaͤdiger Goͤnner geruͤhmt wurde; ohnerach-
tet ſich jeder von ihnen in dem Wege ſeiner Leidenſchaft
alles heimlich erlaubte, was ſich der gottloſeſte Mann,
der nicht eben an den lichten Galgen rennen will, nur
immer erlauben konnte. Erbittert uͤber die ſchielenden
Urtheile der Menſchen, und uͤber die große Falſchheit,
ihrer Tugenden, begegnete ich einem Landmanne, und
fragte ihn nach einer kurzen Unterredung, welches ſo die
beſten Leute in ſeinem Dorfe waͤren, und wodurch ſie ſich
ſo eigentlich auszeichneten. Seine Antworten ſagten je-
doch nur ſo viel, der und der waͤre ein guter Kerl, und
noch ein ander waͤre ein verwegen tuͤchtiger Kerl, aber
immer folgte ein Aber hinten nach, und dieſes Aber gieng
dahin, daß jeder ein Held in derjenigen Tugend waͤre,
die ſeiner Neigung und Sinnesart am beſten zu ſtatten
kaͤme, und ſich um die uͤbrigen zu wenig bekuͤmmerte.
Endlich kam der Mann auf eine Geſchichte, die ſich vor
vielen Jahren in ſeinem Dorfe zugetragen hatte, und
glaubte mir damit einen Verweis zu geben, daß ich gar
zu viel von dem beſten Menſchen forderte. Denn ich
hatte ihn mehrmals gefragt, wie er diejenigen als gute
Leute preiſen koͤnnte, die doch ſeiner eignen Beſchreibung
nach ſo große Fehler an ſich haͤtten?

Jn unſerm Dorfe, hob er an, iſt die alte gute Ge-
wohnheit, daß jaͤhrlich am Neujahrstage die Gemeine
ſich in der Kirche verſammlet, und nach geendigtem Got-
tesdienſt auf das Schloß begiebt, wo die Herrſchaft ei-
nem Ehepaar, welches wenigſtens fuͤnf und zwanzig Jahr
friedlich mit einander gelebt haben muß, und nach dem
Urtheil aller Hausgeſeſſenen Einwohner des Dorfs die
beſte Wirthſchaft gefuͤhret hat, einen Kranz von Eichen

Laube
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[77/0089] Verdienten ſie die Krone oder nicht? ſchwender, als ein zaͤrtlicher und liebenswuͤrdiger Freund, und der dritte ein ehrſuͤchtiger Diener als ein großmuͤ- thiger und gnaͤdiger Goͤnner geruͤhmt wurde; ohnerach- tet ſich jeder von ihnen in dem Wege ſeiner Leidenſchaft alles heimlich erlaubte, was ſich der gottloſeſte Mann, der nicht eben an den lichten Galgen rennen will, nur immer erlauben konnte. Erbittert uͤber die ſchielenden Urtheile der Menſchen, und uͤber die große Falſchheit, ihrer Tugenden, begegnete ich einem Landmanne, und fragte ihn nach einer kurzen Unterredung, welches ſo die beſten Leute in ſeinem Dorfe waͤren, und wodurch ſie ſich ſo eigentlich auszeichneten. Seine Antworten ſagten je- doch nur ſo viel, der und der waͤre ein guter Kerl, und noch ein ander waͤre ein verwegen tuͤchtiger Kerl, aber immer folgte ein Aber hinten nach, und dieſes Aber gieng dahin, daß jeder ein Held in derjenigen Tugend waͤre, die ſeiner Neigung und Sinnesart am beſten zu ſtatten kaͤme, und ſich um die uͤbrigen zu wenig bekuͤmmerte. Endlich kam der Mann auf eine Geſchichte, die ſich vor vielen Jahren in ſeinem Dorfe zugetragen hatte, und glaubte mir damit einen Verweis zu geben, daß ich gar zu viel von dem beſten Menſchen forderte. Denn ich hatte ihn mehrmals gefragt, wie er diejenigen als gute Leute preiſen koͤnnte, die doch ſeiner eignen Beſchreibung nach ſo große Fehler an ſich haͤtten? Jn unſerm Dorfe, hob er an, iſt die alte gute Ge- wohnheit, daß jaͤhrlich am Neujahrstage die Gemeine ſich in der Kirche verſammlet, und nach geendigtem Got- tesdienſt auf das Schloß begiebt, wo die Herrſchaft ei- nem Ehepaar, welches wenigſtens fuͤnf und zwanzig Jahr friedlich mit einander gelebt haben muß, und nach dem Urtheil aller Hausgeſeſſenen Einwohner des Dorfs die beſte Wirthſchaft gefuͤhret hat, einen Kranz von Eichen Laube

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/89>, abgerufen am 28.03.2024.