Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Verdienten sie die Krone oder nicht?
erkläret hatte, als die besten Eheleute im Dorfe gekrö-
net werden könnten? Der Gerichtsherr sagte kaltsinnig:
er wolle es lediglich auf den Ausspruch der Menge an-
kommen lassen; die gnädige Frau meinte, sie müßten doch
etwas für den Schrecken haben; der Pfarrer versicherte,
es wären doch immer gute Leute gewesen; und die Ge-
meinheit rief einhellig: O, wenn man alle so auf die Pro-
be setzen wollte, so möchte der Henker ein ehrlicher Mann
seyn. Der einzige Gerichtshalter wollte behaupten, die
Sache müßte erst näher untersuchet werden, aber ihm
ward befohlen, anstatt der Erbschaft, den Ausspruch zum
Protocoll zu nehmen, und die Gerichtsfrau setzte darauf
der beste Frau die Krone auf, so wie es der Gerichtsherr
dem besten Manne that ... ...

Das hätte ich nicht gethan antwortete ich, und wenn
auch ... O erwiederte der Mann, wenn sie in der Ver-
sammlung gewesen wären, und die Anna Catharine Un-
ruhe in ihrem ehrwürdigen Alter, und ihren Mann in
seinen grauen Haaren gesehen; wenn sie auf den Phy-
sionomien aller Anwesenden nur eine Stimme für sie ge-
lesen hätten; wenn ihnen der Pfarrer selbst gesagt hätte,
sie möchten sich kein Bedenken machen; und wenn das
Essen immittelst aufgetragen gewesen wäre: O sie hätten
es wahrlich nicht kalt werden lassen. Jch gieng fort, ohne
weiter zu antworten. Aber was das für eine Philosophie
ist, einen gutwillig Hahnrey und eine Hure als die besten
Eheleute zu krönen! und doch mag sich der Fall oft ge-
nug zutragen; die Menschen im gemeinen Leben haben
eine ganz andre Praktik, als wir Physiologen. Sie las-
sen dem lieben Gott das Herz richten, und geben demje-
nigen die Krone, von dem sie das mehrste Gute empfan-
gen. Sie sind minder ekel wie wir feinen Moralisten, ob
sie aber dabey gewinnen oder verlieren, und ob dieser

Ge-
Mösers patr. Phantas. IV. Th. F

Verdienten ſie die Krone oder nicht?
erklaͤret hatte, als die beſten Eheleute im Dorfe gekroͤ-
net werden koͤnnten? Der Gerichtsherr ſagte kaltſinnig:
er wolle es lediglich auf den Ausſpruch der Menge an-
kommen laſſen; die gnaͤdige Frau meinte, ſie muͤßten doch
etwas fuͤr den Schrecken haben; der Pfarrer verſicherte,
es waͤren doch immer gute Leute geweſen; und die Ge-
meinheit rief einhellig: O, wenn man alle ſo auf die Pro-
be ſetzen wollte, ſo moͤchte der Henker ein ehrlicher Mann
ſeyn. Der einzige Gerichtshalter wollte behaupten, die
Sache muͤßte erſt naͤher unterſuchet werden, aber ihm
ward befohlen, anſtatt der Erbſchaft, den Ausſpruch zum
Protocoll zu nehmen, und die Gerichtsfrau ſetzte darauf
der beſte Frau die Krone auf, ſo wie es der Gerichtsherr
dem beſten Manne that … …

Das haͤtte ich nicht gethan antwortete ich, und wenn
auch … O erwiederte der Mann, wenn ſie in der Ver-
ſammlung geweſen waͤren, und die Anna Catharine Un-
ruhe in ihrem ehrwuͤrdigen Alter, und ihren Mann in
ſeinen grauen Haaren geſehen; wenn ſie auf den Phy-
ſionomien aller Anweſenden nur eine Stimme fuͤr ſie ge-
leſen haͤtten; wenn ihnen der Pfarrer ſelbſt geſagt haͤtte,
ſie moͤchten ſich kein Bedenken machen; und wenn das
Eſſen immittelſt aufgetragen geweſen waͤre: O ſie haͤtten
es wahrlich nicht kalt werden laſſen. Jch gieng fort, ohne
weiter zu antworten. Aber was das fuͤr eine Philoſophie
iſt, einen gutwillig Hahnrey und eine Hure als die beſten
Eheleute zu kroͤnen! und doch mag ſich der Fall oft ge-
nug zutragen; die Menſchen im gemeinen Leben haben
eine ganz andre Praktik, als wir Phyſiologen. Sie laſ-
ſen dem lieben Gott das Herz richten, und geben demje-
nigen die Krone, von dem ſie das mehrſte Gute empfan-
gen. Sie ſind minder ekel wie wir feinen Moraliſten, ob
ſie aber dabey gewinnen oder verlieren, und ob dieſer

Ge-
Moͤſers patr. Phantaſ. IV. Th. F
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0093" n="81"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Verdienten &#x017F;ie die Krone oder nicht?</hi></fw><lb/>
erkla&#x0364;ret hatte, als die be&#x017F;ten Eheleute im Dorfe gekro&#x0364;-<lb/>
net werden ko&#x0364;nnten? Der Gerichtsherr &#x017F;agte kalt&#x017F;innig:<lb/>
er wolle es lediglich auf den Aus&#x017F;pruch der Menge an-<lb/>
kommen la&#x017F;&#x017F;en; die gna&#x0364;dige Frau meinte, &#x017F;ie mu&#x0364;ßten doch<lb/>
etwas fu&#x0364;r den Schrecken haben; der Pfarrer ver&#x017F;icherte,<lb/>
es wa&#x0364;ren doch immer gute Leute gewe&#x017F;en; und die Ge-<lb/>
meinheit rief einhellig: O, wenn man alle &#x017F;o auf die Pro-<lb/>
be &#x017F;etzen wollte, &#x017F;o mo&#x0364;chte der Henker ein ehrlicher Mann<lb/>
&#x017F;eyn. Der einzige Gerichtshalter wollte behaupten, die<lb/>
Sache mu&#x0364;ßte er&#x017F;t na&#x0364;her unter&#x017F;uchet werden, aber ihm<lb/>
ward befohlen, an&#x017F;tatt der Erb&#x017F;chaft, den Aus&#x017F;pruch zum<lb/>
Protocoll zu nehmen, und die Gerichtsfrau &#x017F;etzte darauf<lb/>
der be&#x017F;te Frau die Krone auf, &#x017F;o wie es der Gerichtsherr<lb/>
dem be&#x017F;ten Manne that &#x2026; &#x2026;</p><lb/>
            <p>Das ha&#x0364;tte ich nicht gethan antwortete ich, und wenn<lb/>
auch &#x2026; O erwiederte der Mann, wenn &#x017F;ie in der Ver-<lb/>
&#x017F;ammlung gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren, und die Anna Catharine Un-<lb/>
ruhe in ihrem ehrwu&#x0364;rdigen Alter, und ihren Mann in<lb/>
&#x017F;einen grauen Haaren ge&#x017F;ehen; wenn &#x017F;ie auf den Phy-<lb/>
&#x017F;ionomien aller Anwe&#x017F;enden nur eine Stimme fu&#x0364;r &#x017F;ie ge-<lb/>
le&#x017F;en ha&#x0364;tten; wenn ihnen der Pfarrer &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;agt ha&#x0364;tte,<lb/>
&#x017F;ie mo&#x0364;chten &#x017F;ich kein Bedenken machen; und wenn das<lb/>
E&#x017F;&#x017F;en immittel&#x017F;t aufgetragen gewe&#x017F;en wa&#x0364;re: O &#x017F;ie ha&#x0364;tten<lb/>
es wahrlich nicht kalt werden la&#x017F;&#x017F;en. Jch gieng fort, ohne<lb/>
weiter zu antworten. Aber was das fu&#x0364;r eine Philo&#x017F;ophie<lb/>
i&#x017F;t, einen gutwillig Hahnrey und eine Hure als die be&#x017F;ten<lb/>
Eheleute zu kro&#x0364;nen! und doch mag &#x017F;ich der Fall oft ge-<lb/>
nug zutragen; die Men&#x017F;chen im gemeinen Leben haben<lb/>
eine ganz andre Praktik, als wir Phy&#x017F;iologen. Sie la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en dem lieben Gott das Herz richten, und geben demje-<lb/>
nigen die Krone, von dem &#x017F;ie das mehr&#x017F;te Gute empfan-<lb/>
gen. Sie &#x017F;ind minder ekel wie wir feinen Morali&#x017F;ten, ob<lb/>
&#x017F;ie aber dabey gewinnen oder verlieren, und ob die&#x017F;er<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Mo&#x0364;&#x017F;ers patr. Phanta&#x017F;.</hi><hi rendition="#aq">IV.</hi><hi rendition="#fr">Th.</hi> F</fw><fw place="bottom" type="catch">Ge-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0093] Verdienten ſie die Krone oder nicht? erklaͤret hatte, als die beſten Eheleute im Dorfe gekroͤ- net werden koͤnnten? Der Gerichtsherr ſagte kaltſinnig: er wolle es lediglich auf den Ausſpruch der Menge an- kommen laſſen; die gnaͤdige Frau meinte, ſie muͤßten doch etwas fuͤr den Schrecken haben; der Pfarrer verſicherte, es waͤren doch immer gute Leute geweſen; und die Ge- meinheit rief einhellig: O, wenn man alle ſo auf die Pro- be ſetzen wollte, ſo moͤchte der Henker ein ehrlicher Mann ſeyn. Der einzige Gerichtshalter wollte behaupten, die Sache muͤßte erſt naͤher unterſuchet werden, aber ihm ward befohlen, anſtatt der Erbſchaft, den Ausſpruch zum Protocoll zu nehmen, und die Gerichtsfrau ſetzte darauf der beſte Frau die Krone auf, ſo wie es der Gerichtsherr dem beſten Manne that … … Das haͤtte ich nicht gethan antwortete ich, und wenn auch … O erwiederte der Mann, wenn ſie in der Ver- ſammlung geweſen waͤren, und die Anna Catharine Un- ruhe in ihrem ehrwuͤrdigen Alter, und ihren Mann in ſeinen grauen Haaren geſehen; wenn ſie auf den Phy- ſionomien aller Anweſenden nur eine Stimme fuͤr ſie ge- leſen haͤtten; wenn ihnen der Pfarrer ſelbſt geſagt haͤtte, ſie moͤchten ſich kein Bedenken machen; und wenn das Eſſen immittelſt aufgetragen geweſen waͤre: O ſie haͤtten es wahrlich nicht kalt werden laſſen. Jch gieng fort, ohne weiter zu antworten. Aber was das fuͤr eine Philoſophie iſt, einen gutwillig Hahnrey und eine Hure als die beſten Eheleute zu kroͤnen! und doch mag ſich der Fall oft ge- nug zutragen; die Menſchen im gemeinen Leben haben eine ganz andre Praktik, als wir Phyſiologen. Sie laſ- ſen dem lieben Gott das Herz richten, und geben demje- nigen die Krone, von dem ſie das mehrſte Gute empfan- gen. Sie ſind minder ekel wie wir feinen Moraliſten, ob ſie aber dabey gewinnen oder verlieren, und ob dieſer Ge- Moͤſers patr. Phantaſ. IV. Th. F

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/93
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/93>, abgerufen am 19.04.2024.