Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 45.
b. Die einzelnen Arten des Rechtsstaates.

Der Zweck des Rechtsstaates hat keineswegs eine bestimmte
Form der Regierung zur nothwendigen Folge; vielmehr kann
jede Gestaltung der Staatsgewalt, welche eine Förderung der
sämmtlichen menschlichen Lebenszwecke erlaubt und in Aussicht
stellt, rechtlich stattfinden. Nur eine Frage der Zweckmäßigkeit
ist es somit, welche von den verschiedenen möglichen Formen
den Vorzug verdiene, und es ist auch die Reihe der rechtlich
möglichen Arten noch keineswegs als für immer abgeschlossen
zu betrachten.

Bis jetzt sind drei verschiedene Hauptarten von Einrich-
tungen 1) aufgefunden worden, von welchen zwei wieder in
Unterarten zerfallen. Entweder nämlich steht die Staatsgewalt
dem Volke, d. h. den sämmtlichen zur Ausübung politischer
Rechte nach den Gesetzen des concreten Staates befähigten
Staatsbürgern, zu; wobei denn wieder der wichtige Unterschied
stattfindet, daß in der reinen Demokratie die Berechtigten in
einer großen Versammlung zusammentreten, zu Berathungen
und Beschlußnahmen, in der Volksherrschaft mit Vertretung
dagegen die Bürger zunächst aus ihrer Mitte eine verhältniß-
mäßig kleine Anzahl von Stellvertretern wählen, welchen so-
dann die Ausübung der dem Volke zustehenden Rechte über-
lassen wird. -- Oder aber steht die höchste Gewalt einer klei-
neren Anzahl von ausschließlich berechtigten Geschlechtern zu,
welche dieselbe gemeinschaftlich führen. Der Grund dieser Be-
rechtigung kann ein verschiedener sein, z. B. Abstammung von
bestimmten Vorältern, oder Besitz einer bezeichneten Art und
Größe von Vermögen; aber der Gedanke der ausschließlichen
Bevorzugung ist immer derselbe 2). -- Oder endlich ist der In-
haber der Staatsgewalt ein, sei es durch Wahl sei es durch

§ 45.
b. Die einzelnen Arten des Rechtsſtaates.

Der Zweck des Rechtsſtaates hat keineswegs eine beſtimmte
Form der Regierung zur nothwendigen Folge; vielmehr kann
jede Geſtaltung der Staatsgewalt, welche eine Förderung der
ſämmtlichen menſchlichen Lebenszwecke erlaubt und in Ausſicht
ſtellt, rechtlich ſtattfinden. Nur eine Frage der Zweckmäßigkeit
iſt es ſomit, welche von den verſchiedenen möglichen Formen
den Vorzug verdiene, und es iſt auch die Reihe der rechtlich
möglichen Arten noch keineswegs als für immer abgeſchloſſen
zu betrachten.

Bis jetzt ſind drei verſchiedene Hauptarten von Einrich-
tungen 1) aufgefunden worden, von welchen zwei wieder in
Unterarten zerfallen. Entweder nämlich ſteht die Staatsgewalt
dem Volke, d. h. den ſämmtlichen zur Ausübung politiſcher
Rechte nach den Geſetzen des concreten Staates befähigten
Staatsbürgern, zu; wobei denn wieder der wichtige Unterſchied
ſtattfindet, daß in der reinen Demokratie die Berechtigten in
einer großen Verſammlung zuſammentreten, zu Berathungen
und Beſchlußnahmen, in der Volksherrſchaft mit Vertretung
dagegen die Bürger zunächſt aus ihrer Mitte eine verhältniß-
mäßig kleine Anzahl von Stellvertretern wählen, welchen ſo-
dann die Ausübung der dem Volke zuſtehenden Rechte über-
laſſen wird. — Oder aber ſteht die höchſte Gewalt einer klei-
neren Anzahl von ausſchließlich berechtigten Geſchlechtern zu,
welche dieſelbe gemeinſchaftlich führen. Der Grund dieſer Be-
rechtigung kann ein verſchiedener ſein, z. B. Abſtammung von
beſtimmten Vorältern, oder Beſitz einer bezeichneten Art und
Größe von Vermögen; aber der Gedanke der ausſchließlichen
Bevorzugung iſt immer derſelbe 2). — Oder endlich iſt der In-
haber der Staatsgewalt ein, ſei es durch Wahl ſei es durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <pb facs="#f0347" n="333"/>
                  <div n="7">
                    <head>§ 45.<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">b.</hi> Die einzelnen Arten des Rechts&#x017F;taates.</hi></head><lb/>
                    <p>Der Zweck des Rechts&#x017F;taates hat keineswegs eine be&#x017F;timmte<lb/>
Form der Regierung zur nothwendigen Folge; vielmehr kann<lb/>
jede Ge&#x017F;taltung der Staatsgewalt, welche eine Förderung der<lb/>
&#x017F;ämmtlichen men&#x017F;chlichen Lebenszwecke erlaubt und in Aus&#x017F;icht<lb/>
&#x017F;tellt, rechtlich &#x017F;tattfinden. Nur eine Frage der Zweckmäßigkeit<lb/>
i&#x017F;t es &#x017F;omit, welche von den ver&#x017F;chiedenen möglichen Formen<lb/>
den Vorzug verdiene, und es i&#x017F;t auch die Reihe der rechtlich<lb/>
möglichen Arten noch keineswegs als für immer abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
zu betrachten.</p><lb/>
                    <p>Bis jetzt &#x017F;ind drei ver&#x017F;chiedene Hauptarten von Einrich-<lb/>
tungen <hi rendition="#sup">1</hi>) aufgefunden worden, von welchen zwei wieder in<lb/>
Unterarten zerfallen. Entweder nämlich &#x017F;teht die Staatsgewalt<lb/>
dem <hi rendition="#g">Volke</hi>, d. h. den &#x017F;ämmtlichen zur Ausübung politi&#x017F;cher<lb/>
Rechte nach den Ge&#x017F;etzen des concreten Staates befähigten<lb/>
Staatsbürgern, zu; wobei denn wieder der wichtige Unter&#x017F;chied<lb/>
&#x017F;tattfindet, daß in der <hi rendition="#g">reinen</hi> Demokratie die Berechtigten in<lb/>
einer großen Ver&#x017F;ammlung zu&#x017F;ammentreten, zu Berathungen<lb/>
und Be&#x017F;chlußnahmen, in der Volksherr&#x017F;chaft mit <hi rendition="#g">Vertretung</hi><lb/>
dagegen die Bürger zunäch&#x017F;t aus ihrer Mitte eine verhältniß-<lb/>
mäßig kleine Anzahl von Stellvertretern wählen, welchen &#x017F;o-<lb/>
dann die Ausübung der dem Volke zu&#x017F;tehenden Rechte über-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en wird. &#x2014; Oder aber &#x017F;teht die höch&#x017F;te Gewalt einer klei-<lb/>
neren Anzahl von aus&#x017F;chließlich berechtigten Ge&#x017F;chlechtern zu,<lb/>
welche die&#x017F;elbe gemein&#x017F;chaftlich führen. Der Grund die&#x017F;er Be-<lb/>
rechtigung kann ein ver&#x017F;chiedener &#x017F;ein, z. B. Ab&#x017F;tammung von<lb/>
be&#x017F;timmten Vorältern, oder Be&#x017F;itz einer bezeichneten Art und<lb/>
Größe von Vermögen; aber der Gedanke der aus&#x017F;chließlichen<lb/>
Bevorzugung i&#x017F;t immer der&#x017F;elbe <hi rendition="#sup">2</hi>). &#x2014; Oder endlich i&#x017F;t der In-<lb/>
haber der Staatsgewalt ein, &#x017F;ei es durch Wahl &#x017F;ei es durch<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[333/0347] § 45. b. Die einzelnen Arten des Rechtsſtaates. Der Zweck des Rechtsſtaates hat keineswegs eine beſtimmte Form der Regierung zur nothwendigen Folge; vielmehr kann jede Geſtaltung der Staatsgewalt, welche eine Förderung der ſämmtlichen menſchlichen Lebenszwecke erlaubt und in Ausſicht ſtellt, rechtlich ſtattfinden. Nur eine Frage der Zweckmäßigkeit iſt es ſomit, welche von den verſchiedenen möglichen Formen den Vorzug verdiene, und es iſt auch die Reihe der rechtlich möglichen Arten noch keineswegs als für immer abgeſchloſſen zu betrachten. Bis jetzt ſind drei verſchiedene Hauptarten von Einrich- tungen 1) aufgefunden worden, von welchen zwei wieder in Unterarten zerfallen. Entweder nämlich ſteht die Staatsgewalt dem Volke, d. h. den ſämmtlichen zur Ausübung politiſcher Rechte nach den Geſetzen des concreten Staates befähigten Staatsbürgern, zu; wobei denn wieder der wichtige Unterſchied ſtattfindet, daß in der reinen Demokratie die Berechtigten in einer großen Verſammlung zuſammentreten, zu Berathungen und Beſchlußnahmen, in der Volksherrſchaft mit Vertretung dagegen die Bürger zunächſt aus ihrer Mitte eine verhältniß- mäßig kleine Anzahl von Stellvertretern wählen, welchen ſo- dann die Ausübung der dem Volke zuſtehenden Rechte über- laſſen wird. — Oder aber ſteht die höchſte Gewalt einer klei- neren Anzahl von ausſchließlich berechtigten Geſchlechtern zu, welche dieſelbe gemeinſchaftlich führen. Der Grund dieſer Be- rechtigung kann ein verſchiedener ſein, z. B. Abſtammung von beſtimmten Vorältern, oder Beſitz einer bezeichneten Art und Größe von Vermögen; aber der Gedanke der ausſchließlichen Bevorzugung iſt immer derſelbe 2). — Oder endlich iſt der In- haber der Staatsgewalt ein, ſei es durch Wahl ſei es durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/347
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/347>, abgerufen am 25.04.2024.