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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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§ 80.
b. Die sittlichen Pflichten des Staatsoberhauptes.

Unzweifelhaft hat Jeder, welcher auch nur einen kleinen
Antheil an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten hat,
sittliche Pflichten in dieser Beziehung; doch treten diese vor-
zugsweise bei Solchen hervor, welche in Folge der concreten
Staatseinrichtungen als Einzelne mit der Handhabung der
Staatsgewalt betraut sind.

Von je größerem Einflusse ihr persönliches Benehmen für
die Erreichung der allgemeinen Zwecke, also für das Wohl
und Wehe des ganzen Volkes ist, desto größer ist auch ihre
sittliche Aufgabe, alles in ihren Kräften Stehende zu thun, um
ihre Stelle möglichst vollständig auszufüllen und nützlich zu
machen. Höhe des Rechtes und Ausdehnung der Pflicht stehen
in unmittelbarem Verhältnisse. Und zwar besteht kein Unter-
schied, ob das Staatsoberhaupt durch Bewerbung und Wahl,
oder ob es durch Zufall der Geburt in die so einflußreiche und
für ein ganzes Volk wichtige Stellung gelangt. In jenem
Falle ist es Gewissenssache, die abgelegten Versprechen zu hal-
ten und das gewonnene Vertrauen zu rechtfertigen. Für den
durch Geburt Berufenen aber ist es Gebot, den vor Tausenden
Anderer, eben so sehr oder selbst mehr Geeigneter, zuge-
fallenen Vortheil durch Erfüllung der ganzen Aufgabe nach-
träglich möglichst zu verdienen. -- Ebenso wird das Recht, die
Regierung niederzulegen, zur einleuchtenden Pflicht, wenn Er-
fahrung und Selbsterkenntniß einen Inhaber der Staatsgewalt
von seiner Unfähigkeit zur genügenden Ausführung der Stellung
überzeugt haben, oder wenn eine spätere Beeinträchtigung der
Kräfte durch ein Unglück eingetreten ist. So wenig es löblich
und erlaubt ist, vor blosen Gefahren und Schwierigkeiten oder
aus Bequemlichkeit zurückzutreten, so tadelnswerth ist eine

§ 80.
b. Die ſittlichen Pflichten des Staatsoberhauptes.

Unzweifelhaft hat Jeder, welcher auch nur einen kleinen
Antheil an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten hat,
ſittliche Pflichten in dieſer Beziehung; doch treten dieſe vor-
zugsweiſe bei Solchen hervor, welche in Folge der concreten
Staatseinrichtungen als Einzelne mit der Handhabung der
Staatsgewalt betraut ſind.

Von je größerem Einfluſſe ihr perſönliches Benehmen für
die Erreichung der allgemeinen Zwecke, alſo für das Wohl
und Wehe des ganzen Volkes iſt, deſto größer iſt auch ihre
ſittliche Aufgabe, alles in ihren Kräften Stehende zu thun, um
ihre Stelle möglichſt vollſtändig auszufüllen und nützlich zu
machen. Höhe des Rechtes und Ausdehnung der Pflicht ſtehen
in unmittelbarem Verhältniſſe. Und zwar beſteht kein Unter-
ſchied, ob das Staatsoberhaupt durch Bewerbung und Wahl,
oder ob es durch Zufall der Geburt in die ſo einflußreiche und
für ein ganzes Volk wichtige Stellung gelangt. In jenem
Falle iſt es Gewiſſensſache, die abgelegten Verſprechen zu hal-
ten und das gewonnene Vertrauen zu rechtfertigen. Für den
durch Geburt Berufenen aber iſt es Gebot, den vor Tauſenden
Anderer, eben ſo ſehr oder ſelbſt mehr Geeigneter, zuge-
fallenen Vortheil durch Erfüllung der ganzen Aufgabe nach-
träglich möglichſt zu verdienen. — Ebenſo wird das Recht, die
Regierung niederzulegen, zur einleuchtenden Pflicht, wenn Er-
fahrung und Selbſterkenntniß einen Inhaber der Staatsgewalt
von ſeiner Unfähigkeit zur genügenden Ausführung der Stellung
überzeugt haben, oder wenn eine ſpätere Beeinträchtigung der
Kräfte durch ein Unglück eingetreten iſt. So wenig es löblich
und erlaubt iſt, vor bloſen Gefahren und Schwierigkeiten oder
aus Bequemlichkeit zurückzutreten, ſo tadelnswerth iſt eine

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[517/0531] § 80. b. Die ſittlichen Pflichten des Staatsoberhauptes. Unzweifelhaft hat Jeder, welcher auch nur einen kleinen Antheil an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten hat, ſittliche Pflichten in dieſer Beziehung; doch treten dieſe vor- zugsweiſe bei Solchen hervor, welche in Folge der concreten Staatseinrichtungen als Einzelne mit der Handhabung der Staatsgewalt betraut ſind. Von je größerem Einfluſſe ihr perſönliches Benehmen für die Erreichung der allgemeinen Zwecke, alſo für das Wohl und Wehe des ganzen Volkes iſt, deſto größer iſt auch ihre ſittliche Aufgabe, alles in ihren Kräften Stehende zu thun, um ihre Stelle möglichſt vollſtändig auszufüllen und nützlich zu machen. Höhe des Rechtes und Ausdehnung der Pflicht ſtehen in unmittelbarem Verhältniſſe. Und zwar beſteht kein Unter- ſchied, ob das Staatsoberhaupt durch Bewerbung und Wahl, oder ob es durch Zufall der Geburt in die ſo einflußreiche und für ein ganzes Volk wichtige Stellung gelangt. In jenem Falle iſt es Gewiſſensſache, die abgelegten Verſprechen zu hal- ten und das gewonnene Vertrauen zu rechtfertigen. Für den durch Geburt Berufenen aber iſt es Gebot, den vor Tauſenden Anderer, eben ſo ſehr oder ſelbſt mehr Geeigneter, zuge- fallenen Vortheil durch Erfüllung der ganzen Aufgabe nach- träglich möglichſt zu verdienen. — Ebenſo wird das Recht, die Regierung niederzulegen, zur einleuchtenden Pflicht, wenn Er- fahrung und Selbſterkenntniß einen Inhaber der Staatsgewalt von ſeiner Unfähigkeit zur genügenden Ausführung der Stellung überzeugt haben, oder wenn eine ſpätere Beeinträchtigung der Kräfte durch ein Unglück eingetreten iſt. So wenig es löblich und erlaubt iſt, vor bloſen Gefahren und Schwierigkeiten oder aus Bequemlichkeit zurückzutreten, ſo tadelnswerth iſt eine

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/531>, abgerufen am 19.04.2024.