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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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staatlichen Geschicke sehr häufig der Wissenschaft ganz fremd sind, ist wahr
genug; allein die Frage ist gerade, ob sich dieses nicht in ihren Handlungen
nur allzu häufig zeigt.
2) Die Begriffsbestimmungen der Politik gehen den Worten nach aller-
dings sehr auseinander; allein in der Hauptsache stimmen sie -- abgesehen
von offenbaren logischen Fehlern -- doch in der Regel überein, und der
Streit dreht sich mehr um Worte als um die Sache. So wird z. B. der
Begriff der Politik von Schlözer (Staatsgelahrtheit, S. 15,) dahin be-
stimmt, daß sie geordnete Anzeige von den Staatsgeschäften zu machen und
die Mittel zu deren zweckmäßigsten Besorgung anzugeben habe. Spittler
(Politik, S. 3,) bezeichnet sie als die Wissenschaft der besten Einrichtungen
des Staates. Luden (Politik, S. 36) verlangt von ihr Entwicklung der
Maximen der Staatsweisheit. Zachariä (Vierzig Bücher, Bd. I, S. 170)
stellt ihr die Aufgabe, unter den verschiedenen Wegen, welche zum Ziele
führen, den besseren zu wählen. Bülau, (Encyklopädie, 2. Aufl., S. 267)
bezeichnet sie als die Lehre von den Mitteln zu der Erreichung der Zwecke
des Staates. Handgreiflich unrichtig ist es freilich, wenn zuweilen die ge-
sammte Staatswissenschaft als Politik bezeichnet wird, oder wenn anderer-
seits nur eine einzelne Seite des staatlichen Lebens, z. B. das Verhalten
zum Auslande, ihr als Gegenstand angewiesen ist. Eine polemische Erörte-
rung der verschiedenen Definitionen mag füglich unterbleiben, da in der
Hauptsache kein Zweifel besteht.
3) Wenn man den Grundgedanken festhält, daß die Politik die Lehre
von den Staatsmitteln ist, und wenn es klar ist, daß die Polizeiwissen-
schaft oder gar die Culturpflege und die Volkswirthschaftspflege nur eben
einzelne Abschnitte der Verwaltungspolitik sind, so verurtheilen sich jene
Systeme von selbst, welche neben einer Verwaltungspolitik und als coor-
dinirten derselben die eben genannten Disciplinen aufhören. Der Fehler ist
derselbe, wie wenn neben einem Systeme des bürgerlichen Rechtes und auf
gleicher Stufe mit demselben die Lehre von dem Pfandrechte, von den Ver-
trägen u. s. w. aufgeführt werden wollte.
§ 85.
2. Verhältniß der Staatskunft zum Recht und zur Sittlichkeit.

Es läßt sich nicht läugnen, daß häufig bei der Besorgung
von Staatsangelegenheiten Maßregeln ergriffen werden, welche
Vortheile versprechen, dagegen mit dem Rechte und den Geboten
der Sittlichkeit nicht vereinbar sind. Auch ist es eine weitver-
breitete Annahme, daß die wissenschaftliche Politik Rathschläge

ſtaatlichen Geſchicke ſehr häufig der Wiſſenſchaft ganz fremd ſind, iſt wahr
genug; allein die Frage iſt gerade, ob ſich dieſes nicht in ihren Handlungen
nur allzu häufig zeigt.
2) Die Begriffsbeſtimmungen der Politik gehen den Worten nach aller-
dings ſehr auseinander; allein in der Hauptſache ſtimmen ſie — abgeſehen
von offenbaren logiſchen Fehlern — doch in der Regel überein, und der
Streit dreht ſich mehr um Worte als um die Sache. So wird z. B. der
Begriff der Politik von Schlözer (Staatsgelahrtheit, S. 15,) dahin be-
ſtimmt, daß ſie geordnete Anzeige von den Staatsgeſchäften zu machen und
die Mittel zu deren zweckmäßigſten Beſorgung anzugeben habe. Spittler
(Politik, S. 3,) bezeichnet ſie als die Wiſſenſchaft der beſten Einrichtungen
des Staates. Luden (Politik, S. 36) verlangt von ihr Entwicklung der
Maximen der Staatsweisheit. Zachariä (Vierzig Bücher, Bd. I, S. 170)
ſtellt ihr die Aufgabe, unter den verſchiedenen Wegen, welche zum Ziele
führen, den beſſeren zu wählen. Bülau, (Encyklopädie, 2. Aufl., S. 267)
bezeichnet ſie als die Lehre von den Mitteln zu der Erreichung der Zwecke
des Staates. Handgreiflich unrichtig iſt es freilich, wenn zuweilen die ge-
ſammte Staatswiſſenſchaft als Politik bezeichnet wird, oder wenn anderer-
ſeits nur eine einzelne Seite des ſtaatlichen Lebens, z. B. das Verhalten
zum Auslande, ihr als Gegenſtand angewieſen iſt. Eine polemiſche Erörte-
rung der verſchiedenen Definitionen mag füglich unterbleiben, da in der
Hauptſache kein Zweifel beſteht.
3) Wenn man den Grundgedanken feſthält, daß die Politik die Lehre
von den Staatsmitteln iſt, und wenn es klar iſt, daß die Polizeiwiſſen-
ſchaft oder gar die Culturpflege und die Volkswirthſchaftspflege nur eben
einzelne Abſchnitte der Verwaltungspolitik ſind, ſo verurtheilen ſich jene
Syſteme von ſelbſt, welche neben einer Verwaltungspolitik und als coor-
dinirten derſelben die eben genannten Disciplinen aufhören. Der Fehler iſt
derſelbe, wie wenn neben einem Syſteme des bürgerlichen Rechtes und auf
gleicher Stufe mit demſelben die Lehre von dem Pfandrechte, von den Ver-
trägen u. ſ. w. aufgeführt werden wollte.
§ 85.
2. Verhältniß der Staatskunft zum Recht und zur Sittlichkeit.

Es läßt ſich nicht läugnen, daß häufig bei der Beſorgung
von Staatsangelegenheiten Maßregeln ergriffen werden, welche
Vortheile verſprechen, dagegen mit dem Rechte und den Geboten
der Sittlichkeit nicht vereinbar ſind. Auch iſt es eine weitver-
breitete Annahme, daß die wiſſenſchaftliche Politik Rathſchläge

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[543/0557] ¹⁾ ſtaatlichen Geſchicke ſehr häufig der Wiſſenſchaft ganz fremd ſind, iſt wahr genug; allein die Frage iſt gerade, ob ſich dieſes nicht in ihren Handlungen nur allzu häufig zeigt. ²⁾ Die Begriffsbeſtimmungen der Politik gehen den Worten nach aller- dings ſehr auseinander; allein in der Hauptſache ſtimmen ſie — abgeſehen von offenbaren logiſchen Fehlern — doch in der Regel überein, und der Streit dreht ſich mehr um Worte als um die Sache. So wird z. B. der Begriff der Politik von Schlözer (Staatsgelahrtheit, S. 15,) dahin be- ſtimmt, daß ſie geordnete Anzeige von den Staatsgeſchäften zu machen und die Mittel zu deren zweckmäßigſten Beſorgung anzugeben habe. Spittler (Politik, S. 3,) bezeichnet ſie als die Wiſſenſchaft der beſten Einrichtungen des Staates. Luden (Politik, S. 36) verlangt von ihr Entwicklung der Maximen der Staatsweisheit. Zachariä (Vierzig Bücher, Bd. I, S. 170) ſtellt ihr die Aufgabe, unter den verſchiedenen Wegen, welche zum Ziele führen, den beſſeren zu wählen. Bülau, (Encyklopädie, 2. Aufl., S. 267) bezeichnet ſie als die Lehre von den Mitteln zu der Erreichung der Zwecke des Staates. Handgreiflich unrichtig iſt es freilich, wenn zuweilen die ge- ſammte Staatswiſſenſchaft als Politik bezeichnet wird, oder wenn anderer- ſeits nur eine einzelne Seite des ſtaatlichen Lebens, z. B. das Verhalten zum Auslande, ihr als Gegenſtand angewieſen iſt. Eine polemiſche Erörte- rung der verſchiedenen Definitionen mag füglich unterbleiben, da in der Hauptſache kein Zweifel beſteht. ³⁾ Wenn man den Grundgedanken feſthält, daß die Politik die Lehre von den Staatsmitteln iſt, und wenn es klar iſt, daß die Polizeiwiſſen- ſchaft oder gar die Culturpflege und die Volkswirthſchaftspflege nur eben einzelne Abſchnitte der Verwaltungspolitik ſind, ſo verurtheilen ſich jene Syſteme von ſelbſt, welche neben einer Verwaltungspolitik und als coor- dinirten derſelben die eben genannten Disciplinen aufhören. Der Fehler iſt derſelbe, wie wenn neben einem Syſteme des bürgerlichen Rechtes und auf gleicher Stufe mit demſelben die Lehre von dem Pfandrechte, von den Ver- trägen u. ſ. w. aufgeführt werden wollte. § 85. 2. Verhältniß der Staatskunft zum Recht und zur Sittlichkeit. Es läßt ſich nicht läugnen, daß häufig bei der Beſorgung von Staatsangelegenheiten Maßregeln ergriffen werden, welche Vortheile verſprechen, dagegen mit dem Rechte und den Geboten der Sittlichkeit nicht vereinbar ſind. Auch iſt es eine weitver- breitete Annahme, daß die wiſſenſchaftliche Politik Rathſchläge

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/557>, abgerufen am 29.03.2024.