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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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aber als das Richtigere; da unzweifelhaft ein Verhältniß von größerem
Werthe für die vernünftigen Lebenszwecke der Menschen ist, als ein anderes,
somit auch jenes, bei an sich für den Handelnden gleicher Bedeutung der
Pflichten, dem minderwichtigen vorgezogen werden muß, wenn nicht beide
erreicht werden können. Es möchte schwer sein, dem natürlichen Ver-
stande und Gefühle die Unrichtigkeit dieser letzteren Anschauung beizu-
bringen. -- Was nun aber den objectiven Maaßstab der Wichtigkeit be-
trifft, so mag dieser allerdings falsch aufgestellt werden, -- wie denn so viele
Abweichungen unter den Anhängern dieser Lehre stattfinden; -- allein dieß
ist kein Grund gegen die Sache selbst, sondern nur eine Nöthigung zu
genauer Prüfung.
§ 86.
3. Die Verschiedenheit der politischen Lehren.

Schon die allgemeine Staatslehre weist nach, daß der
Staatsgedanke auf eine wesentlich verschiedene Weise aufgefaßt
werden kann und aufgefaßt wird; mit anderen Worten, daß
die Menschen ihrem geordneten Zusammenleben verschiedene
Zwecke geben und dieses darnach einrichten. Im Staatsrechte,
dann aber auch in der Staatssittenlehre, ist diese Verschieden-
heit näher entwickelt und schärfer bestimmt worden, und es hat
sich daraus namentlich in der, ausführlicher gehaltenen, Lehre
vom öffentlichen Rechte eine beträchtige Reihe von Staats-
Gattungen und Staatsarten ergeben. Für jede dieser Gattungen
hat sich ein besonderes Recht herausgestellt, welches zwar nicht in
allen, aber doch in vielen und wichtigen Punkten abweicht
von dem Rechte der anderen.

Nur in sehr seltenen Fällen hat bis itzt die Wissenschaft
die Bedeutung dieser Verschiedenheit der Staaten auch für die
Staatskunst anerkannt und durchgeführt. Weitaus die meisten
Bearbeitungen sehen ganz ab hiervon und stellen nur eine
einzige Reihe von Grundsätzen und Rathschlägen auf, welche
somit als für alle Staaten gleich anwendbar erscheinen 1).

Dieses Verfahren ist in der That schwer zu begreifen.

aber als das Richtigere; da unzweifelhaft ein Verhältniß von größerem
Werthe für die vernünftigen Lebenszwecke der Menſchen iſt, als ein anderes,
ſomit auch jenes, bei an ſich für den Handelnden gleicher Bedeutung der
Pflichten, dem minderwichtigen vorgezogen werden muß, wenn nicht beide
erreicht werden können. Es möchte ſchwer ſein, dem natürlichen Ver-
ſtande und Gefühle die Unrichtigkeit dieſer letzteren Anſchauung beizu-
bringen. — Was nun aber den objectiven Maaßſtab der Wichtigkeit be-
trifft, ſo mag dieſer allerdings falſch aufgeſtellt werden, — wie denn ſo viele
Abweichungen unter den Anhängern dieſer Lehre ſtattfinden; — allein dieß
iſt kein Grund gegen die Sache ſelbſt, ſondern nur eine Nöthigung zu
genauer Prüfung.
§ 86.
3. Die Verſchiedenheit der politiſchen Lehren.

Schon die allgemeine Staatslehre weiſt nach, daß der
Staatsgedanke auf eine weſentlich verſchiedene Weiſe aufgefaßt
werden kann und aufgefaßt wird; mit anderen Worten, daß
die Menſchen ihrem geordneten Zuſammenleben verſchiedene
Zwecke geben und dieſes darnach einrichten. Im Staatsrechte,
dann aber auch in der Staatsſittenlehre, iſt dieſe Verſchieden-
heit näher entwickelt und ſchärfer beſtimmt worden, und es hat
ſich daraus namentlich in der, ausführlicher gehaltenen, Lehre
vom öffentlichen Rechte eine beträchtige Reihe von Staats-
Gattungen und Staatsarten ergeben. Für jede dieſer Gattungen
hat ſich ein beſonderes Recht herausgeſtellt, welches zwar nicht in
allen, aber doch in vielen und wichtigen Punkten abweicht
von dem Rechte der anderen.

Nur in ſehr ſeltenen Fällen hat bis itzt die Wiſſenſchaft
die Bedeutung dieſer Verſchiedenheit der Staaten auch für die
Staatskunſt anerkannt und durchgeführt. Weitaus die meiſten
Bearbeitungen ſehen ganz ab hiervon und ſtellen nur eine
einzige Reihe von Grundſätzen und Rathſchlägen auf, welche
ſomit als für alle Staaten gleich anwendbar erſcheinen 1).

Dieſes Verfahren iſt in der That ſchwer zu begreifen.

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[552/0566] ⁶⁾ aber als das Richtigere; da unzweifelhaft ein Verhältniß von größerem Werthe für die vernünftigen Lebenszwecke der Menſchen iſt, als ein anderes, ſomit auch jenes, bei an ſich für den Handelnden gleicher Bedeutung der Pflichten, dem minderwichtigen vorgezogen werden muß, wenn nicht beide erreicht werden können. Es möchte ſchwer ſein, dem natürlichen Ver- ſtande und Gefühle die Unrichtigkeit dieſer letzteren Anſchauung beizu- bringen. — Was nun aber den objectiven Maaßſtab der Wichtigkeit be- trifft, ſo mag dieſer allerdings falſch aufgeſtellt werden, — wie denn ſo viele Abweichungen unter den Anhängern dieſer Lehre ſtattfinden; — allein dieß iſt kein Grund gegen die Sache ſelbſt, ſondern nur eine Nöthigung zu genauer Prüfung. § 86. 3. Die Verſchiedenheit der politiſchen Lehren. Schon die allgemeine Staatslehre weiſt nach, daß der Staatsgedanke auf eine weſentlich verſchiedene Weiſe aufgefaßt werden kann und aufgefaßt wird; mit anderen Worten, daß die Menſchen ihrem geordneten Zuſammenleben verſchiedene Zwecke geben und dieſes darnach einrichten. Im Staatsrechte, dann aber auch in der Staatsſittenlehre, iſt dieſe Verſchieden- heit näher entwickelt und ſchärfer beſtimmt worden, und es hat ſich daraus namentlich in der, ausführlicher gehaltenen, Lehre vom öffentlichen Rechte eine beträchtige Reihe von Staats- Gattungen und Staatsarten ergeben. Für jede dieſer Gattungen hat ſich ein beſonderes Recht herausgeſtellt, welches zwar nicht in allen, aber doch in vielen und wichtigen Punkten abweicht von dem Rechte der anderen. Nur in ſehr ſeltenen Fällen hat bis itzt die Wiſſenſchaft die Bedeutung dieſer Verſchiedenheit der Staaten auch für die Staatskunſt anerkannt und durchgeführt. Weitaus die meiſten Bearbeitungen ſehen ganz ab hiervon und ſtellen nur eine einzige Reihe von Grundſätzen und Rathſchlägen auf, welche ſomit als für alle Staaten gleich anwendbar erſcheinen 1). Dieſes Verfahren iſt in der That ſchwer zu begreifen.

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/566>, abgerufen am 19.04.2024.