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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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einen entsprechenden, mittelbaren oder unmittelbaren, Antheil
an der Erde kann er gar nicht bestehen; je leichtere und reich-
lichere Gelegenheit zur Befriedigung der Forderungen seiner
physischen Natur geboten ist, desto mehr Wohlbehagen findet
statt, und desto ungestörter kann auch zur Erreichung der
geistigen Zwecke aufgestiegen werden. Dasselbe ist der Fall
bei allen zusammengesetzten Lebensgestaltungen bis hinauf zum
Staate. Ohne den Besitz eines Landes mag ein Volk eine herum-
ziehende Horde bilden, aber es lebt nicht in einem Staate;
ohne eine entsprechende Beschaffenheit des Landes kann der Staat
seine Aufgabe gar nicht oder nur mit großer Beschwerlichkeit
lösen. Auch für die Staatswissenschaften sind daher die Erd-
beziehungen von der höchsten Bedeutung 1).

1. Vor Allem ist eine Bestimmtheit des Gebietes,
d. h. eine sichere Feststellung der Grenzen, nöthig. Ohne
diese ist kein Abschluß des Staates sowohl in Beziehung
auf die eigenen Theilnehmer als auf Nichtangehörige; somit
beständige Gefahr von Streit über den Gehorsam, keine Mög-
lichkeit einer festen gehörigen Ordnung, Ungewißheit über die
Ausdehnung der Aufgabe und der zu ihrer Erreichung nöthigen
Mittel. Zuweilen ist die geographische Lage eines Landes von
der Art, daß die Natur selbst die Grenzen und damit die Ge-
sammtheit des zusammengehörigen Gebietes festgestellt hat; und
in diesem Falle ist jede Abweichung einer Quelle von Hader
und von Unsicherheit. Eine Nichtanerkennung oder Verletzung
der Grenzen von Seiten Dritter ist nicht bloß ein sachlicher
Nachtheil, sondern eine Untergrabung des concreten Daseins
des Staates.

2. Die vielfachsten Folgen hat die Größe des Gebietes,
und zwar sowohl die absolute als die relative, (Letzteres theils
im Verhältniß zur Bevölkerungszahl, theils im Vergleiche mit
anderen Staaten verstanden). -- Die absolute Größe bestimmt,

einen entſprechenden, mittelbaren oder unmittelbaren, Antheil
an der Erde kann er gar nicht beſtehen; je leichtere und reich-
lichere Gelegenheit zur Befriedigung der Forderungen ſeiner
phyſiſchen Natur geboten iſt, deſto mehr Wohlbehagen findet
ſtatt, und deſto ungeſtörter kann auch zur Erreichung der
geiſtigen Zwecke aufgeſtiegen werden. Daſſelbe iſt der Fall
bei allen zuſammengeſetzten Lebensgeſtaltungen bis hinauf zum
Staate. Ohne den Beſitz eines Landes mag ein Volk eine herum-
ziehende Horde bilden, aber es lebt nicht in einem Staate;
ohne eine entſprechende Beſchaffenheit des Landes kann der Staat
ſeine Aufgabe gar nicht oder nur mit großer Beſchwerlichkeit
löſen. Auch für die Staatswiſſenſchaften ſind daher die Erd-
beziehungen von der höchſten Bedeutung 1).

1. Vor Allem iſt eine Beſtimmtheit des Gebietes,
d. h. eine ſichere Feſtſtellung der Grenzen, nöthig. Ohne
dieſe iſt kein Abſchluß des Staates ſowohl in Beziehung
auf die eigenen Theilnehmer als auf Nichtangehörige; ſomit
beſtändige Gefahr von Streit über den Gehorſam, keine Mög-
lichkeit einer feſten gehörigen Ordnung, Ungewißheit über die
Ausdehnung der Aufgabe und der zu ihrer Erreichung nöthigen
Mittel. Zuweilen iſt die geographiſche Lage eines Landes von
der Art, daß die Natur ſelbſt die Grenzen und damit die Ge-
ſammtheit des zuſammengehörigen Gebietes feſtgeſtellt hat; und
in dieſem Falle iſt jede Abweichung einer Quelle von Hader
und von Unſicherheit. Eine Nichtanerkennung oder Verletzung
der Grenzen von Seiten Dritter iſt nicht bloß ein ſachlicher
Nachtheil, ſondern eine Untergrabung des concreten Daſeins
des Staates.

2. Die vielfachſten Folgen hat die Größe des Gebietes,
und zwar ſowohl die abſolute als die relative, (Letzteres theils
im Verhältniß zur Bevölkerungszahl, theils im Vergleiche mit
anderen Staaten verſtanden). — Die abſolute Größe beſtimmt,

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[125/0139] einen entſprechenden, mittelbaren oder unmittelbaren, Antheil an der Erde kann er gar nicht beſtehen; je leichtere und reich- lichere Gelegenheit zur Befriedigung der Forderungen ſeiner phyſiſchen Natur geboten iſt, deſto mehr Wohlbehagen findet ſtatt, und deſto ungeſtörter kann auch zur Erreichung der geiſtigen Zwecke aufgeſtiegen werden. Daſſelbe iſt der Fall bei allen zuſammengeſetzten Lebensgeſtaltungen bis hinauf zum Staate. Ohne den Beſitz eines Landes mag ein Volk eine herum- ziehende Horde bilden, aber es lebt nicht in einem Staate; ohne eine entſprechende Beſchaffenheit des Landes kann der Staat ſeine Aufgabe gar nicht oder nur mit großer Beſchwerlichkeit löſen. Auch für die Staatswiſſenſchaften ſind daher die Erd- beziehungen von der höchſten Bedeutung 1). 1. Vor Allem iſt eine Beſtimmtheit des Gebietes, d. h. eine ſichere Feſtſtellung der Grenzen, nöthig. Ohne dieſe iſt kein Abſchluß des Staates ſowohl in Beziehung auf die eigenen Theilnehmer als auf Nichtangehörige; ſomit beſtändige Gefahr von Streit über den Gehorſam, keine Mög- lichkeit einer feſten gehörigen Ordnung, Ungewißheit über die Ausdehnung der Aufgabe und der zu ihrer Erreichung nöthigen Mittel. Zuweilen iſt die geographiſche Lage eines Landes von der Art, daß die Natur ſelbſt die Grenzen und damit die Ge- ſammtheit des zuſammengehörigen Gebietes feſtgeſtellt hat; und in dieſem Falle iſt jede Abweichung einer Quelle von Hader und von Unſicherheit. Eine Nichtanerkennung oder Verletzung der Grenzen von Seiten Dritter iſt nicht bloß ein ſachlicher Nachtheil, ſondern eine Untergrabung des concreten Daſeins des Staates. 2. Die vielfachſten Folgen hat die Größe des Gebietes, und zwar ſowohl die abſolute als die relative, (Letzteres theils im Verhältniß zur Bevölkerungszahl, theils im Vergleiche mit anderen Staaten verſtanden). — Die abſolute Größe beſtimmt,

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/139>, abgerufen am 25.04.2024.