Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
11) Manche scharfsinnige Bemerkung über die allgemeinen Forderungen
an eine der Form und dem Inhalte nach gute Gesetzgebung s. bei Zachariä,
Vierzig Bücher vom St., Bd. IV, S. 22 fg.
§ 21.
11. Die Parteien im Staate.

Geschichte und Kenntniß der Gegenwart zeigen, daß in
manchen Staaten das ganze öffentliche Leben bewegt wird
durch das Ringen verschiedener Parteien um die Herrschaft
und um die Durchführung ihrer Auffassungen. Zuweilen
dauern diese Kämpfe Jahrhunderte lang fort und bestimmen
das Schicksal der Staaten und der Völker; das Bemühen um
den Sieg artet wohl in blutigen Streit und in vernichtende
Verfolgung Einzelner und ganzer Classen aus. Die Parteien
aber sind in der Regel gebildet aus einflußreichen gesellschaft-
lichen Kreisen, besonders nach den Momenten der Geburt, des Be-
sitzes und der Religion. -- Diese Gestaltung des staatlichen
Lebens ist jedoch keine nothwendige und allgemeine. Bei anderen
Völkern oder in denselben Staaten zu anderen Zeiten findet
sich keine Spur von solchem gemeinschaftlichem Handeln und
seinen Folgen 1).

Das häufige Vorkommen und die tiefgreifende Wichtigkeit
der Erscheinung erfordert eine Erörterung schon in der allge-
meinsten Lehre vom Staat.

Was zunächst den Begriff der Partei betrifft, so ist
dieselbe wohl zu unterscheiden von Faction und von Zusammen-
schaarung. -- Eine Faction ist eine Anzahl von eng ver-
bundenen Personen, welche einen unerlaubten selbstischen Zweck
durch gemeinschaftliche Anwendung aller zum Ziele führender
Mittel, also auch unrechtlicher und unsittlicher, zu erreichen
strebt. Sie ist sich ihres Zweckes und ihrer Mittel genau be-
wußt, gegen Außen abgeschlossen, im Innern aber fest gegliedert;

11) Manche ſcharfſinnige Bemerkung über die allgemeinen Forderungen
an eine der Form und dem Inhalte nach gute Geſetzgebung ſ. bei Zachariä,
Vierzig Bücher vom St., Bd. IV, S. 22 fg.
§ 21.
11. Die Parteien im Staate.

Geſchichte und Kenntniß der Gegenwart zeigen, daß in
manchen Staaten das ganze öffentliche Leben bewegt wird
durch das Ringen verſchiedener Parteien um die Herrſchaft
und um die Durchführung ihrer Auffaſſungen. Zuweilen
dauern dieſe Kämpfe Jahrhunderte lang fort und beſtimmen
das Schickſal der Staaten und der Völker; das Bemühen um
den Sieg artet wohl in blutigen Streit und in vernichtende
Verfolgung Einzelner und ganzer Claſſen aus. Die Parteien
aber ſind in der Regel gebildet aus einflußreichen geſellſchaft-
lichen Kreiſen, beſonders nach den Momenten der Geburt, des Be-
ſitzes und der Religion. — Dieſe Geſtaltung des ſtaatlichen
Lebens iſt jedoch keine nothwendige und allgemeine. Bei anderen
Völkern oder in denſelben Staaten zu anderen Zeiten findet
ſich keine Spur von ſolchem gemeinſchaftlichem Handeln und
ſeinen Folgen 1).

Das häufige Vorkommen und die tiefgreifende Wichtigkeit
der Erſcheinung erfordert eine Erörterung ſchon in der allge-
meinſten Lehre vom Staat.

Was zunächſt den Begriff der Partei betrifft, ſo iſt
dieſelbe wohl zu unterſcheiden von Faction und von Zuſammen-
ſchaarung. — Eine Faction iſt eine Anzahl von eng ver-
bundenen Perſonen, welche einen unerlaubten ſelbſtiſchen Zweck
durch gemeinſchaftliche Anwendung aller zum Ziele führender
Mittel, alſo auch unrechtlicher und unſittlicher, zu erreichen
ſtrebt. Sie iſt ſich ihres Zweckes und ihrer Mittel genau be-
wußt, gegen Außen abgeſchloſſen, im Innern aber feſt gegliedert;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0164" n="150"/>
            <note place="end" n="11)">Manche &#x017F;charf&#x017F;innige Bemerkung über die allgemeinen Forderungen<lb/>
an eine der Form und dem Inhalte nach gute Ge&#x017F;etzgebung &#x017F;. bei <hi rendition="#g">Zachariä</hi>,<lb/>
Vierzig Bücher vom St., Bd. <hi rendition="#aq">IV,</hi> S. 22 fg.</note>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§ 21.<lb/><hi rendition="#b">11. Die Parteien im Staate.</hi></head><lb/>
            <p>Ge&#x017F;chichte und Kenntniß der Gegenwart zeigen, daß in<lb/>
manchen Staaten das ganze öffentliche Leben bewegt wird<lb/>
durch das Ringen ver&#x017F;chiedener Parteien um die Herr&#x017F;chaft<lb/>
und um die Durchführung ihrer Auffa&#x017F;&#x017F;ungen. Zuweilen<lb/>
dauern die&#x017F;e Kämpfe Jahrhunderte lang fort und be&#x017F;timmen<lb/>
das Schick&#x017F;al der Staaten und der Völker; das Bemühen um<lb/>
den Sieg artet wohl in blutigen Streit und in vernichtende<lb/>
Verfolgung Einzelner und ganzer Cla&#x017F;&#x017F;en aus. Die Parteien<lb/>
aber &#x017F;ind in der Regel gebildet aus einflußreichen ge&#x017F;ell&#x017F;chaft-<lb/>
lichen Krei&#x017F;en, be&#x017F;onders nach den Momenten der Geburt, des Be-<lb/>
&#x017F;itzes und der Religion. &#x2014; Die&#x017F;e Ge&#x017F;taltung des &#x017F;taatlichen<lb/>
Lebens i&#x017F;t jedoch keine nothwendige und allgemeine. Bei anderen<lb/>
Völkern oder in den&#x017F;elben Staaten zu anderen Zeiten findet<lb/>
&#x017F;ich keine Spur von &#x017F;olchem gemein&#x017F;chaftlichem Handeln und<lb/>
&#x017F;einen Folgen <hi rendition="#sup">1</hi>).</p><lb/>
            <p>Das häufige Vorkommen und die tiefgreifende Wichtigkeit<lb/>
der Er&#x017F;cheinung erfordert eine Erörterung &#x017F;chon in der allge-<lb/>
mein&#x017F;ten Lehre vom Staat.</p><lb/>
            <p>Was zunäch&#x017F;t den <hi rendition="#g">Begriff der Partei</hi> betrifft, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;elbe wohl zu unter&#x017F;cheiden von Faction und von Zu&#x017F;ammen-<lb/>
&#x017F;chaarung. &#x2014; Eine <hi rendition="#g">Faction</hi> i&#x017F;t eine Anzahl von eng ver-<lb/>
bundenen Per&#x017F;onen, welche einen unerlaubten &#x017F;elb&#x017F;ti&#x017F;chen Zweck<lb/>
durch gemein&#x017F;chaftliche Anwendung aller zum Ziele führender<lb/>
Mittel, al&#x017F;o auch unrechtlicher und un&#x017F;ittlicher, zu erreichen<lb/>
&#x017F;trebt. Sie i&#x017F;t &#x017F;ich ihres Zweckes und ihrer Mittel genau be-<lb/>
wußt, gegen Außen abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, im Innern aber fe&#x017F;t gegliedert;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0164] ¹¹⁾ Manche ſcharfſinnige Bemerkung über die allgemeinen Forderungen an eine der Form und dem Inhalte nach gute Geſetzgebung ſ. bei Zachariä, Vierzig Bücher vom St., Bd. IV, S. 22 fg. § 21. 11. Die Parteien im Staate. Geſchichte und Kenntniß der Gegenwart zeigen, daß in manchen Staaten das ganze öffentliche Leben bewegt wird durch das Ringen verſchiedener Parteien um die Herrſchaft und um die Durchführung ihrer Auffaſſungen. Zuweilen dauern dieſe Kämpfe Jahrhunderte lang fort und beſtimmen das Schickſal der Staaten und der Völker; das Bemühen um den Sieg artet wohl in blutigen Streit und in vernichtende Verfolgung Einzelner und ganzer Claſſen aus. Die Parteien aber ſind in der Regel gebildet aus einflußreichen geſellſchaft- lichen Kreiſen, beſonders nach den Momenten der Geburt, des Be- ſitzes und der Religion. — Dieſe Geſtaltung des ſtaatlichen Lebens iſt jedoch keine nothwendige und allgemeine. Bei anderen Völkern oder in denſelben Staaten zu anderen Zeiten findet ſich keine Spur von ſolchem gemeinſchaftlichem Handeln und ſeinen Folgen 1). Das häufige Vorkommen und die tiefgreifende Wichtigkeit der Erſcheinung erfordert eine Erörterung ſchon in der allge- meinſten Lehre vom Staat. Was zunächſt den Begriff der Partei betrifft, ſo iſt dieſelbe wohl zu unterſcheiden von Faction und von Zuſammen- ſchaarung. — Eine Faction iſt eine Anzahl von eng ver- bundenen Perſonen, welche einen unerlaubten ſelbſtiſchen Zweck durch gemeinſchaftliche Anwendung aller zum Ziele führender Mittel, alſo auch unrechtlicher und unſittlicher, zu erreichen ſtrebt. Sie iſt ſich ihres Zweckes und ihrer Mittel genau be- wußt, gegen Außen abgeſchloſſen, im Innern aber feſt gegliedert;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/164
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/164>, abgerufen am 29.03.2024.