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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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wenngleich langsam, wurde auch in der Wissenschaft die Lehre
vom unbedingten Gehorsam in England verlassen. Große Beiträge
zu seiner Ausbildung hat das philosophische Staasrecht später
in diesem Lande nicht erhalten. De Lolme führte in ge-
mäßigtem Sinne und als wissenschaftliche Grundlage der Ein-
herrschaft mit Volksvertretung die Lehre vom Rechtsstaate mit
französischer Färbung weiter aus. Godwin und Bentham
bildeten sie in republikanischem Sinne durch; Burke machte die
Bedeutung der fürstlichen Gewalt und der vornehmen Gesell-
schaftsklassen geltend; Bowyer (Commentaries on universal
public law,
1854) sucht endlich itzt die verständige Grundlage
mit einer positiv religiösen zu verbinden.

Auch in Holland mußte sich die Lehre vom Rechtsstaate
gegen Vertheidiger der unbeschränkten und auf göttlicher Grün-
dung ruhenden Regierungsgewalt durchkämpfen. Als Vertreter
der ersteren Ansicht haben sich Th. Graswinkel und J. F.
Horn einen Namen gemacht; ihnen gegenüber steht vor Allem
U. Huber (De jure civitatis, 1705), namentlich dadurch
ausgezeichnet, daß er die Gründung des Staates durch Vertrag
nicht blos auf die Furcht vor äußerer Gewaltigung, sondern
hauptsächlich auf das gesellschaftliche und sittliche Wesen des
Menschen stützt. Nachdem die großartige Erscheinung B.
Spinoza's auf dem staatsrechtlichen Gebiete ohne merklichen
Einfluß vorübergegangen war, haben sich in viel späterer Zeit
den Tex und De Wal im Geiste der deutschen Rechtsphilo-
sophie der Vertragslehre wieder entschieden zugewendet.

In Frankreich kam eine Ausbildung des philosophischen
Staatsrechtes erst durch Montesquieu und J. J. Rousseau
in wissenschaftliche Blüthe. Der Erste setzte sich allerdings in
seinem weltberühmten Werke "über den Geist der Gesetze"
(1748, überarbeitet 1757) nicht blos eine rechtliche Theorie
zum Ziele; allein er fügte den bisherigen Auffassungen wesentlich

wenngleich langſam, wurde auch in der Wiſſenſchaft die Lehre
vom unbedingten Gehorſam in England verlaſſen. Große Beiträge
zu ſeiner Ausbildung hat das philoſophiſche Staasrecht ſpäter
in dieſem Lande nicht erhalten. De Lolme führte in ge-
mäßigtem Sinne und als wiſſenſchaftliche Grundlage der Ein-
herrſchaft mit Volksvertretung die Lehre vom Rechtsſtaate mit
franzöſiſcher Färbung weiter aus. Godwin und Bentham
bildeten ſie in republikaniſchem Sinne durch; Burke machte die
Bedeutung der fürſtlichen Gewalt und der vornehmen Geſell-
ſchaftsklaſſen geltend; Bowyer (Commentaries on universal
public law,
1854) ſucht endlich itzt die verſtändige Grundlage
mit einer poſitiv religiöſen zu verbinden.

Auch in Holland mußte ſich die Lehre vom Rechtsſtaate
gegen Vertheidiger der unbeſchränkten und auf göttlicher Grün-
dung ruhenden Regierungsgewalt durchkämpfen. Als Vertreter
der erſteren Anſicht haben ſich Th. Graswinkel und J. F.
Horn einen Namen gemacht; ihnen gegenüber ſteht vor Allem
U. Huber (De jure civitatis, 1705), namentlich dadurch
ausgezeichnet, daß er die Gründung des Staates durch Vertrag
nicht blos auf die Furcht vor äußerer Gewaltigung, ſondern
hauptſächlich auf das geſellſchaftliche und ſittliche Weſen des
Menſchen ſtützt. Nachdem die großartige Erſcheinung B.
Spinoza’s auf dem ſtaatsrechtlichen Gebiete ohne merklichen
Einfluß vorübergegangen war, haben ſich in viel ſpäterer Zeit
den Tex und De Wal im Geiſte der deutſchen Rechtsphilo-
ſophie der Vertragslehre wieder entſchieden zugewendet.

In Frankreich kam eine Ausbildung des philoſophiſchen
Staatsrechtes erſt durch Montesquieu und J. J. Rouſſeau
in wiſſenſchaftliche Blüthe. Der Erſte ſetzte ſich allerdings in
ſeinem weltberühmten Werke „über den Geiſt der Geſetze“
(1748, überarbeitet 1757) nicht blos eine rechtliche Theorie
zum Ziele; allein er fügte den bisherigen Auffaſſungen weſentlich

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[181/0195] wenngleich langſam, wurde auch in der Wiſſenſchaft die Lehre vom unbedingten Gehorſam in England verlaſſen. Große Beiträge zu ſeiner Ausbildung hat das philoſophiſche Staasrecht ſpäter in dieſem Lande nicht erhalten. De Lolme führte in ge- mäßigtem Sinne und als wiſſenſchaftliche Grundlage der Ein- herrſchaft mit Volksvertretung die Lehre vom Rechtsſtaate mit franzöſiſcher Färbung weiter aus. Godwin und Bentham bildeten ſie in republikaniſchem Sinne durch; Burke machte die Bedeutung der fürſtlichen Gewalt und der vornehmen Geſell- ſchaftsklaſſen geltend; Bowyer (Commentaries on universal public law, 1854) ſucht endlich itzt die verſtändige Grundlage mit einer poſitiv religiöſen zu verbinden. Auch in Holland mußte ſich die Lehre vom Rechtsſtaate gegen Vertheidiger der unbeſchränkten und auf göttlicher Grün- dung ruhenden Regierungsgewalt durchkämpfen. Als Vertreter der erſteren Anſicht haben ſich Th. Graswinkel und J. F. Horn einen Namen gemacht; ihnen gegenüber ſteht vor Allem U. Huber (De jure civitatis, 1705), namentlich dadurch ausgezeichnet, daß er die Gründung des Staates durch Vertrag nicht blos auf die Furcht vor äußerer Gewaltigung, ſondern hauptſächlich auf das geſellſchaftliche und ſittliche Weſen des Menſchen ſtützt. Nachdem die großartige Erſcheinung B. Spinoza’s auf dem ſtaatsrechtlichen Gebiete ohne merklichen Einfluß vorübergegangen war, haben ſich in viel ſpäterer Zeit den Tex und De Wal im Geiſte der deutſchen Rechtsphilo- ſophie der Vertragslehre wieder entſchieden zugewendet. In Frankreich kam eine Ausbildung des philoſophiſchen Staatsrechtes erſt durch Montesquieu und J. J. Rouſſeau in wiſſenſchaftliche Blüthe. Der Erſte ſetzte ſich allerdings in ſeinem weltberühmten Werke „über den Geiſt der Geſetze“ (1748, überarbeitet 1757) nicht blos eine rechtliche Theorie zum Ziele; allein er fügte den bisherigen Auffaſſungen weſentlich

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/195>, abgerufen am 24.04.2024.