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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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aus der Vernunft entwickelten und nur auf ihre innere Wahr-
heit gestüzten Sätze nicht nur eine Wichtigkeit für die Wissen-
schaft; sondern sie ist auch von unmittelbarer Bedeutung für
das Leben, bei richtiger Anwendung und innerhalb bestimmter
Schranken 1).

Wissenschaftlich, d. h. zur allseitigen Aufklärung des
Menschen über sich selbst und die Welt, ist das philosophische
Staatsrecht in doppelter Richtung bedeutsam. -- Einmal ist es
immerhin von großem Interesse, zu wissen, welche Zwangs-
verbindlichkeiten für den Menschen aus seinem Leben in einer
bestimmten Staatsgattung schon mit innerer Nothwendigkeit
entstehen; mit andern Worten, welche Beschränkungen an Freiheit
und Selbstbestimmung den Menschen unvermeidlich treffen, weil
er überhaupt nicht außerhalb des Staates leben kann, und der
sogar in bestimmten staatlichen Zuständen je nach seiner Ge-
sittigungsstufe leben soll. Die Vergleichung der Vortheile des
staatlichen Zusammenlebens mit den zu seiner Durchführung
nöthigen Opfern ist immer ein sehr wichtiger Beitrag zum
Begreifen des irrdischen Daseins, sei es nun, daß die Waag-
schaale nach der einen oder der andern Seite sich senke. -- Zweitens
gibt das philosophische Staatsrecht einen unentbehrlichen Beitrag
zur Beurtheilung der concreten Zustände jedes Volkes und zu
jeder Zeit. Es gibt nämlich dasselbe einen Maßstab an die
Hand, inwieferne in jedem einzelnen Falle der vorliegende
Staatsgedanke vollständig ausgeführt ist, und er namentlich die
berechtigten Forderungen der Theilnehmer erfüllen kann; ferner
ob in der besondern Wirklichkeit nicht zwangsweise Lasten auf-
gelegt sind, welche sich aus der Natur der Sache allein nicht
rechtfertigen lassen. Allerdings ist es möglich, daß auch noch
andere unbeseitigbare Umstände von Einfluß waren auf die
Ausdehnung und Höhe der positiven Verpflichtung; allein jeden-
falls ist eine Kenntniß des an sich Nothwendigen zur Beur-

aus der Vernunft entwickelten und nur auf ihre innere Wahr-
heit geſtüzten Sätze nicht nur eine Wichtigkeit für die Wiſſen-
ſchaft; ſondern ſie iſt auch von unmittelbarer Bedeutung für
das Leben, bei richtiger Anwendung und innerhalb beſtimmter
Schranken 1).

Wiſſenſchaftlich, d. h. zur allſeitigen Aufklärung des
Menſchen über ſich ſelbſt und die Welt, iſt das philoſophiſche
Staatsrecht in doppelter Richtung bedeutſam. — Einmal iſt es
immerhin von großem Intereſſe, zu wiſſen, welche Zwangs-
verbindlichkeiten für den Menſchen aus ſeinem Leben in einer
beſtimmten Staatsgattung ſchon mit innerer Nothwendigkeit
entſtehen; mit andern Worten, welche Beſchränkungen an Freiheit
und Selbſtbeſtimmung den Menſchen unvermeidlich treffen, weil
er überhaupt nicht außerhalb des Staates leben kann, und der
ſogar in beſtimmten ſtaatlichen Zuſtänden je nach ſeiner Ge-
ſittigungsſtufe leben ſoll. Die Vergleichung der Vortheile des
ſtaatlichen Zuſammenlebens mit den zu ſeiner Durchführung
nöthigen Opfern iſt immer ein ſehr wichtiger Beitrag zum
Begreifen des irrdiſchen Daſeins, ſei es nun, daß die Waag-
ſchaale nach der einen oder der andern Seite ſich ſenke. — Zweitens
gibt das philoſophiſche Staatsrecht einen unentbehrlichen Beitrag
zur Beurtheilung der concreten Zuſtände jedes Volkes und zu
jeder Zeit. Es gibt nämlich daſſelbe einen Maßſtab an die
Hand, inwieferne in jedem einzelnen Falle der vorliegende
Staatsgedanke vollſtändig ausgeführt iſt, und er namentlich die
berechtigten Forderungen der Theilnehmer erfüllen kann; ferner
ob in der beſondern Wirklichkeit nicht zwangsweiſe Laſten auf-
gelegt ſind, welche ſich aus der Natur der Sache allein nicht
rechtfertigen laſſen. Allerdings iſt es möglich, daß auch noch
andere unbeſeitigbare Umſtände von Einfluß waren auf die
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[186/0200] aus der Vernunft entwickelten und nur auf ihre innere Wahr- heit geſtüzten Sätze nicht nur eine Wichtigkeit für die Wiſſen- ſchaft; ſondern ſie iſt auch von unmittelbarer Bedeutung für das Leben, bei richtiger Anwendung und innerhalb beſtimmter Schranken 1). Wiſſenſchaftlich, d. h. zur allſeitigen Aufklärung des Menſchen über ſich ſelbſt und die Welt, iſt das philoſophiſche Staatsrecht in doppelter Richtung bedeutſam. — Einmal iſt es immerhin von großem Intereſſe, zu wiſſen, welche Zwangs- verbindlichkeiten für den Menſchen aus ſeinem Leben in einer beſtimmten Staatsgattung ſchon mit innerer Nothwendigkeit entſtehen; mit andern Worten, welche Beſchränkungen an Freiheit und Selbſtbeſtimmung den Menſchen unvermeidlich treffen, weil er überhaupt nicht außerhalb des Staates leben kann, und der ſogar in beſtimmten ſtaatlichen Zuſtänden je nach ſeiner Ge- ſittigungsſtufe leben ſoll. Die Vergleichung der Vortheile des ſtaatlichen Zuſammenlebens mit den zu ſeiner Durchführung nöthigen Opfern iſt immer ein ſehr wichtiger Beitrag zum Begreifen des irrdiſchen Daſeins, ſei es nun, daß die Waag- ſchaale nach der einen oder der andern Seite ſich ſenke. — Zweitens gibt das philoſophiſche Staatsrecht einen unentbehrlichen Beitrag zur Beurtheilung der concreten Zuſtände jedes Volkes und zu jeder Zeit. Es gibt nämlich daſſelbe einen Maßſtab an die Hand, inwieferne in jedem einzelnen Falle der vorliegende Staatsgedanke vollſtändig ausgeführt iſt, und er namentlich die berechtigten Forderungen der Theilnehmer erfüllen kann; ferner ob in der beſondern Wirklichkeit nicht zwangsweiſe Laſten auf- gelegt ſind, welche ſich aus der Natur der Sache allein nicht rechtfertigen laſſen. Allerdings iſt es möglich, daß auch noch andere unbeſeitigbare Umſtände von Einfluß waren auf die Ausdehnung und Höhe der poſitiven Verpflichtung; allein jeden- falls iſt eine Kenntniß des an ſich Nothwendigen zur Beur-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/200>, abgerufen am 29.03.2024.