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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Anwendung von rechtsphilosophischen Sätzen gemacht worden; allein es ist,
ganz abgesehen von allen den übrigen Ursachen, welche den übeln Verlauf
der großen staatlichen Bewegungen verschuldeten, wohl zu bedenken, daß
die rechtsphilosophischen Lehren, welche hier zur Anwendung gebracht wurden,
schon an sich vielfach ganz unrichtig waren, und daß sie überdieß, wie sie
nun waren, ohne Berücksichtigung der thatsächlichen Umstände mit logischer
Starrheit zur Anwendung gebracht wurden. Wenn ein Haus, das gegen die
Grundsätze der Statik und ohne Beachtung des Untergrundes errichtet
worden ist, einstürzt: so trägt nicht die Wissenschaft die Schuld hiervon,
sondern gerade im Gegentheile die Unkenntniß und verkehrte Anwendung
derselben.
§ 26.
4. Grenzen gegen andere Gebiete geistiger Thätigkeit.

Außer der Grenzbestimmung zwischen Staatsrecht einerseits
und Staatssittenlehre und Politik andererseits, ist auch noch
gegenüber von anderen geistigen Gebieten eine scharfe Abgrenzung
des ersteren nothwendig, und zwar ist namentlich Sorge zu
tragen, daß sich die rechtliche Auffassung des Staates nicht
verlaufe in das Recht anderweitiger menschlicher Zustände,
welche dem Staate mehr oder weniger nahestehen. Es wäre
dies nicht blos eine Störung formaler wissenschaftlicher Grenzen,
sondern es müßte auch zu sachlich unrichtigen Sätzen führen,
weil die verschiedenen menschlichen Lebenskreise, je nach ihren
besonderen Zwecken, verschiedene Gesetze der Nothwendigkeit
anerkennen.

1. Unterschied vom Staats- und Privatrecht. Im
Allgemeinen ist hier die Grenze klar gezogen, indem feststeht,
daß alle diejenigen Rechtsnormen und Anstalten, welche die
Verhältnisse des Einzelnen und der Familie (als der
nothwendigen Ergänzung der Persönlichkeit) gegenüber von
anderen Einzelnen und Familien regeln, Gegenstand des
Privatrechtes; dagegen die Vorschriften über die organisirte
Einheit des Volkslebens und über die von der Gesammtheit

Anwendung von rechtsphiloſophiſchen Sätzen gemacht worden; allein es iſt,
ganz abgeſehen von allen den übrigen Urſachen, welche den übeln Verlauf
der großen ſtaatlichen Bewegungen verſchuldeten, wohl zu bedenken, daß
die rechtsphiloſophiſchen Lehren, welche hier zur Anwendung gebracht wurden,
ſchon an ſich vielfach ganz unrichtig waren, und daß ſie überdieß, wie ſie
nun waren, ohne Berückſichtigung der thatſächlichen Umſtände mit logiſcher
Starrheit zur Anwendung gebracht wurden. Wenn ein Haus, das gegen die
Grundſätze der Statik und ohne Beachtung des Untergrundes errichtet
worden iſt, einſtürzt: ſo trägt nicht die Wiſſenſchaft die Schuld hiervon,
ſondern gerade im Gegentheile die Unkenntniß und verkehrte Anwendung
derſelben.
§ 26.
4. Grenzen gegen andere Gebiete geiſtiger Thätigkeit.

Außer der Grenzbeſtimmung zwiſchen Staatsrecht einerſeits
und Staatsſittenlehre und Politik andererſeits, iſt auch noch
gegenüber von anderen geiſtigen Gebieten eine ſcharfe Abgrenzung
des erſteren nothwendig, und zwar iſt namentlich Sorge zu
tragen, daß ſich die rechtliche Auffaſſung des Staates nicht
verlaufe in das Recht anderweitiger menſchlicher Zuſtände,
welche dem Staate mehr oder weniger naheſtehen. Es wäre
dies nicht blos eine Störung formaler wiſſenſchaftlicher Grenzen,
ſondern es müßte auch zu ſachlich unrichtigen Sätzen führen,
weil die verſchiedenen menſchlichen Lebenskreiſe, je nach ihren
beſonderen Zwecken, verſchiedene Geſetze der Nothwendigkeit
anerkennen.

1. Unterſchied vom Staats- und Privatrecht. Im
Allgemeinen iſt hier die Grenze klar gezogen, indem feſtſteht,
daß alle diejenigen Rechtsnormen und Anſtalten, welche die
Verhältniſſe des Einzelnen und der Familie (als der
nothwendigen Ergänzung der Perſönlichkeit) gegenüber von
anderen Einzelnen und Familien regeln, Gegenſtand des
Privatrechtes; dagegen die Vorſchriften über die organiſirte
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[191/0205] ³⁾ Anwendung von rechtsphiloſophiſchen Sätzen gemacht worden; allein es iſt, ganz abgeſehen von allen den übrigen Urſachen, welche den übeln Verlauf der großen ſtaatlichen Bewegungen verſchuldeten, wohl zu bedenken, daß die rechtsphiloſophiſchen Lehren, welche hier zur Anwendung gebracht wurden, ſchon an ſich vielfach ganz unrichtig waren, und daß ſie überdieß, wie ſie nun waren, ohne Berückſichtigung der thatſächlichen Umſtände mit logiſcher Starrheit zur Anwendung gebracht wurden. Wenn ein Haus, das gegen die Grundſätze der Statik und ohne Beachtung des Untergrundes errichtet worden iſt, einſtürzt: ſo trägt nicht die Wiſſenſchaft die Schuld hiervon, ſondern gerade im Gegentheile die Unkenntniß und verkehrte Anwendung derſelben. § 26. 4. Grenzen gegen andere Gebiete geiſtiger Thätigkeit. Außer der Grenzbeſtimmung zwiſchen Staatsrecht einerſeits und Staatsſittenlehre und Politik andererſeits, iſt auch noch gegenüber von anderen geiſtigen Gebieten eine ſcharfe Abgrenzung des erſteren nothwendig, und zwar iſt namentlich Sorge zu tragen, daß ſich die rechtliche Auffaſſung des Staates nicht verlaufe in das Recht anderweitiger menſchlicher Zuſtände, welche dem Staate mehr oder weniger naheſtehen. Es wäre dies nicht blos eine Störung formaler wiſſenſchaftlicher Grenzen, ſondern es müßte auch zu ſachlich unrichtigen Sätzen führen, weil die verſchiedenen menſchlichen Lebenskreiſe, je nach ihren beſonderen Zwecken, verſchiedene Geſetze der Nothwendigkeit anerkennen. 1. Unterſchied vom Staats- und Privatrecht. Im Allgemeinen iſt hier die Grenze klar gezogen, indem feſtſteht, daß alle diejenigen Rechtsnormen und Anſtalten, welche die Verhältniſſe des Einzelnen und der Familie (als der nothwendigen Ergänzung der Perſönlichkeit) gegenüber von anderen Einzelnen und Familien regeln, Gegenſtand des Privatrechtes; dagegen die Vorſchriften über die organiſirte Einheit des Volkslebens und über die von der Geſammtheit

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/205>, abgerufen am 28.03.2024.