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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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§ 32.
e. Die Vertreter allgemeiner Rechte.

In manchen Staatsarten gehört eine Vertretung allgemei-
ner Rechte des Volkes oder einer seiner Theile durch eine dazu
bestimmte kleinere Anzahl zum Wesen der Verfassung und
zwar sowohl als Wahrung staatsbürgerlicher, wie als Aus-
übung politischer Rechte. So vor Allem in der repräsentativen
Demokratie, in der repräsentativen Monarchie und in der Mo-
narchie mit Ständen; möglicherweise und nicht grundsätzlich,
sondern mehr zufällig, auch in einzelnen Fällen des hausherr-
lichen Staates. Der Zweck ist, Schutz gegen Mißregierung
zu erlangen, ohne die Verwirrung, die Geschäftsverzögerung
und die Leidenschaftlichkeit, welche unmittelbare Mitwirkung der
Menge herbeiführen könnte; ferner der, in großen Gebieten und
bei zahlreichen Bevölkerungen wenigstens eine mittelbare Theil-
nahme sämmtlicher Bürger zu ermöglichen 1).

Ausübung politischer und Vertheidigung allgemeiner staats-
bürgerlicher Rechte durch Stellvertreter ist zuerst in den ger-
manischen Staaten des Mittelalters vorgekommen 2). Dem
classischen Staate war der Gedanke unbekannt, und er ist auch
in der That nicht verträglich mit dessen Wesen, nämlich dem
Aufgehen des Einzelnen in der Gesammtheit, und mit der daraus
folgenden unmittelbaren Theilnahme an den öffentlichen Ange-
legenheiten. Hier konnte wohl eine Beschränkung des einen
Staatsorganes durch ein anderes (z. B. des Senates durch die
Volkstribunen) stattfinden; nicht aber eine Gegenüberstellung
des Volkes und der Staatsgewalt und die Uebertragung des
höchsten Ehrenrechtes Vieler auf einen Einzigen. Unzweifelhaft
ist eine Besorgung der im Staatsleben zustehenden Rechte durch
Vertreter eine große Abschwächung der dem Einzelnen zustehen-
den Befugniß, und unter Umständen fast nur noch eine Fiction

§ 32.
e. Die Vertreter allgemeiner Rechte.

In manchen Staatsarten gehört eine Vertretung allgemei-
ner Rechte des Volkes oder einer ſeiner Theile durch eine dazu
beſtimmte kleinere Anzahl zum Weſen der Verfaſſung und
zwar ſowohl als Wahrung ſtaatsbürgerlicher, wie als Aus-
übung politiſcher Rechte. So vor Allem in der repräſentativen
Demokratie, in der repräſentativen Monarchie und in der Mo-
narchie mit Ständen; möglicherweiſe und nicht grundſätzlich,
ſondern mehr zufällig, auch in einzelnen Fällen des hausherr-
lichen Staates. Der Zweck iſt, Schutz gegen Mißregierung
zu erlangen, ohne die Verwirrung, die Geſchäftsverzögerung
und die Leidenſchaftlichkeit, welche unmittelbare Mitwirkung der
Menge herbeiführen könnte; ferner der, in großen Gebieten und
bei zahlreichen Bevölkerungen wenigſtens eine mittelbare Theil-
nahme ſämmtlicher Bürger zu ermöglichen 1).

Ausübung politiſcher und Vertheidigung allgemeiner ſtaats-
bürgerlicher Rechte durch Stellvertreter iſt zuerſt in den ger-
maniſchen Staaten des Mittelalters vorgekommen 2). Dem
claſſiſchen Staate war der Gedanke unbekannt, und er iſt auch
in der That nicht verträglich mit deſſen Weſen, nämlich dem
Aufgehen des Einzelnen in der Geſammtheit, und mit der daraus
folgenden unmittelbaren Theilnahme an den öffentlichen Ange-
legenheiten. Hier konnte wohl eine Beſchränkung des einen
Staatsorganes durch ein anderes (z. B. des Senates durch die
Volkstribunen) ſtattfinden; nicht aber eine Gegenüberſtellung
des Volkes und der Staatsgewalt und die Uebertragung des
höchſten Ehrenrechtes Vieler auf einen Einzigen. Unzweifelhaft
iſt eine Beſorgung der im Staatsleben zuſtehenden Rechte durch
Vertreter eine große Abſchwächung der dem Einzelnen zuſtehen-
den Befugniß, und unter Umſtänden faſt nur noch eine Fiction

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[238/0252] § 32. e. Die Vertreter allgemeiner Rechte. In manchen Staatsarten gehört eine Vertretung allgemei- ner Rechte des Volkes oder einer ſeiner Theile durch eine dazu beſtimmte kleinere Anzahl zum Weſen der Verfaſſung und zwar ſowohl als Wahrung ſtaatsbürgerlicher, wie als Aus- übung politiſcher Rechte. So vor Allem in der repräſentativen Demokratie, in der repräſentativen Monarchie und in der Mo- narchie mit Ständen; möglicherweiſe und nicht grundſätzlich, ſondern mehr zufällig, auch in einzelnen Fällen des hausherr- lichen Staates. Der Zweck iſt, Schutz gegen Mißregierung zu erlangen, ohne die Verwirrung, die Geſchäftsverzögerung und die Leidenſchaftlichkeit, welche unmittelbare Mitwirkung der Menge herbeiführen könnte; ferner der, in großen Gebieten und bei zahlreichen Bevölkerungen wenigſtens eine mittelbare Theil- nahme ſämmtlicher Bürger zu ermöglichen 1). Ausübung politiſcher und Vertheidigung allgemeiner ſtaats- bürgerlicher Rechte durch Stellvertreter iſt zuerſt in den ger- maniſchen Staaten des Mittelalters vorgekommen 2). Dem claſſiſchen Staate war der Gedanke unbekannt, und er iſt auch in der That nicht verträglich mit deſſen Weſen, nämlich dem Aufgehen des Einzelnen in der Geſammtheit, und mit der daraus folgenden unmittelbaren Theilnahme an den öffentlichen Ange- legenheiten. Hier konnte wohl eine Beſchränkung des einen Staatsorganes durch ein anderes (z. B. des Senates durch die Volkstribunen) ſtattfinden; nicht aber eine Gegenüberſtellung des Volkes und der Staatsgewalt und die Uebertragung des höchſten Ehrenrechtes Vieler auf einen Einzigen. Unzweifelhaft iſt eine Beſorgung der im Staatsleben zuſtehenden Rechte durch Vertreter eine große Abſchwächung der dem Einzelnen zuſtehen- den Befugniß, und unter Umſtänden faſt nur noch eine Fiction

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/252>, abgerufen am 18.04.2024.