Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

der Staatsgewalt jeder Theil derselben auch mit den Mitteln
ausgerüstet ist, sich zu erhalten und seine Zwecke zu erreichen.
Es muß daher namentlich auch der Polizei das Recht zustehen,
in den erforderlichen Fällen den Gehorsam durch unmittelbare
Nöthigung der Widerspenstigen zu erzwingen; und es ist auch,
wenn der Zwang in Strafen besteht, an sich kein Grund vorhan-
den, den Polizeibehörden die Zuerkennung derselben zu entzie-
hen. Doch mag immerhin die Rücksicht auf das bedächtigere
Verfahren der Gerichte und auf ihre größere Uebung in Er-
wägung von Rechtssätzen zu der Ausnahme bewegen, daß bei
hochgehenden Strafen die Polizei nur als Klägerin auftritt,
ein Gericht aber die Untersuchung und Urtheilsfällung über-
nimmt 4).

1) Der Begriff der Polizei ist allerdings einer der bestrittensten in den
gesammten Staatswissenschaften, so zwar, daß eine eigene ausgedehnte
Literatur darüber besteht, und selbst bis auf die neueste Zeit die Grundan-
schauung der Bearbeiter sehr verschieden ist. Die Schuld davon trägt
theils Unklarheit über das Wesen und über die Aufgaben des Staates im
Allgemeinen, namentlich die Vermischung von verschiedenen Staatsgattungen;
theils unwissenschaftliches Kleben an fehlerhaften positiven Einrichtungen und
Gesetzen; theils endlich die Unfähigkeit zur logischen Beherrschung einer
großen Menge zwar sachlich und formell aber doch nicht in ihrem letzten
Grunde verschiedener Staatsthätigkeiten. Siehe hierüber mein System der
Polizeiwissenschaft, Bd. I, Einleitung.
2) In dem hier festgehaltenen Sinne sind die obersten Grundsätze und
die einzelnen Anstalten der Staatspolizei entwickelt in meinem eben an-
geführten Werke: Die Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen des Rechts-
staates. I. II. 2. Aufl. Tüb., 1844. Daselbst auch die Geschichte und
die weitere Literatur der Wissenschaft.
3) Beispiele von gerechtfertigtem Zwange bei Polizeieinrichtung. --
Wegen der Nothwendigkeit einer allgemeinen Befolgung zum Behufe der
Erreichung des Zweckes: bei den Maßregeln gegen ansteckende Krankheiten;
bei den Vorschriften zur Abwendung von Feuersgefahr; bei der Entfernung
schädlicher Gewerbeeinrichtungen aus der Nähe der Wohnorte; bei dem Verbote
Geld zu prägen u. s. w. -- Wegen Erhaltung der nothwendigen Ordnung:
bei der Einrichtung von Apotheken; bei Leihhäusern; Findelhäusern; bei der
Benützung der Posten, der Landstraßen oder Kanäle; beim Besuche öffent-
licher Lehranstalten oder verschiedenen Sammlungen des Staates.

der Staatsgewalt jeder Theil derſelben auch mit den Mitteln
ausgerüſtet iſt, ſich zu erhalten und ſeine Zwecke zu erreichen.
Es muß daher namentlich auch der Polizei das Recht zuſtehen,
in den erforderlichen Fällen den Gehorſam durch unmittelbare
Nöthigung der Widerſpenſtigen zu erzwingen; und es iſt auch,
wenn der Zwang in Strafen beſteht, an ſich kein Grund vorhan-
den, den Polizeibehörden die Zuerkennung derſelben zu entzie-
hen. Doch mag immerhin die Rückſicht auf das bedächtigere
Verfahren der Gerichte und auf ihre größere Uebung in Er-
wägung von Rechtsſätzen zu der Ausnahme bewegen, daß bei
hochgehenden Strafen die Polizei nur als Klägerin auftritt,
ein Gericht aber die Unterſuchung und Urtheilsfällung über-
nimmt 4).

1) Der Begriff der Polizei iſt allerdings einer der beſtrittenſten in den
geſammten Staatswiſſenſchaften, ſo zwar, daß eine eigene ausgedehnte
Literatur darüber beſteht, und ſelbſt bis auf die neueſte Zeit die Grundan-
ſchauung der Bearbeiter ſehr verſchieden iſt. Die Schuld davon trägt
theils Unklarheit über das Weſen und über die Aufgaben des Staates im
Allgemeinen, namentlich die Vermiſchung von verſchiedenen Staatsgattungen;
theils unwiſſenſchaftliches Kleben an fehlerhaften poſitiven Einrichtungen und
Geſetzen; theils endlich die Unfähigkeit zur logiſchen Beherrſchung einer
großen Menge zwar ſachlich und formell aber doch nicht in ihrem letzten
Grunde verſchiedener Staatsthätigkeiten. Siehe hierüber mein Syſtem der
Polizeiwiſſenſchaft, Bd. I, Einleitung.
2) In dem hier feſtgehaltenen Sinne ſind die oberſten Grundſätze und
die einzelnen Anſtalten der Staatspolizei entwickelt in meinem eben an-
geführten Werke: Die Polizeiwiſſenſchaft nach den Grundſätzen des Rechts-
ſtaates. I. II. 2. Aufl. Tüb., 1844. Daſelbſt auch die Geſchichte und
die weitere Literatur der Wiſſenſchaft.
3) Beiſpiele von gerechtfertigtem Zwange bei Polizeieinrichtung. —
Wegen der Nothwendigkeit einer allgemeinen Befolgung zum Behufe der
Erreichung des Zweckes: bei den Maßregeln gegen anſteckende Krankheiten;
bei den Vorſchriften zur Abwendung von Feuersgefahr; bei der Entfernung
ſchädlicher Gewerbeeinrichtungen aus der Nähe der Wohnorte; bei dem Verbote
Geld zu prägen u. ſ. w. — Wegen Erhaltung der nothwendigen Ordnung:
bei der Einrichtung von Apotheken; bei Leihhäuſern; Findelhäuſern; bei der
Benützung der Poſten, der Landſtraßen oder Kanäle; beim Beſuche öffent-
licher Lehranſtalten oder verſchiedenen Sammlungen des Staates.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0293" n="279"/>
der Staatsgewalt jeder Theil der&#x017F;elben auch mit den Mitteln<lb/>
ausgerü&#x017F;tet i&#x017F;t, &#x017F;ich zu erhalten und &#x017F;eine Zwecke zu erreichen.<lb/>
Es muß daher namentlich auch der Polizei das Recht zu&#x017F;tehen,<lb/>
in den erforderlichen Fällen den Gehor&#x017F;am durch unmittelbare<lb/>
Nöthigung der Wider&#x017F;pen&#x017F;tigen zu erzwingen; und es i&#x017F;t auch,<lb/>
wenn der Zwang in Strafen be&#x017F;teht, an &#x017F;ich kein Grund vorhan-<lb/>
den, den Polizeibehörden die Zuerkennung der&#x017F;elben zu entzie-<lb/>
hen. Doch mag immerhin die Rück&#x017F;icht auf das bedächtigere<lb/>
Verfahren der Gerichte und auf ihre größere Uebung in Er-<lb/>
wägung von Rechts&#x017F;ätzen zu der Ausnahme bewegen, daß bei<lb/>
hochgehenden Strafen die Polizei nur als Klägerin auftritt,<lb/>
ein Gericht aber die Unter&#x017F;uchung und Urtheilsfällung über-<lb/>
nimmt <hi rendition="#sup">4</hi>).</p><lb/>
                    <note place="end" n="1)">Der Begriff der Polizei i&#x017F;t allerdings einer der be&#x017F;tritten&#x017F;ten in den<lb/>
ge&#x017F;ammten Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, &#x017F;o zwar, daß eine eigene ausgedehnte<lb/>
Literatur darüber be&#x017F;teht, und &#x017F;elb&#x017F;t bis auf die neue&#x017F;te Zeit die Grundan-<lb/>
&#x017F;chauung der Bearbeiter &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden i&#x017F;t. Die Schuld davon trägt<lb/>
theils Unklarheit über das We&#x017F;en und über die Aufgaben des Staates im<lb/>
Allgemeinen, namentlich die Vermi&#x017F;chung von ver&#x017F;chiedenen Staatsgattungen;<lb/>
theils unwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliches Kleben an fehlerhaften po&#x017F;itiven Einrichtungen und<lb/>
Ge&#x017F;etzen; theils endlich die Unfähigkeit zur logi&#x017F;chen Beherr&#x017F;chung einer<lb/>
großen Menge zwar &#x017F;achlich und formell aber doch nicht in ihrem letzten<lb/>
Grunde ver&#x017F;chiedener Staatsthätigkeiten. Siehe hierüber <hi rendition="#g">mein</hi> Sy&#x017F;tem der<lb/>
Polizeiwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, Bd. <hi rendition="#aq">I,</hi> Einleitung.</note><lb/>
                    <note place="end" n="2)">In dem hier fe&#x017F;tgehaltenen Sinne &#x017F;ind die ober&#x017F;ten Grund&#x017F;ätze und<lb/>
die einzelnen An&#x017F;talten der Staatspolizei entwickelt in <hi rendition="#g">meinem</hi> eben an-<lb/>
geführten Werke: Die Polizeiwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft nach den Grund&#x017F;ätzen des Rechts-<lb/>
&#x017F;taates. <hi rendition="#aq">I. II.</hi> 2. Aufl. Tüb., 1844. Da&#x017F;elb&#x017F;t auch die Ge&#x017F;chichte und<lb/>
die weitere Literatur der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft.</note><lb/>
                    <note place="end" n="3)">Bei&#x017F;piele von gerechtfertigtem Zwange bei Polizeieinrichtung. &#x2014;<lb/>
Wegen der Nothwendigkeit einer allgemeinen Befolgung zum Behufe der<lb/>
Erreichung des Zweckes: bei den Maßregeln gegen an&#x017F;teckende Krankheiten;<lb/>
bei den Vor&#x017F;chriften zur Abwendung von Feuersgefahr; bei der Entfernung<lb/>
&#x017F;chädlicher Gewerbeeinrichtungen aus der Nähe der Wohnorte; bei dem Verbote<lb/>
Geld zu prägen u. &#x017F;. w. &#x2014; Wegen Erhaltung der nothwendigen Ordnung:<lb/>
bei der Einrichtung von Apotheken; bei Leihhäu&#x017F;ern; Findelhäu&#x017F;ern; bei der<lb/>
Benützung der Po&#x017F;ten, der Land&#x017F;traßen oder Kanäle; beim Be&#x017F;uche öffent-<lb/>
licher Lehran&#x017F;talten oder ver&#x017F;chiedenen Sammlungen des Staates.</note><lb/>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0293] der Staatsgewalt jeder Theil derſelben auch mit den Mitteln ausgerüſtet iſt, ſich zu erhalten und ſeine Zwecke zu erreichen. Es muß daher namentlich auch der Polizei das Recht zuſtehen, in den erforderlichen Fällen den Gehorſam durch unmittelbare Nöthigung der Widerſpenſtigen zu erzwingen; und es iſt auch, wenn der Zwang in Strafen beſteht, an ſich kein Grund vorhan- den, den Polizeibehörden die Zuerkennung derſelben zu entzie- hen. Doch mag immerhin die Rückſicht auf das bedächtigere Verfahren der Gerichte und auf ihre größere Uebung in Er- wägung von Rechtsſätzen zu der Ausnahme bewegen, daß bei hochgehenden Strafen die Polizei nur als Klägerin auftritt, ein Gericht aber die Unterſuchung und Urtheilsfällung über- nimmt 4). ¹⁾ Der Begriff der Polizei iſt allerdings einer der beſtrittenſten in den geſammten Staatswiſſenſchaften, ſo zwar, daß eine eigene ausgedehnte Literatur darüber beſteht, und ſelbſt bis auf die neueſte Zeit die Grundan- ſchauung der Bearbeiter ſehr verſchieden iſt. Die Schuld davon trägt theils Unklarheit über das Weſen und über die Aufgaben des Staates im Allgemeinen, namentlich die Vermiſchung von verſchiedenen Staatsgattungen; theils unwiſſenſchaftliches Kleben an fehlerhaften poſitiven Einrichtungen und Geſetzen; theils endlich die Unfähigkeit zur logiſchen Beherrſchung einer großen Menge zwar ſachlich und formell aber doch nicht in ihrem letzten Grunde verſchiedener Staatsthätigkeiten. Siehe hierüber mein Syſtem der Polizeiwiſſenſchaft, Bd. I, Einleitung. ²⁾ In dem hier feſtgehaltenen Sinne ſind die oberſten Grundſätze und die einzelnen Anſtalten der Staatspolizei entwickelt in meinem eben an- geführten Werke: Die Polizeiwiſſenſchaft nach den Grundſätzen des Rechts- ſtaates. I. II. 2. Aufl. Tüb., 1844. Daſelbſt auch die Geſchichte und die weitere Literatur der Wiſſenſchaft. ³⁾ Beiſpiele von gerechtfertigtem Zwange bei Polizeieinrichtung. — Wegen der Nothwendigkeit einer allgemeinen Befolgung zum Behufe der Erreichung des Zweckes: bei den Maßregeln gegen anſteckende Krankheiten; bei den Vorſchriften zur Abwendung von Feuersgefahr; bei der Entfernung ſchädlicher Gewerbeeinrichtungen aus der Nähe der Wohnorte; bei dem Verbote Geld zu prägen u. ſ. w. — Wegen Erhaltung der nothwendigen Ordnung: bei der Einrichtung von Apotheken; bei Leihhäuſern; Findelhäuſern; bei der Benützung der Poſten, der Landſtraßen oder Kanäle; beim Beſuche öffent- licher Lehranſtalten oder verſchiedenen Sammlungen des Staates.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/293
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/293>, abgerufen am 29.03.2024.