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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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veränderlichen Theil, von welchen jener alle unbedingt nothwendigen Aus-
gaben enthält, dieser dagegen je nach den Umständen und Möglichkeiten
steigt und fällt, ist daher gar nicht zu verwerfen.
6) Eine geistreiche Vertheidigung der Lehre, welche nur Bezahlung für
die einzelne Dienstleistung des Staates anerkennt liefert: Krehl, Beiträge
zur Bildung der Steuerwissenschaft. Stuttg., 1819. Allein keine Wider-
legung könnte die völlige Unausführbarkeit so schlagend nachweisen, als
diese aus der Auseinandersetzung selbst erhellt. -- Völlig unbegründet ist
es aber, wenn Stahl, a. a. O., jede Steuerlehre, welche von der Ver-
pflichtung des einzelnen Bürgers zu einem Beitrage zu den Staatszwecken
ausgeht, in dieselbe Kategorie setzt, ihr vorwerfend, daß sie fälschlich
das Verhältniß des Bürgers zum Staate als eine Dienstmiethe, locatio
operarum,
auffasse; und wenn er dann seiner Seits die Steuern als aus
dem gesammten Socialvermögen des Staates, ehe der Erwerb in Privat-
eigenthum übergehe, genommen und zu nehmend darstellt. Letztere Auf-
fassung ist ein ganz haltloses Phantasiegebilde, welches keine Prüfung
aushält sei es vom rechtlichen, sei es vom volkswirthschaftlichen Stand-
punkte. Das Volksvermögen ist nur ein Aggregat alles Einzelnbesitzes, und
Alles, was in irgend einer Steuerform an den Staat bezahlt wird, muß erst
von dem Bezahlenden erworben worden, also sein Privateigenthum gewesen sein.
Aber auch die Beschuldigung einer atomistischen Auffassung und eines Ver-
kennens des wahren Verhältnisses des Menschen zum Staate und im
Staate ist hier lediglich nicht an der Stelle. Es ist nicht von einer Asse-
curanz für Schutz und nicht von Abonnement auf Staatsleistungen die
Rede, sondern von der durch den einfachen Menschenverstand gebotenen
Verpflichtung des ganzen Volkes, die für seine einheitliche Organisation und
deren von ihm gewollte Leistungen sich als nöthig ergebenden Mittel auf-
zubringen. Eben weil die Gesammtheit auf einer bestimmten Gesittigungs-
stufe gemeinschaftliche Zwecke hat, muß sie auch die Mittel aufbringen.
Wenn aber das ihr als Gesammtheit zustehende Vermögen (Domänen,
Regalien u. s. w.) hierzu nicht ausreicht, so müssen die Einzelnen, nach
irgend einem gerechten Maßstabe, das noch Fehlende zuschießen. Eine andere
Auffassung und eine andere Forderung scheint in der That gegen die Grund-
gesetze des Denkens zu gehen.
7) Ein Beispiel von Staatsschulden, welche man mit gutem Gewissen
auch auf spätere Geschlechter übergehen lassen kann, geben die für die Er-
bauung der Eisenbahnen aufgenommenen Gelder. Freilich ist auch hier
vorausgesetzt, daß keine spätere Erfindung dieses Verkehrsmittel vor Rück-
zahlung der darauf verwendeten Summe unnütz machen werde.
veränderlichen Theil, von welchen jener alle unbedingt nothwendigen Aus-
gaben enthält, dieſer dagegen je nach den Umſtänden und Möglichkeiten
ſteigt und fällt, iſt daher gar nicht zu verwerfen.
6) Eine geiſtreiche Vertheidigung der Lehre, welche nur Bezahlung für
die einzelne Dienſtleiſtung des Staates anerkennt liefert: Krehl, Beiträge
zur Bildung der Steuerwiſſenſchaft. Stuttg., 1819. Allein keine Wider-
legung könnte die völlige Unausführbarkeit ſo ſchlagend nachweiſen, als
dieſe aus der Auseinanderſetzung ſelbſt erhellt. — Völlig unbegründet iſt
es aber, wenn Stahl, a. a. O., jede Steuerlehre, welche von der Ver-
pflichtung des einzelnen Bürgers zu einem Beitrage zu den Staatszwecken
ausgeht, in dieſelbe Kategorie ſetzt, ihr vorwerfend, daß ſie fälſchlich
das Verhältniß des Bürgers zum Staate als eine Dienſtmiethe, locatio
operarum,
auffaſſe; und wenn er dann ſeiner Seits die Steuern als aus
dem geſammten Socialvermögen des Staates, ehe der Erwerb in Privat-
eigenthum übergehe, genommen und zu nehmend darſtellt. Letztere Auf-
faſſung iſt ein ganz haltloſes Phantaſiegebilde, welches keine Prüfung
aushält ſei es vom rechtlichen, ſei es vom volkswirthſchaftlichen Stand-
punkte. Das Volksvermögen iſt nur ein Aggregat alles Einzelnbeſitzes, und
Alles, was in irgend einer Steuerform an den Staat bezahlt wird, muß erſt
von dem Bezahlenden erworben worden, alſo ſein Privateigenthum geweſen ſein.
Aber auch die Beſchuldigung einer atomiſtiſchen Auffaſſung und eines Ver-
kennens des wahren Verhältniſſes des Menſchen zum Staate und im
Staate iſt hier lediglich nicht an der Stelle. Es iſt nicht von einer Aſſe-
curanz für Schutz und nicht von Abonnement auf Staatsleiſtungen die
Rede, ſondern von der durch den einfachen Menſchenverſtand gebotenen
Verpflichtung des ganzen Volkes, die für ſeine einheitliche Organiſation und
deren von ihm gewollte Leiſtungen ſich als nöthig ergebenden Mittel auf-
zubringen. Eben weil die Geſammtheit auf einer beſtimmten Geſittigungs-
ſtufe gemeinſchaftliche Zwecke hat, muß ſie auch die Mittel aufbringen.
Wenn aber das ihr als Geſammtheit zuſtehende Vermögen (Domänen,
Regalien u. ſ. w.) hierzu nicht ausreicht, ſo müſſen die Einzelnen, nach
irgend einem gerechten Maßſtabe, das noch Fehlende zuſchießen. Eine andere
Auffaſſung und eine andere Forderung ſcheint in der That gegen die Grund-
geſetze des Denkens zu gehen.
7) Ein Beiſpiel von Staatsſchulden, welche man mit gutem Gewiſſen
auch auf ſpätere Geſchlechter übergehen laſſen kann, geben die für die Er-
bauung der Eiſenbahnen aufgenommenen Gelder. Freilich iſt auch hier
vorausgeſetzt, daß keine ſpätere Erfindung dieſes Verkehrsmittel vor Rück-
zahlung der darauf verwendeten Summe unnütz machen werde.
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[297/0311] ⁵⁾ veränderlichen Theil, von welchen jener alle unbedingt nothwendigen Aus- gaben enthält, dieſer dagegen je nach den Umſtänden und Möglichkeiten ſteigt und fällt, iſt daher gar nicht zu verwerfen. ⁶⁾ Eine geiſtreiche Vertheidigung der Lehre, welche nur Bezahlung für die einzelne Dienſtleiſtung des Staates anerkennt liefert: Krehl, Beiträge zur Bildung der Steuerwiſſenſchaft. Stuttg., 1819. Allein keine Wider- legung könnte die völlige Unausführbarkeit ſo ſchlagend nachweiſen, als dieſe aus der Auseinanderſetzung ſelbſt erhellt. — Völlig unbegründet iſt es aber, wenn Stahl, a. a. O., jede Steuerlehre, welche von der Ver- pflichtung des einzelnen Bürgers zu einem Beitrage zu den Staatszwecken ausgeht, in dieſelbe Kategorie ſetzt, ihr vorwerfend, daß ſie fälſchlich das Verhältniß des Bürgers zum Staate als eine Dienſtmiethe, locatio operarum, auffaſſe; und wenn er dann ſeiner Seits die Steuern als aus dem geſammten Socialvermögen des Staates, ehe der Erwerb in Privat- eigenthum übergehe, genommen und zu nehmend darſtellt. Letztere Auf- faſſung iſt ein ganz haltloſes Phantaſiegebilde, welches keine Prüfung aushält ſei es vom rechtlichen, ſei es vom volkswirthſchaftlichen Stand- punkte. Das Volksvermögen iſt nur ein Aggregat alles Einzelnbeſitzes, und Alles, was in irgend einer Steuerform an den Staat bezahlt wird, muß erſt von dem Bezahlenden erworben worden, alſo ſein Privateigenthum geweſen ſein. Aber auch die Beſchuldigung einer atomiſtiſchen Auffaſſung und eines Ver- kennens des wahren Verhältniſſes des Menſchen zum Staate und im Staate iſt hier lediglich nicht an der Stelle. Es iſt nicht von einer Aſſe- curanz für Schutz und nicht von Abonnement auf Staatsleiſtungen die Rede, ſondern von der durch den einfachen Menſchenverſtand gebotenen Verpflichtung des ganzen Volkes, die für ſeine einheitliche Organiſation und deren von ihm gewollte Leiſtungen ſich als nöthig ergebenden Mittel auf- zubringen. Eben weil die Geſammtheit auf einer beſtimmten Geſittigungs- ſtufe gemeinſchaftliche Zwecke hat, muß ſie auch die Mittel aufbringen. Wenn aber das ihr als Geſammtheit zuſtehende Vermögen (Domänen, Regalien u. ſ. w.) hierzu nicht ausreicht, ſo müſſen die Einzelnen, nach irgend einem gerechten Maßſtabe, das noch Fehlende zuſchießen. Eine andere Auffaſſung und eine andere Forderung ſcheint in der That gegen die Grund- geſetze des Denkens zu gehen. ⁷⁾ Ein Beiſpiel von Staatsſchulden, welche man mit gutem Gewiſſen auch auf ſpätere Geſchlechter übergehen laſſen kann, geben die für die Er- bauung der Eiſenbahnen aufgenommenen Gelder. Freilich iſt auch hier vorausgeſetzt, daß keine ſpätere Erfindung dieſes Verkehrsmittel vor Rück- zahlung der darauf verwendeten Summe unnütz machen werde.

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/311>, abgerufen am 25.04.2024.