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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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gewöhnlich für gleichbedeutend genommen und mit Aufrechterhaltung oder
gar Wiedereinführung der sogenannten Feudalstände, während sie vielmehr,
richtig aufgefaßt, eine Bekämpfung der falschen Maßregel ist, die ver-
schwundene Organisation der germanischen Gesellschaft an die Stelle der
Wirklichkeit zu setzen. Als der Gipfelpunkt dieses verkehrten und in seiner
practischen Anwendung für Fürst und Volk gleich verderblichen Unwesens
mag bezeichnet werden: Zimmermann, G., Die Vortrefflichkeit der
constitutionellen Monarchie für England und deren Unbrauchbarkeit für die
Länder des europäischen Continentes. Hannov., 1853. -- Richtigere und
namentlich einen allgemeinen Standpunkt einnehmende Erörterungen des
Systemes sind: Liebe, Der Grundadel und die neuen Verfassungen.
Leipz., 1844. -- Stahl, Staatslehre, 3. Aufl., S. 365 u. ff. -- Das
Repräsentativsystem, seine Mängel und seine Heilmittel. In d. Viert.-Jahr-
Schrift, 1852, Nr. 3. -- Winter, A., Die Volksvertretung in Deutsch-
lands Zukunft, Gött., 1852.
8) Ueber Staatsgerichtshöfe und deren Zusammensetzung s. unten,
§ 97.
9) Die Literatur über die constitutionelle Monarchie ist außerordentlich
zahlreich, und zwar ist sowohl der Grundgedanke selbst, als die weitere
Entwicklung desselben in den Einzelheiten des Staatsorganismus von den
verschiedensten Standpunkten aus und von Schriftstellern aller gesittigten
Völker bearbeitet worden. Siehe eine Zusammenstellung und Beurthei-
lung in meiner Geschichte und Literatur der St.-W., Bd. I, S. 267
bis 320.
10) Es ist ein Beweis von Schwäche des Denkens, wenn man nicht
zu unterscheiden vermag zwischen der in der Demokratie jedem selbstständigen
Bürger zustehenden Antheile an den Wahlen und dem nur an Taugliche zu
gebenden Wahlauftrage in der repräsentativen Monarchie. Im ersten Falle
muß man sich die Folgen des allgemeinen Stimmrechtes, welche sie auch
seien, gefallen lassen, weil dieses Recht wesentlich im Gedanken der ganzen
Staatsart wurzelt; diese Nachtheile aber ohne Noth in die Volksvertretung
der Einherrschaft überzutragen, ist sinnlos. Hier kann der Bürger nur
verlangen, daß sein Recht gegen Regierungsmißbrauch bewahrt, und daß
die hierzu tauglichste Art der Vertretung gewählt werde; nicht aber, daß er
zu einer staatlichen Handlung zugezogen sei, auch wenn er zu ihrer richtigen
Vollbringung persönlich unfähig ist, und er also den Zweck durch seine
Mitwirkung in Gefahr setzen würde.
11) Ueber den besonderen Schutz der Mitglieder von Ständeversamm-
lungen s. (Lappenberg) Die Privilegien der Parlamentsmitglieder. Ham-
burg, 1848. Der berühmte Geschichtsforscher vergißt jedoch bei seiner
Bekämpfung solcher Vorrechte, daß nicht jedes Land eine Unabhängigkeit
v. Mohl, Encyclopädie. 24
gewöhnlich für gleichbedeutend genommen und mit Aufrechterhaltung oder
gar Wiedereinführung der ſogenannten Feudalſtände, während ſie vielmehr,
richtig aufgefaßt, eine Bekämpfung der falſchen Maßregel iſt, die ver-
ſchwundene Organiſation der germaniſchen Geſellſchaft an die Stelle der
Wirklichkeit zu ſetzen. Als der Gipfelpunkt dieſes verkehrten und in ſeiner
practiſchen Anwendung für Fürſt und Volk gleich verderblichen Unweſens
mag bezeichnet werden: Zimmermann, G., Die Vortrefflichkeit der
conſtitutionellen Monarchie für England und deren Unbrauchbarkeit für die
Länder des europäiſchen Continentes. Hannov., 1853. — Richtigere und
namentlich einen allgemeinen Standpunkt einnehmende Erörterungen des
Syſtemes ſind: Liebe, Der Grundadel und die neuen Verfaſſungen.
Leipz., 1844. — Stahl, Staatslehre, 3. Aufl., S. 365 u. ff. — Das
Repräſentativſyſtem, ſeine Mängel und ſeine Heilmittel. In d. Viert.-Jahr-
Schrift, 1852, Nr. 3. — Winter, A., Die Volksvertretung in Deutſch-
lands Zukunft, Gött., 1852.
8) Ueber Staatsgerichtshöfe und deren Zuſammenſetzung ſ. unten,
§ 97.
9) Die Literatur über die conſtitutionelle Monarchie iſt außerordentlich
zahlreich, und zwar iſt ſowohl der Grundgedanke ſelbſt, als die weitere
Entwicklung deſſelben in den Einzelheiten des Staatsorganismus von den
verſchiedenſten Standpunkten aus und von Schriftſtellern aller geſittigten
Völker bearbeitet worden. Siehe eine Zuſammenſtellung und Beurthei-
lung in meiner Geſchichte und Literatur der St.-W., Bd. I, S. 267
bis 320.
10) Es iſt ein Beweis von Schwäche des Denkens, wenn man nicht
zu unterſcheiden vermag zwiſchen der in der Demokratie jedem ſelbſtſtändigen
Bürger zuſtehenden Antheile an den Wahlen und dem nur an Taugliche zu
gebenden Wahlauftrage in der repräſentativen Monarchie. Im erſten Falle
muß man ſich die Folgen des allgemeinen Stimmrechtes, welche ſie auch
ſeien, gefallen laſſen, weil dieſes Recht weſentlich im Gedanken der ganzen
Staatsart wurzelt; dieſe Nachtheile aber ohne Noth in die Volksvertretung
der Einherrſchaft überzutragen, iſt ſinnlos. Hier kann der Bürger nur
verlangen, daß ſein Recht gegen Regierungsmißbrauch bewahrt, und daß
die hierzu tauglichſte Art der Vertretung gewählt werde; nicht aber, daß er
zu einer ſtaatlichen Handlung zugezogen ſei, auch wenn er zu ihrer richtigen
Vollbringung perſönlich unfähig iſt, und er alſo den Zweck durch ſeine
Mitwirkung in Gefahr ſetzen würde.
11) Ueber den beſonderen Schutz der Mitglieder von Ständeverſamm-
lungen ſ. (Lappenberg) Die Privilegien der Parlamentsmitglieder. Ham-
burg, 1848. Der berühmte Geſchichtsforſcher vergißt jedoch bei ſeiner
Bekämpfung ſolcher Vorrechte, daß nicht jedes Land eine Unabhängigkeit
v. Mohl, Encyclopädie. 24
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[369/0383] ⁷⁾ gewöhnlich für gleichbedeutend genommen und mit Aufrechterhaltung oder gar Wiedereinführung der ſogenannten Feudalſtände, während ſie vielmehr, richtig aufgefaßt, eine Bekämpfung der falſchen Maßregel iſt, die ver- ſchwundene Organiſation der germaniſchen Geſellſchaft an die Stelle der Wirklichkeit zu ſetzen. Als der Gipfelpunkt dieſes verkehrten und in ſeiner practiſchen Anwendung für Fürſt und Volk gleich verderblichen Unweſens mag bezeichnet werden: Zimmermann, G., Die Vortrefflichkeit der conſtitutionellen Monarchie für England und deren Unbrauchbarkeit für die Länder des europäiſchen Continentes. Hannov., 1853. — Richtigere und namentlich einen allgemeinen Standpunkt einnehmende Erörterungen des Syſtemes ſind: Liebe, Der Grundadel und die neuen Verfaſſungen. Leipz., 1844. — Stahl, Staatslehre, 3. Aufl., S. 365 u. ff. — Das Repräſentativſyſtem, ſeine Mängel und ſeine Heilmittel. In d. Viert.-Jahr- Schrift, 1852, Nr. 3. — Winter, A., Die Volksvertretung in Deutſch- lands Zukunft, Gött., 1852. ⁸⁾ Ueber Staatsgerichtshöfe und deren Zuſammenſetzung ſ. unten, § 97. ⁹⁾ Die Literatur über die conſtitutionelle Monarchie iſt außerordentlich zahlreich, und zwar iſt ſowohl der Grundgedanke ſelbſt, als die weitere Entwicklung deſſelben in den Einzelheiten des Staatsorganismus von den verſchiedenſten Standpunkten aus und von Schriftſtellern aller geſittigten Völker bearbeitet worden. Siehe eine Zuſammenſtellung und Beurthei- lung in meiner Geſchichte und Literatur der St.-W., Bd. I, S. 267 bis 320. ¹⁰⁾ Es iſt ein Beweis von Schwäche des Denkens, wenn man nicht zu unterſcheiden vermag zwiſchen der in der Demokratie jedem ſelbſtſtändigen Bürger zuſtehenden Antheile an den Wahlen und dem nur an Taugliche zu gebenden Wahlauftrage in der repräſentativen Monarchie. Im erſten Falle muß man ſich die Folgen des allgemeinen Stimmrechtes, welche ſie auch ſeien, gefallen laſſen, weil dieſes Recht weſentlich im Gedanken der ganzen Staatsart wurzelt; dieſe Nachtheile aber ohne Noth in die Volksvertretung der Einherrſchaft überzutragen, iſt ſinnlos. Hier kann der Bürger nur verlangen, daß ſein Recht gegen Regierungsmißbrauch bewahrt, und daß die hierzu tauglichſte Art der Vertretung gewählt werde; nicht aber, daß er zu einer ſtaatlichen Handlung zugezogen ſei, auch wenn er zu ihrer richtigen Vollbringung perſönlich unfähig iſt, und er alſo den Zweck durch ſeine Mitwirkung in Gefahr ſetzen würde. ¹¹⁾ Ueber den beſonderen Schutz der Mitglieder von Ständeverſamm- lungen ſ. (Lappenberg) Die Privilegien der Parlamentsmitglieder. Ham- burg, 1848. Der berühmte Geſchichtsforſcher vergißt jedoch bei ſeiner Bekämpfung ſolcher Vorrechte, daß nicht jedes Land eine Unabhängigkeit v. Mohl, Encyclopädie. 24

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/383>, abgerufen am 25.04.2024.