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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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gutem Glauben Zank vermieden und eine richtige Behandlung
des einzelnen vorkommenden Falles vorbereitet. Begründete
Ausstellungen und an rechter Stelle angebrachte Wünsche machen
aufmerksam und bahnen Verbesserungen an. Ein Werk dieser
Art ist also eine Stütze des Rechtes, eine Veranlassung zu
Besserem, und ein bequemes Hülfsmittel bei den Vorkommnissen
des täglichen Lebens. -- Dagegen besteht hier freilich auch die
Gefahr, daß eine falsche aber den Schein der Wahrheit tragende
Darstellung unrichtige Auslegungen begünstige, unbegründete
Forderungen hervorrufe oder wenigstens unterstütze, bisher
Gesichertes zweifelhaft mache, und überhaupt an die Stelle des
wirklich bestehenden Rechtes eine nur subjective Auffassung oder
gar Absicht setze. Jedenfalls ist der Vortheil für Kritik, Ver-
besserung und Zukunft größer, als für Pietät und Erhaltung
des Bestehenden.

Der bezeichnende und in der That höchst bedeutende Nutzen
einer guten rechtsgeschichtlichen Darstellung ist das wahre Ver-
ständniß des concreten Rechts. Man wird durch Kenntniß des
wirklichen Herganges bewahrt vor falschen Voraussetzungen,
wie sich solche aus Unwissenheit in der Geschichte oder aus der
Anwendung fremdartiger und an sich falscher Systeme leicht
ergeben. Durch die Erzählung früherer Versuche und Fehler
wird gewarnt vor falschen Schritten, namentlich vor Belebungs-
versuchen bereits verstorbener Anstalten. Ein geschichtlicher
Sinn bewahrt vor Sprüngen in Aenderungen. -- Als nach-
theilig dagegen ergibt sich, daß eine solche Behandlungsweise
des Rechtes mehr für das Wissen als für die richtige und
sichere Behandlung des Lebens leistet; daß leicht eine Verwechs-
lung von geschichtlich richtiger Darstellung mit theoretischer und
praktischer Löblichkeit entsteht; daß der Blick mehr rückwärts,
als auf Verbesserung und Vorschreiten gerichtet wird. Die
Rechtsgeschichte ist eine nothwendige Vorkenntniß für den Staats-

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gutem Glauben Zank vermieden und eine richtige Behandlung
des einzelnen vorkommenden Falles vorbereitet. Begründete
Ausſtellungen und an rechter Stelle angebrachte Wünſche machen
aufmerkſam und bahnen Verbeſſerungen an. Ein Werk dieſer
Art iſt alſo eine Stütze des Rechtes, eine Veranlaſſung zu
Beſſerem, und ein bequemes Hülfsmittel bei den Vorkommniſſen
des täglichen Lebens. — Dagegen beſteht hier freilich auch die
Gefahr, daß eine falſche aber den Schein der Wahrheit tragende
Darſtellung unrichtige Auslegungen begünſtige, unbegründete
Forderungen hervorrufe oder wenigſtens unterſtütze, bisher
Geſichertes zweifelhaft mache, und überhaupt an die Stelle des
wirklich beſtehenden Rechtes eine nur ſubjective Auffaſſung oder
gar Abſicht ſetze. Jedenfalls iſt der Vortheil für Kritik, Ver-
beſſerung und Zukunft größer, als für Pietät und Erhaltung
des Beſtehenden.

Der bezeichnende und in der That höchſt bedeutende Nutzen
einer guten rechtsgeſchichtlichen Darſtellung iſt das wahre Ver-
ſtändniß des concreten Rechts. Man wird durch Kenntniß des
wirklichen Herganges bewahrt vor falſchen Vorausſetzungen,
wie ſich ſolche aus Unwiſſenheit in der Geſchichte oder aus der
Anwendung fremdartiger und an ſich falſcher Syſteme leicht
ergeben. Durch die Erzählung früherer Verſuche und Fehler
wird gewarnt vor falſchen Schritten, namentlich vor Belebungs-
verſuchen bereits verſtorbener Anſtalten. Ein geſchichtlicher
Sinn bewahrt vor Sprüngen in Aenderungen. — Als nach-
theilig dagegen ergibt ſich, daß eine ſolche Behandlungsweiſe
des Rechtes mehr für das Wiſſen als für die richtige und
ſichere Behandlung des Lebens leiſtet; daß leicht eine Verwechs-
lung von geſchichtlich richtiger Darſtellung mit theoretiſcher und
praktiſcher Löblichkeit entſteht; daß der Blick mehr rückwärts,
als auf Verbeſſerung und Vorſchreiten gerichtet wird. Die
Rechtsgeſchichte iſt eine nothwendige Vorkenntniß für den Staats-

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[387/0401] gutem Glauben Zank vermieden und eine richtige Behandlung des einzelnen vorkommenden Falles vorbereitet. Begründete Ausſtellungen und an rechter Stelle angebrachte Wünſche machen aufmerkſam und bahnen Verbeſſerungen an. Ein Werk dieſer Art iſt alſo eine Stütze des Rechtes, eine Veranlaſſung zu Beſſerem, und ein bequemes Hülfsmittel bei den Vorkommniſſen des täglichen Lebens. — Dagegen beſteht hier freilich auch die Gefahr, daß eine falſche aber den Schein der Wahrheit tragende Darſtellung unrichtige Auslegungen begünſtige, unbegründete Forderungen hervorrufe oder wenigſtens unterſtütze, bisher Geſichertes zweifelhaft mache, und überhaupt an die Stelle des wirklich beſtehenden Rechtes eine nur ſubjective Auffaſſung oder gar Abſicht ſetze. Jedenfalls iſt der Vortheil für Kritik, Ver- beſſerung und Zukunft größer, als für Pietät und Erhaltung des Beſtehenden. Der bezeichnende und in der That höchſt bedeutende Nutzen einer guten rechtsgeſchichtlichen Darſtellung iſt das wahre Ver- ſtändniß des concreten Rechts. Man wird durch Kenntniß des wirklichen Herganges bewahrt vor falſchen Vorausſetzungen, wie ſich ſolche aus Unwiſſenheit in der Geſchichte oder aus der Anwendung fremdartiger und an ſich falſcher Syſteme leicht ergeben. Durch die Erzählung früherer Verſuche und Fehler wird gewarnt vor falſchen Schritten, namentlich vor Belebungs- verſuchen bereits verſtorbener Anſtalten. Ein geſchichtlicher Sinn bewahrt vor Sprüngen in Aenderungen. — Als nach- theilig dagegen ergibt ſich, daß eine ſolche Behandlungsweiſe des Rechtes mehr für das Wiſſen als für die richtige und ſichere Behandlung des Lebens leiſtet; daß leicht eine Verwechs- lung von geſchichtlich richtiger Darſtellung mit theoretiſcher und praktiſcher Löblichkeit entſteht; daß der Blick mehr rückwärts, als auf Verbeſſerung und Vorſchreiten gerichtet wird. Die Rechtsgeſchichte iſt eine nothwendige Vorkenntniß für den Staats- 25*

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/401>, abgerufen am 23.04.2024.